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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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3. Das religiöse Prinzip -- der homo sacer. §. 18.
der incastus, incestus, der Schmutzige, wird dadurch gerei-
nigt, und luere, büßen, namentlich auch in Verbindung poenas
luere,
ist lavere, lavare, waschen. 206) Supplicium, die Todes-
strafe, führt etymologisch auf Besänftigung der Götter zurück
(sub-placare, supplex).

Tritt nun in den Strafen selbst dieselbe religiöse Beziehung
hervor? Hinsichtlich der Todes- und Vermögensstrafe läßt es sich
darthun und ist bereits von Andern geschehn. Man hat, was
zunächst die Todesstrafe im allgemeinen anbetrifft, auf die beim
supplicium üblichen supplicationes verwiesen, hinsichtlich der
Vollziehung derselben durch Erhenkung auf den den unterirdi-
schen Göttern gewidmeten arbor infelix, hinsichtlich der Ent-
hauptung auf die Verhüllung des Hauptes, die Analogie des
Opferbeiles 207) und auch die Menschenopfer der Urzeit 208) da-
mit in Verbindung gebracht. Lehrreich für diese Frage ist auch
der bekannte Fall des Horatius. Ut caedes manifesta, sagt
Livius, aliquo tamen piaculo lueretur, imperatum patri, ut
filium expiaret pecunia publica.
Hätte den Mörder also die
eigentlich verdiente Todesstrafe getroffen, so würde es dieser
Entsühnung nicht bedurft haben.

Die religiöse Beziehung der Vermögens strafen tritt un-
verkennbar in der Consekration des Vermögens hervor, die die
Sacertät noch lange überlebte. 209) Strafgelder, die ad pios usus
bestimmt waren, werden noch spät erwähnt, 210) und eine ur-
sprüngliche religiöse Beziehung darf man auch bei ihnen wohl
voraussetzen. Uebrigens erwuchs der consecratio bonorum in
der publicatio bonorum eine gefährliche Concurrentin; in dem-

206) In diesem ursprünglichen Sinn hat sich luere noch in lustrum,
lustratio, lustricus
u. s. w. erhalten.
207) Statt Anderer nenne ich Platner de jure criminum Rom. p. 36 sq.
208) Niebuhr Röm. Gesch. B. 1 S. 557. Nein Röm. Kriminalrecht
S. 34.
209) Z. B. in der perduellio. Cicero pro domo c. 47. Plinius hist.
nat. 7, 47.
210) Livius X, 23. 33. 47.

3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18.
der incastus, incestus, der Schmutzige, wird dadurch gerei-
nigt, und luere, büßen, namentlich auch in Verbindung poenas
luere,
iſt lavere, lavare, waſchen. 206) Supplicium, die Todes-
ſtrafe, führt etymologiſch auf Beſänftigung der Götter zurück
(sub-placare, supplex).

Tritt nun in den Strafen ſelbſt dieſelbe religiöſe Beziehung
hervor? Hinſichtlich der Todes- und Vermögensſtrafe läßt es ſich
darthun und iſt bereits von Andern geſchehn. Man hat, was
zunächſt die Todesſtrafe im allgemeinen anbetrifft, auf die beim
supplicium üblichen supplicationes verwieſen, hinſichtlich der
Vollziehung derſelben durch Erhenkung auf den den unterirdi-
ſchen Göttern gewidmeten arbor infelix, hinſichtlich der Ent-
hauptung auf die Verhüllung des Hauptes, die Analogie des
Opferbeiles 207) und auch die Menſchenopfer der Urzeit 208) da-
mit in Verbindung gebracht. Lehrreich für dieſe Frage iſt auch
der bekannte Fall des Horatius. Ut caedes manifesta, ſagt
Livius, aliquo tamen piaculo lueretur, imperatum patri, ut
filium expiaret pecunia publica.
Hätte den Mörder alſo die
eigentlich verdiente Todesſtrafe getroffen, ſo würde es dieſer
Entſühnung nicht bedurft haben.

Die religiöſe Beziehung der Vermögens ſtrafen tritt un-
verkennbar in der Conſekration des Vermögens hervor, die die
Sacertät noch lange überlebte. 209) Strafgelder, die ad pios usus
beſtimmt waren, werden noch ſpät erwähnt, 210) und eine ur-
ſprüngliche religiöſe Beziehung darf man auch bei ihnen wohl
vorausſetzen. Uebrigens erwuchs der consecratio bonorum in
der publicatio bonorum eine gefährliche Concurrentin; in dem-

206) In dieſem urſprünglichen Sinn hat ſich luere noch in lustrum,
lustratio, lustricus
u. ſ. w. erhalten.
207) Statt Anderer nenne ich Platner de jure criminum Rom. p. 36 sq.
208) Niebuhr Röm. Geſch. B. 1 S. 557. Nein Röm. Kriminalrecht
S. 34.
209) Z. B. in der perduellio. Cicero pro domo c. 47. Plinius hist.
nat. 7, 47.
210) Livius X, 23. 33. 47.
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[277/0295] 3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18. der incastus, incestus, der Schmutzige, wird dadurch gerei- nigt, und luere, büßen, namentlich auch in Verbindung poenas luere, iſt lavere, lavare, waſchen. 206) Supplicium, die Todes- ſtrafe, führt etymologiſch auf Beſänftigung der Götter zurück (sub-placare, supplex). Tritt nun in den Strafen ſelbſt dieſelbe religiöſe Beziehung hervor? Hinſichtlich der Todes- und Vermögensſtrafe läßt es ſich darthun und iſt bereits von Andern geſchehn. Man hat, was zunächſt die Todesſtrafe im allgemeinen anbetrifft, auf die beim supplicium üblichen supplicationes verwieſen, hinſichtlich der Vollziehung derſelben durch Erhenkung auf den den unterirdi- ſchen Göttern gewidmeten arbor infelix, hinſichtlich der Ent- hauptung auf die Verhüllung des Hauptes, die Analogie des Opferbeiles 207) und auch die Menſchenopfer der Urzeit 208) da- mit in Verbindung gebracht. Lehrreich für dieſe Frage iſt auch der bekannte Fall des Horatius. Ut caedes manifesta, ſagt Livius, aliquo tamen piaculo lueretur, imperatum patri, ut filium expiaret pecunia publica. Hätte den Mörder alſo die eigentlich verdiente Todesſtrafe getroffen, ſo würde es dieſer Entſühnung nicht bedurft haben. Die religiöſe Beziehung der Vermögens ſtrafen tritt un- verkennbar in der Conſekration des Vermögens hervor, die die Sacertät noch lange überlebte. 209) Strafgelder, die ad pios usus beſtimmt waren, werden noch ſpät erwähnt, 210) und eine ur- ſprüngliche religiöſe Beziehung darf man auch bei ihnen wohl vorausſetzen. Uebrigens erwuchs der consecratio bonorum in der publicatio bonorum eine gefährliche Concurrentin; in dem- 206) In dieſem urſprünglichen Sinn hat ſich luere noch in lustrum, lustratio, lustricus u. ſ. w. erhalten. 207) Statt Anderer nenne ich Platner de jure criminum Rom. p. 36 sq. 208) Niebuhr Röm. Geſch. B. 1 S. 557. Nein Röm. Kriminalrecht S. 34. 209) Z. B. in der perduellio. Cicero pro domo c. 47. Plinius hist. nat. 7, 47. 210) Livius X, 23. 33. 47.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/295>, abgerufen am 22.11.2024.