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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Die Fremden -- das hospitium. §. 16.
und bahnte die Straßen des Friedens. In demselben Maße,
in dem der Handel zunahm, wurden diese Straßen geebneter
und ausgedehnter, so daß sie zuletzt über den größten Theil der
bekannten Welt reichten. Was das Christenthum in dieser Be-
ziehung der modernen Welt leistete, ersetzte der alten der Handel.

In welcher Weise verfuhr er dabei? Die beschränkteste
Form, deren er sich bediente, war das hospitium, 129) das von
unserer heutigen Gastfreundschaft ebensoweit entfernt ist, wie
aus demselben Grunde das Exil des Alterthums von unserer
heutigen Verbannung. Der Zweck des hospitium liegt nämlich
nicht sowohl in der gastlichen Aufnahme, obgleich es auch auf
diese mit gerichtet ist, als in der gegenseitigen Zusicherung des
Rechtsschutzes; es macht die Recht- und Schutzlosigkeit des
hostis dadurch unschädlich, daß der Gastfreund ihn unter seinen
rechtlichen Schutz nimmt und dessen Rechtsansprüche als die
seinigen vor Gericht vertritt. Gegen Betrug und Treulosigkeit
des Gastfreundes selbst gewährte das Recht keinen Schutz --
denn der hostis stand ja außerhalb des Rechts -- einen um so
höhern aber die Religion und Sitte. Gerade diese Schutzlosig-
keit desselben und das von seiner Seite bewiesene höchste Ver-
trauen stempelten einen Mißbrauch desselben zu einem der infa-
mirendsten und schmählichsten Vergehen, die das Alterthum
kannte.

Ein betriebsamer Kaufmann mochte nun aller Orten Gast-
freunde suchen, allein für einen ausgebreiteten Handelsverkehr
reichte doch diese private Gastfreundschaft nicht aus, und so
gingen öfter Staat und Staat dies Verhältniß mit einander
ein (hospitium publice datum). Eine höhere Stufe in der Ent-
wicklung des internationalen Verkehrs bezeichnete es, als man
Staatsverträge abschloß, wodurch den Angehörigen des einen
Staats gegen die des andern statt des mittelbaren, abgeleiteten
Schutzes, den das hospitium gewährte, ein unmittelbarer Schutz

129) Von hostem petere, den Fremden einladen.
15*

2. Der Staat — Die Fremden — das hospitium. §. 16.
und bahnte die Straßen des Friedens. In demſelben Maße,
in dem der Handel zunahm, wurden dieſe Straßen geebneter
und ausgedehnter, ſo daß ſie zuletzt über den größten Theil der
bekannten Welt reichten. Was das Chriſtenthum in dieſer Be-
ziehung der modernen Welt leiſtete, erſetzte der alten der Handel.

In welcher Weiſe verfuhr er dabei? Die beſchränkteſte
Form, deren er ſich bediente, war das hospitium, 129) das von
unſerer heutigen Gaſtfreundſchaft ebenſoweit entfernt iſt, wie
aus demſelben Grunde das Exil des Alterthums von unſerer
heutigen Verbannung. Der Zweck des hospitium liegt nämlich
nicht ſowohl in der gaſtlichen Aufnahme, obgleich es auch auf
dieſe mit gerichtet iſt, als in der gegenſeitigen Zuſicherung des
Rechtsſchutzes; es macht die Recht- und Schutzloſigkeit des
hostis dadurch unſchädlich, daß der Gaſtfreund ihn unter ſeinen
rechtlichen Schutz nimmt und deſſen Rechtsanſprüche als die
ſeinigen vor Gericht vertritt. Gegen Betrug und Treuloſigkeit
des Gaſtfreundes ſelbſt gewährte das Recht keinen Schutz —
denn der hostis ſtand ja außerhalb des Rechts — einen um ſo
höhern aber die Religion und Sitte. Gerade dieſe Schutzloſig-
keit deſſelben und das von ſeiner Seite bewieſene höchſte Ver-
trauen ſtempelten einen Mißbrauch deſſelben zu einem der infa-
mirendſten und ſchmählichſten Vergehen, die das Alterthum
kannte.

Ein betriebſamer Kaufmann mochte nun aller Orten Gaſt-
freunde ſuchen, allein für einen ausgebreiteten Handelsverkehr
reichte doch dieſe private Gaſtfreundſchaft nicht aus, und ſo
gingen öfter Staat und Staat dies Verhältniß mit einander
ein (hospitium publice datum). Eine höhere Stufe in der Ent-
wicklung des internationalen Verkehrs bezeichnete es, als man
Staatsverträge abſchloß, wodurch den Angehörigen des einen
Staats gegen die des andern ſtatt des mittelbaren, abgeleiteten
Schutzes, den das hospitium gewährte, ein unmittelbarer Schutz

129) Von hostem petere, den Fremden einladen.
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[227/0245] 2. Der Staat — Die Fremden — das hospitium. §. 16. und bahnte die Straßen des Friedens. In demſelben Maße, in dem der Handel zunahm, wurden dieſe Straßen geebneter und ausgedehnter, ſo daß ſie zuletzt über den größten Theil der bekannten Welt reichten. Was das Chriſtenthum in dieſer Be- ziehung der modernen Welt leiſtete, erſetzte der alten der Handel. In welcher Weiſe verfuhr er dabei? Die beſchränkteſte Form, deren er ſich bediente, war das hospitium, 129) das von unſerer heutigen Gaſtfreundſchaft ebenſoweit entfernt iſt, wie aus demſelben Grunde das Exil des Alterthums von unſerer heutigen Verbannung. Der Zweck des hospitium liegt nämlich nicht ſowohl in der gaſtlichen Aufnahme, obgleich es auch auf dieſe mit gerichtet iſt, als in der gegenſeitigen Zuſicherung des Rechtsſchutzes; es macht die Recht- und Schutzloſigkeit des hostis dadurch unſchädlich, daß der Gaſtfreund ihn unter ſeinen rechtlichen Schutz nimmt und deſſen Rechtsanſprüche als die ſeinigen vor Gericht vertritt. Gegen Betrug und Treuloſigkeit des Gaſtfreundes ſelbſt gewährte das Recht keinen Schutz — denn der hostis ſtand ja außerhalb des Rechts — einen um ſo höhern aber die Religion und Sitte. Gerade dieſe Schutzloſig- keit deſſelben und das von ſeiner Seite bewieſene höchſte Ver- trauen ſtempelten einen Mißbrauch deſſelben zu einem der infa- mirendſten und ſchmählichſten Vergehen, die das Alterthum kannte. Ein betriebſamer Kaufmann mochte nun aller Orten Gaſt- freunde ſuchen, allein für einen ausgebreiteten Handelsverkehr reichte doch dieſe private Gaſtfreundſchaft nicht aus, und ſo gingen öfter Staat und Staat dies Verhältniß mit einander ein (hospitium publice datum). Eine höhere Stufe in der Ent- wicklung des internationalen Verkehrs bezeichnete es, als man Staatsverträge abſchloß, wodurch den Angehörigen des einen Staats gegen die des andern ſtatt des mittelbaren, abgeleiteten Schutzes, den das hospitium gewährte, ein unmittelbarer Schutz 129) Von hostem petere, den Fremden einladen. 15*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/245>, abgerufen am 23.11.2024.