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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Die Nichtbürger -- Die Clientel. §. 16.
tritt; rechtlich sind beide gänzlich seiner Gewalt unterworfen.
Nur die Sitte und die Pietät des Verhältnisses schützt beide
gegen den Mißbrauch dieser Gewalt. Ein angebliches Gesetz
von Romulus erklärte den Patron für vogelfrei, der seinen Cli-
enten betrogen, und auf der Stufenleiter der Pflichten, die uns
Gellius aufbewahrt hat, nahm die gegen den Clienten eine aus-
gezeichnete Stelle ein. 132)

War jener Vergleich des Patronats mit der patria potestas
nicht bloß von der persönlichen Seite des Verhältnisses herge-
nommen, sondern auch für die vermögensrechtliche Stellung der
Clienten zutreffend, so würde letztere sich nach den Grundsätzen
über das Pekulium des Haussohns bestimmen lassen. Faktisch
zwar können beide ein eignes Vermögen haben, allein juristisch
gilt ihr Gewalthaber als Subjekt desselben und vertritt sie so-
wohl activ als passiv gegenüber dritten Personen. Diese active
Vertretung, die Klagerhebung für den Clienten, ist der Zweck
des Verhältnisses; 133) juristisch erscheint sie aber nicht als Stell-
vertretung, sondern als Geltendmachung eines dem Patron
selbst zustehenden Rechts. Bei der passiven Vertretung, die eine
nothwendige Folge des Verhältnisses war, haftete der Patron
vielleicht nach Analogie der Pekulien- und der Noxal-Klage
d. h. je nach Umständen bis zum Betrage des Vermögens seines
Clienten oder auf Auslieferung (noxae deditio) seiner Person.
Während aber, um diese active und passive Vertretung möglich
zu machen, der Patron juristisch als Innehaber jenes Vermö-
gens angesehn wird, also auch die unbeschränkteste Dispositions-
befugniß über dasselbe hat, so daß er z. B. es dem Clienten
völlig entziehen kann, legt die Sitte dem Patron mancherlei
Beschränkungen auf und verpflichtet ihn, dem Clienten das

132) Gellius V c. 13 ... patrem primum, deinde patronum proxi-
mum nomen habere .... neque clientes sine summa infamia deseri
possunt.
133) Daher patronus noch in späterer Zeit = Fürsprecher.

2. Der Staat — Die Nichtbürger — Die Clientel. §. 16.
tritt; rechtlich ſind beide gänzlich ſeiner Gewalt unterworfen.
Nur die Sitte und die Pietät des Verhältniſſes ſchützt beide
gegen den Mißbrauch dieſer Gewalt. Ein angebliches Geſetz
von Romulus erklärte den Patron für vogelfrei, der ſeinen Cli-
enten betrogen, und auf der Stufenleiter der Pflichten, die uns
Gellius aufbewahrt hat, nahm die gegen den Clienten eine aus-
gezeichnete Stelle ein. 132)

War jener Vergleich des Patronats mit der patria potestas
nicht bloß von der perſönlichen Seite des Verhältniſſes herge-
nommen, ſondern auch für die vermögensrechtliche Stellung der
Clienten zutreffend, ſo würde letztere ſich nach den Grundſätzen
über das Pekulium des Hausſohns beſtimmen laſſen. Faktiſch
zwar können beide ein eignes Vermögen haben, allein juriſtiſch
gilt ihr Gewalthaber als Subjekt deſſelben und vertritt ſie ſo-
wohl activ als paſſiv gegenüber dritten Perſonen. Dieſe active
Vertretung, die Klagerhebung für den Clienten, iſt der Zweck
des Verhältniſſes; 133) juriſtiſch erſcheint ſie aber nicht als Stell-
vertretung, ſondern als Geltendmachung eines dem Patron
ſelbſt zuſtehenden Rechts. Bei der paſſiven Vertretung, die eine
nothwendige Folge des Verhältniſſes war, haftete der Patron
vielleicht nach Analogie der Pekulien- und der Noxal-Klage
d. h. je nach Umſtänden bis zum Betrage des Vermögens ſeines
Clienten oder auf Auslieferung (noxae deditio) ſeiner Perſon.
Während aber, um dieſe active und paſſive Vertretung möglich
zu machen, der Patron juriſtiſch als Innehaber jenes Vermö-
gens angeſehn wird, alſo auch die unbeſchränkteſte Dispoſitions-
befugniß über daſſelbe hat, ſo daß er z. B. es dem Clienten
völlig entziehen kann, legt die Sitte dem Patron mancherlei
Beſchränkungen auf und verpflichtet ihn, dem Clienten das

132) Gellius V c. 13 … patrem primum, deinde patronum proxi-
mum nomen habere .... neque clientes sine summa infamia deseri
possunt.
133) Daher patronus noch in ſpäterer Zeit = Fürſprecher.
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[231/0249] 2. Der Staat — Die Nichtbürger — Die Clientel. §. 16. tritt; rechtlich ſind beide gänzlich ſeiner Gewalt unterworfen. Nur die Sitte und die Pietät des Verhältniſſes ſchützt beide gegen den Mißbrauch dieſer Gewalt. Ein angebliches Geſetz von Romulus erklärte den Patron für vogelfrei, der ſeinen Cli- enten betrogen, und auf der Stufenleiter der Pflichten, die uns Gellius aufbewahrt hat, nahm die gegen den Clienten eine aus- gezeichnete Stelle ein. 132) War jener Vergleich des Patronats mit der patria potestas nicht bloß von der perſönlichen Seite des Verhältniſſes herge- nommen, ſondern auch für die vermögensrechtliche Stellung der Clienten zutreffend, ſo würde letztere ſich nach den Grundſätzen über das Pekulium des Hausſohns beſtimmen laſſen. Faktiſch zwar können beide ein eignes Vermögen haben, allein juriſtiſch gilt ihr Gewalthaber als Subjekt deſſelben und vertritt ſie ſo- wohl activ als paſſiv gegenüber dritten Perſonen. Dieſe active Vertretung, die Klagerhebung für den Clienten, iſt der Zweck des Verhältniſſes; 133) juriſtiſch erſcheint ſie aber nicht als Stell- vertretung, ſondern als Geltendmachung eines dem Patron ſelbſt zuſtehenden Rechts. Bei der paſſiven Vertretung, die eine nothwendige Folge des Verhältniſſes war, haftete der Patron vielleicht nach Analogie der Pekulien- und der Noxal-Klage d. h. je nach Umſtänden bis zum Betrage des Vermögens ſeines Clienten oder auf Auslieferung (noxae deditio) ſeiner Perſon. Während aber, um dieſe active und paſſive Vertretung möglich zu machen, der Patron juriſtiſch als Innehaber jenes Vermö- gens angeſehn wird, alſo auch die unbeſchränkteſte Dispoſitions- befugniß über daſſelbe hat, ſo daß er z. B. es dem Clienten völlig entziehen kann, legt die Sitte dem Patron mancherlei Beſchränkungen auf und verpflichtet ihn, dem Clienten das 132) Gellius V c. 13 … patrem primum, deinde patronum proxi- mum nomen habere .... neque clientes sine summa infamia deseri possunt. 133) Daher patronus noch in ſpäterer Zeit = Fürſprecher.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/249>, abgerufen am 22.11.2024.