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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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3. Das religiöse Prinzip -- der homo sacer. §. 18.
brecher sich selbst durch seine Flucht faktisch von der Gemein-
schaft ausgeschlossen hatte, noch ein Beschluß des Volks erfolgte,
wodurch dasselbe ihn auch seinerseits ausstieß. Dies war die
aqua et igni interdictio. Sie ist nämlich nicht eine gewöhnliche
Verbannung, sondern sie hat eine religiöse Beziehung, es be-
thätigt sich in ihr die Sorge für die Erhaltung der Reinheit der
Gemeinschaft durch Säuberung derselben von unreinen Elemen-
ten. Denn Feuer 201) und Wasser sind Symbole der Reinheit,
und bei keinem Akte, der eine Gemeinschaft mit religiösen Be-
ziehungen begründen soll, z. B. dem Opfer, das Gott und Men-
schen einigt, der Eingehung der Ehe, eines Bündnisses u. s. w.
dürfen sie fehlen. 202) Nicht also als zum Leben unentbehrliche
Elemente, wie man gewöhnlich sagt, werden sie dem flüchtigen
Verbrecher daheim verweigert, sondern mit ihnen als den Sym-
bolen einer reinen Gemeinschaft, die der Verbrecher durch fer-
nern Gebrauch verunreinigen würde, wird ihm seine Theilnahme
an dieser Gemeinschaft entzogen. Was er an Gütern daheim
läßt, wird zum Tempel gebracht und zum Dienst der Götter ver-
wandt, 203) und so, indem die Gemeinde sich von der Person
wie der Habe des Verbrechers lossagt, darf sie der Hoffnung

sub voc.: denicales) das piaculum für den freigesprochenen Horatier (Liv.
I,
26) u. s. w.
201) So erklärt sich das Zusammentreffen von pur und Feuer mit pu-
rus,
rein, exfir, Reinigungsmittel (Festus h. v.), februare reinigen.
202) S. Hartung Religion der Römer Thl. 1 S. 198 flg. Pellegrino
Andeutung über den ursprünglichen Religionsunterschied der Patricier und
Plebejer S. 27 flg. Serv. ad Virg. Aen. IV, 103: aqua et igne adhibitis
u. XII, 119: Sane ad facienda foedera aqua et ignis adhibentur. Festus
sub voc. facem
u. aqua.
203) Hinsichtlich des Vermögens der Hingerichteten wird uns von Isidor
VI,
29 berichtet: supplicia dicuntur supplicationes, quae fiebant de bonis
passorum supplicia.
Das Vermögen des homo sacer wird in manchen
wirklichen und angeblichen Gesetzen ausdrücklich einem bestimmten Tem-
pel, namentlich dem der Ceres zugewiesen z. B. in den leges sacratae
Liv. III,
55.
18*

3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18.
brecher ſich ſelbſt durch ſeine Flucht faktiſch von der Gemein-
ſchaft ausgeſchloſſen hatte, noch ein Beſchluß des Volks erfolgte,
wodurch daſſelbe ihn auch ſeinerſeits ausſtieß. Dies war die
aqua et igni interdictio. Sie iſt nämlich nicht eine gewöhnliche
Verbannung, ſondern ſie hat eine religiöſe Beziehung, es be-
thätigt ſich in ihr die Sorge für die Erhaltung der Reinheit der
Gemeinſchaft durch Säuberung derſelben von unreinen Elemen-
ten. Denn Feuer 201) und Waſſer ſind Symbole der Reinheit,
und bei keinem Akte, der eine Gemeinſchaft mit religiöſen Be-
ziehungen begründen ſoll, z. B. dem Opfer, das Gott und Men-
ſchen einigt, der Eingehung der Ehe, eines Bündniſſes u. ſ. w.
dürfen ſie fehlen. 202) Nicht alſo als zum Leben unentbehrliche
Elemente, wie man gewöhnlich ſagt, werden ſie dem flüchtigen
Verbrecher daheim verweigert, ſondern mit ihnen als den Sym-
bolen einer reinen Gemeinſchaft, die der Verbrecher durch fer-
nern Gebrauch verunreinigen würde, wird ihm ſeine Theilnahme
an dieſer Gemeinſchaft entzogen. Was er an Gütern daheim
läßt, wird zum Tempel gebracht und zum Dienſt der Götter ver-
wandt, 203) und ſo, indem die Gemeinde ſich von der Perſon
wie der Habe des Verbrechers losſagt, darf ſie der Hoffnung

