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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Einfluß der Wehrverfassung -- Volk und Heer identisch. §. 17.
in Rom ist diese Bildung vor sich gegangen, das Königthum
und die sonstigen militärisch-politischen Institutionen erscheinen
hier bereits als fertige, auf den neuen Staat nur übertragene;
aber wenn wir auch hinsichtlich ihrer, wie wir es bisher gethan
haben, nach einem Ausgangspunkt suchen, die Ideen zu ermitteln
streben, denen sie entwachsen sind, so werden wir, glaube ich,
stets auf jenes militärische Interesse zurückgewiesen, wie dies
jetzt ausgeführt werden soll.

Betrachten wir zuerst die Eintheilung des Volks. Es ergibt
sich auf den ersten Blick, daß dieselbe etwas gemachtes ist. Die
10 Curien der Tribus, die 10 Gentes der Curien sind nicht das
Resultat einer s. g. organischen Entwicklung, sondern sie sind
mit Absicht und eines Zweckes wegen eingerichtet. Worin be-
stand dieser Zweck? Fragen wir uns, wo das Bedürfniß einer
Eintheilung des Volks zuerst und am dringendsten sich zeigt.
Ohne Zweifel im Heerwesen. Die erste vom Staat eingeführte
mechanische Ordnung ist die Schlachtordnung, hier bedarf
es vor allem einer nach einem durchgehenden Zahlenverhältniß
geregelten Eintheilung des Volks. Bei den Römern und man-
chen germanischen Völkern finden wir das Decimalsystem, 142)
bei letztern ist die militärische Bestimmung der Eintheilung aus-
gemacht, bei den Römern kann sie meiner Ansicht nach keinem
gegründeten Zweifel unterliegen. Man lasse sich dadurch nicht
irre machen, daß diese Eintheilung zugleich politische und reli-
giöse Beziehungen hat, es besteht eben das Charakteristische
der ganzen Verfassung darin, daß die Wehrverfassung die
Grundformen des Staats bestimmt, die religiösen und poli-
tischen Interessen aber sich der dadurch gegebenen Ordnung an-
schmiegen. Man könnte das Verhältniß vielleicht am besten in
der Weise ausdrücken, daß man sagt: das Volk ist Heer, 143)

142) Bei einigen auch das Duodecimalsystem. S. Waitz a. a. O.
Beil. 2 S. 275 u. flg.
143) Bei den Germanen fand ursprünglich dieselbe Identität des Volks
und Heeres Statt. S. Waitz a. a. O. S. 32.
Jhering, Geist d. röm. Rechts. 16

2. Einfluß der Wehrverfaſſung — Volk und Heer identiſch. §. 17.
in Rom iſt dieſe Bildung vor ſich gegangen, das Königthum
und die ſonſtigen militäriſch-politiſchen Inſtitutionen erſcheinen
hier bereits als fertige, auf den neuen Staat nur übertragene;
aber wenn wir auch hinſichtlich ihrer, wie wir es bisher gethan
haben, nach einem Ausgangspunkt ſuchen, die Ideen zu ermitteln
ſtreben, denen ſie entwachſen ſind, ſo werden wir, glaube ich,
ſtets auf jenes militäriſche Intereſſe zurückgewieſen, wie dies
jetzt ausgeführt werden ſoll.

