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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts.
cum gente aliqua neque amicitiam neque hospitium neque
foedus amicitiae causa factum habemus, hi hostes quidem non
sunt, quod autem ex nostro ad eos pervenerit, illorum fit et
liber homo noster ab eis captus servus fit eorum. Idemque
est, si ab illis ad nos aliquid perveniat.
Der Kriegsfuß also
gilt noch zu ihrer Zeit als das von vornherein gegebene völker-
rechtliche Verhältniß, der Friede, pax, ist erst das Resultat des
pacisci. Jener Kriegsfuß ist aber völlig gleichbedeutend mit
gänzlicher Rechtlosigkeit aller dem Staat, mit dem man nicht
paciscirt hat, angehörigen Individuen.

Diese Auffassung, die uns noch in so später Zeit ausdrück-
lich bezeugt wird, ergibt sich nun für die älteste Zeit als eine so
nothwendige Consequenz des ganzen Rechts, daß wir, auch ver-
lassen von allen positiven Zeugnissen, sie mit völliger Sicherheit
supponiren dürften. Die Anerkennung der privatrechtlichen
Rechtsfähigkeit des Fremden würde eine totale Scheidung des
Privatrechts vom öffentlichen, eine Selbständigkeit beider vor-
aussetzen. Wir haben aber gesehen, daß diese beiden Seiten des
Rechts ursprünglich ganz und gar in einander verwachsen sind,
daß ferner die Idee des vom Staate zu leistenden Rechtsschutzes
an einen mit dem Staat geschlossenen Vertrag anknüpft. Wie
hätte ein Fremder den Schutz des römischen Volks oder der
Magistrate fordern können, da die Bürger selbst sich denselben
erst ausdrücklich zusichern lassen mußten? Wie konnte er sich
auf römische Gesetze berufen, die doch nur eine Vereinbarung
der römischen Bürger unter sich enthielten, wie Theil zu nehmen
begehren an Institutionen, die sie für sich eingeführt?

Das römische Recht ist wie der Staat für die Römer da,
oder näher bezeichnet es ist beschränkt auf die Gentilitätsverbin-
dung. Gentilität und volle Rechtsfähigkeit, Nicht-Gentilität
und volle Rechtlosigkeit ist ursprünglich gleichbedeutend, es gibt
von vornherein keine Gradationen der Rechtsfähigkeit. Nur
wer innerhalb der Gens steht, ist ingenuus; wer draußen steht,
der ex-gens ist rechtlos, elend, extrarius est, qui extra focum,

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts.
cum gente aliqua neque amicitiam neque hospitium neque
foedus amicitiae causa factum habemus, hi hostes quidem non
sunt, quod autem ex nostro ad eos pervenerit, illorum fit et
liber homo noster ab eis captus servus fit eorum. Idemque
est, si ab illis ad nos aliquid perveniat.
Der Kriegsfuß alſo
gilt noch zu ihrer Zeit als das von vornherein gegebene völker-
rechtliche Verhältniß, der Friede, pax, iſt erſt das Reſultat des
pacisci. Jener Kriegsfuß iſt aber völlig gleichbedeutend mit
gänzlicher Rechtloſigkeit aller dem Staat, mit dem man nicht
paciscirt hat, angehörigen Individuen.

Dieſe Auffaſſung, die uns noch in ſo ſpäter Zeit ausdrück-
lich bezeugt wird, ergibt ſich nun für die älteſte Zeit als eine ſo
nothwendige Conſequenz des ganzen Rechts, daß wir, auch ver-
laſſen von allen poſitiven Zeugniſſen, ſie mit völliger Sicherheit
ſupponiren dürften. Die Anerkennung der privatrechtlichen
Rechtsfähigkeit des Fremden würde eine totale Scheidung des
Privatrechts vom öffentlichen, eine Selbſtändigkeit beider vor-
ausſetzen. Wir haben aber geſehen, daß dieſe beiden Seiten des
Rechts urſprünglich ganz und gar in einander verwachſen ſind,
daß ferner die Idee des vom Staate zu leiſtenden Rechtsſchutzes
an einen mit dem Staat geſchloſſenen Vertrag anknüpft. Wie
hätte ein Fremder den Schutz des römiſchen Volks oder der
Magiſtrate fordern können, da die Bürger ſelbſt ſich denſelben
erſt ausdrücklich zuſichern laſſen mußten? Wie konnte er ſich
auf römiſche Geſetze berufen, die doch nur eine Vereinbarung
der römiſchen Bürger unter ſich enthielten, wie Theil zu nehmen
begehren an Inſtitutionen, die ſie für ſich eingeführt?

Das römiſche Recht iſt wie der Staat für die Römer da,
oder näher bezeichnet es iſt beſchränkt auf die Gentilitätsverbin-
dung. Gentilität und volle Rechtsfähigkeit, Nicht-Gentilität
und volle Rechtloſigkeit iſt urſprünglich gleichbedeutend, es gibt
von vornherein keine Gradationen der Rechtsfähigkeit. Nur
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[220/0238] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts. cum gente aliqua neque amicitiam neque hospitium neque foedus amicitiae causa factum habemus, hi hostes quidem non sunt, quod autem ex nostro ad eos pervenerit, illorum fit et liber homo noster ab eis captus servus fit eorum. Idemque est, si ab illis ad nos aliquid perveniat. Der Kriegsfuß alſo gilt noch zu ihrer Zeit als das von vornherein gegebene völker- rechtliche Verhältniß, der Friede, pax, iſt erſt das Reſultat des pacisci. Jener Kriegsfuß iſt aber völlig gleichbedeutend mit gänzlicher Rechtloſigkeit aller dem Staat, mit dem man nicht paciscirt hat, angehörigen Individuen. Dieſe Auffaſſung, die uns noch in ſo ſpäter Zeit ausdrück- lich bezeugt wird, ergibt ſich nun für die älteſte Zeit als eine ſo nothwendige Conſequenz des ganzen Rechts, daß wir, auch ver- laſſen von allen poſitiven Zeugniſſen, ſie mit völliger Sicherheit ſupponiren dürften. Die Anerkennung der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit des Fremden würde eine totale Scheidung des Privatrechts vom öffentlichen, eine Selbſtändigkeit beider vor- ausſetzen. Wir haben aber geſehen, daß dieſe beiden Seiten des Rechts urſprünglich ganz und gar in einander verwachſen ſind, daß ferner die Idee des vom Staate zu leiſtenden Rechtsſchutzes an einen mit dem Staat geſchloſſenen Vertrag anknüpft. Wie hätte ein Fremder den Schutz des römiſchen Volks oder der Magiſtrate fordern können, da die Bürger ſelbſt ſich denſelben erſt ausdrücklich zuſichern laſſen mußten? Wie konnte er ſich auf römiſche Geſetze berufen, die doch nur eine Vereinbarung der römiſchen Bürger unter ſich enthielten, wie Theil zu nehmen begehren an Inſtitutionen, die ſie für ſich eingeführt? Das römiſche Recht iſt wie der Staat für die Römer da, oder näher bezeichnet es iſt beſchränkt auf die Gentilitätsverbin- dung. Gentilität und volle Rechtsfähigkeit, Nicht-Gentilität und volle Rechtloſigkeit iſt urſprünglich gleichbedeutend, es gibt von vornherein keine Gradationen der Rechtsfähigkeit. Nur wer innerhalb der Gens ſteht, iſt ingenuus; wer draußen ſteht, der ex-gens iſt rechtlos, elend, extrarius est, qui extra focum,

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/238>, abgerufen am 24.11.2024.