sub voc.: denicales) das piaculum für den freigeſprochenen Horatier (Liv.
I,
26) u. ſ. w.
201) So erklärt ſich das Zuſammentreffen von πῦϱ und Feuer mit pu-
rus,
rein, exfir, Reinigungsmittel (Festus h. v.), februare reinigen.
202) S. Hartung Religion der Römer Thl. 1 S. 198 flg. Pellegrino
Andeutung über den urſprünglichen Religionsunterſchied der Patricier und
Plebejer S. 27 flg. Serv. ad Virg. Aen. IV, 103: aqua et igne adhibitis
u. XII, 119: Sane ad facienda foedera aqua et ignis adhibentur. Festus
sub voc. facem
u. aqua.
203) Hinſichtlich des Vermögens der Hingerichteten wird uns von Isidor
VI,
29 berichtet: supplicia dicuntur supplicationes, quae fiebant de bonis
passorum supplicia.
Das Vermögen des homo sacer wird in manchen
wirklichen und angeblichen Geſetzen ausdrücklich einem beſtimmten Tem-
pel, namentlich dem der Ceres zugewieſen z. B. in den leges sacratae
Liv. III,
55.
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[275/0293] 3. Das religiöſe Prinzip — der homo sacer. §. 18. brecher ſich ſelbſt durch ſeine Flucht faktiſch von der Gemein- ſchaft ausgeſchloſſen hatte, noch ein Beſchluß des Volks erfolgte, wodurch daſſelbe ihn auch ſeinerſeits ausſtieß. Dies war die aqua et igni interdictio. Sie iſt nämlich nicht eine gewöhnliche Verbannung, ſondern ſie hat eine religiöſe Beziehung, es be- thätigt ſich in ihr die Sorge für die Erhaltung der Reinheit der Gemeinſchaft durch Säuberung derſelben von unreinen Elemen- ten. Denn Feuer 201) und Waſſer ſind Symbole der Reinheit, und bei keinem Akte, der eine Gemeinſchaft mit religiöſen Be- ziehungen begründen ſoll, z. B. dem Opfer, das Gott und Men- ſchen einigt, der Eingehung der Ehe, eines Bündniſſes u. ſ. w. dürfen ſie fehlen. 202) Nicht alſo als zum Leben unentbehrliche Elemente, wie man gewöhnlich ſagt, werden ſie dem flüchtigen Verbrecher daheim verweigert, ſondern mit ihnen als den Sym- bolen einer reinen Gemeinſchaft, die der Verbrecher durch fer- nern Gebrauch verunreinigen würde, wird ihm ſeine Theilnahme an dieſer Gemeinſchaft entzogen. Was er an Gütern daheim läßt, wird zum Tempel gebracht und zum Dienſt der Götter ver- wandt, 203) und ſo, indem die Gemeinde ſich von der Perſon wie der Habe des Verbrechers losſagt, darf ſie der Hoffnung 200) 201) So erklärt ſich das Zuſammentreffen von πῦϱ und Feuer mit pu- rus, rein, exfir, Reinigungsmittel (Festus h. v.), februare reinigen. 202) S. Hartung Religion der Römer Thl. 1 S. 198 flg. Pellegrino Andeutung über den urſprünglichen Religionsunterſchied der Patricier und Plebejer S. 27 flg. Serv. ad Virg. Aen. IV, 103: aqua et igne adhibitis u. XII, 119: Sane ad facienda foedera aqua et ignis adhibentur. Festus sub voc. facem u. aqua. 203) Hinſichtlich des Vermögens der Hingerichteten wird uns von Isidor VI, 29 berichtet: supplicia dicuntur supplicationes, quae fiebant de bonis passorum supplicia. Das Vermögen des homo sacer wird in manchen wirklichen und angeblichen Geſetzen ausdrücklich einem beſtimmten Tem- pel, namentlich dem der Ceres zugewieſen z. B. in den leges sacratae Liv. III, 55. 200) sub voc.: denicales) das piaculum für den freigeſprochenen Horatier (Liv. I, 26) u. ſ. w. 18*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/293>, abgerufen am 22.11.2024.