Betrachten wir zuerſt die Eintheilung des Volks. Es ergibt
ſich auf den erſten Blick, daß dieſelbe etwas gemachtes iſt. Die
10 Curien der Tribus, die 10 Gentes der Curien ſind nicht das
Reſultat einer ſ. g. organiſchen Entwicklung, ſondern ſie ſind
mit Abſicht und eines Zweckes wegen eingerichtet. Worin be-
ſtand dieſer Zweck? Fragen wir uns, wo das Bedürfniß einer
Eintheilung des Volks zuerſt und am dringendſten ſich zeigt.
Ohne Zweifel im Heerweſen. Die erſte vom Staat eingeführte
mechaniſche Ordnung iſt die Schlachtordnung, hier bedarf
es vor allem einer nach einem durchgehenden Zahlenverhältniß
geregelten Eintheilung des Volks. Bei den Römern und man-
chen germaniſchen Völkern finden wir das Decimalſyſtem, 142)
bei letztern iſt die militäriſche Beſtimmung der Eintheilung aus-
gemacht, bei den Römern kann ſie meiner Anſicht nach keinem
gegründeten Zweifel unterliegen. Man laſſe ſich dadurch nicht
irre machen, daß dieſe Eintheilung zugleich politiſche und reli-
giöſe Beziehungen hat, es beſteht eben das Charakteriſtiſche
der ganzen Verfaſſung darin, daß die Wehrverfaſſung die
Grundformen des Staats beſtimmt, die religiöſen und poli-
tiſchen Intereſſen aber ſich der dadurch gegebenen Ordnung an-
ſchmiegen. Man könnte das Verhältniß vielleicht am beſten in
der Weiſe ausdrücken, daß man ſagt: das Volk iſt Heer, 143)

142) Bei einigen auch das Duodecimalſyſtem. S. Waitz a. a. O.
Beil. 2 S. 275 u. flg.
143) Bei den Germanen fand urſprünglich dieſelbe Identität des Volks
und Heeres Statt. S. Waitz a. a. O. S. 32.
Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 16
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[241/0259] 2. Einfluß der Wehrverfaſſung — Volk und Heer identiſch. §. 17. in Rom iſt dieſe Bildung vor ſich gegangen, das Königthum und die ſonſtigen militäriſch-politiſchen Inſtitutionen erſcheinen hier bereits als fertige, auf den neuen Staat nur übertragene; aber wenn wir auch hinſichtlich ihrer, wie wir es bisher gethan haben, nach einem Ausgangspunkt ſuchen, die Ideen zu ermitteln ſtreben, denen ſie entwachſen ſind, ſo werden wir, glaube ich, ſtets auf jenes militäriſche Intereſſe zurückgewieſen, wie dies jetzt ausgeführt werden ſoll. Betrachten wir zuerſt die Eintheilung des Volks. Es ergibt ſich auf den erſten Blick, daß dieſelbe etwas gemachtes iſt. Die 10 Curien der Tribus, die 10 Gentes der Curien ſind nicht das Reſultat einer ſ. g. organiſchen Entwicklung, ſondern ſie ſind mit Abſicht und eines Zweckes wegen eingerichtet. Worin be- ſtand dieſer Zweck? Fragen wir uns, wo das Bedürfniß einer Eintheilung des Volks zuerſt und am dringendſten ſich zeigt. Ohne Zweifel im Heerweſen. Die erſte vom Staat eingeführte mechaniſche Ordnung iſt die Schlachtordnung, hier bedarf es vor allem einer nach einem durchgehenden Zahlenverhältniß geregelten Eintheilung des Volks. Bei den Römern und man- chen germaniſchen Völkern finden wir das Decimalſyſtem, 142) bei letztern iſt die militäriſche Beſtimmung der Eintheilung aus- gemacht, bei den Römern kann ſie meiner Anſicht nach keinem gegründeten Zweifel unterliegen. Man laſſe ſich dadurch nicht irre machen, daß dieſe Eintheilung zugleich politiſche und reli- giöſe Beziehungen hat, es beſteht eben das Charakteriſtiſche der ganzen Verfaſſung darin, daß die Wehrverfaſſung die Grundformen des Staats beſtimmt, die religiöſen und poli- tiſchen Intereſſen aber ſich der dadurch gegebenen Ordnung an- ſchmiegen. Man könnte das Verhältniß vielleicht am beſten in der Weiſe ausdrücken, daß man ſagt: das Volk iſt Heer, 143) 142) Bei einigen auch das Duodecimalſyſtem. S. Waitz a. a. O. Beil. 2 S. 275 u. flg. 143) Bei den Germanen fand urſprünglich dieſelbe Identität des Volks und Heeres Statt. S. Waitz a. a. O. S. 32. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 16

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/259>, abgerufen am 22.11.2024.