Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.
Die Lösung -- unsere heutige Wissenschaft. §. 2. dürfnisse dieses Publikums zu berücksichtigen gesucht, ohne doch,wie ich glaube, dadurch die Theilnahme meiner Fachgenossen auf eine zu schwere Probe gestellt zu haben. Ehr möchten umgekehrt neben dem wesentlichen Kern des Werks, der jedem Gebildeten verständlich sein wird, einzelne Ausführungen vorkommen, die sein Interesse nicht in Anspruch nehmen oder ohne Beihülfe eines Juristen ihm weniger zugänglich sind. Diese Berechnung auf zwei Leserkreise mag manchen unthunlich erscheinen, denn unter allen Umständen, könnte man sagen, geschieht daran für den einen schon zu viel, was für den andern eben ausreicht, und für jenen genügt wiederum, was für diesen zu wenig ist. Dies ist aber nur scheinbar, und gerade umgekehrt halte ich die Berück- sichtigung jener beiden Leserkreise bei wissenschaftlichen Gegen- ständen, die sich überhaupt für eine populäre Darstellungsweise eignen, -- und den vorliegenden zähle ich dazu -- für sehr vor- theilhaft. Die Rücksicht auf den Laien zwingt zur Klarheit, die Rücksicht auf den Leser vom Fach verhindert, daß diese Klarheit in Plattheit übergehe oder daß der Schriftsteller sich der Be- gründung seiner Behauptungen überhebe. Die Wissenschaft selbst kann dadurch nur gewinnen, daß man sie dem unbefange- nen Blicke des Laien bloß zu stellen versucht, indem man dadurch veranlaßt wird, aus Rücksicht auf ihn traditionelle Anordnungen und Begriffsformulirungen zu verändern, das den freien geisti- gen Blick nicht selten störende gelehrte Beiwerk fallen zu lassen, den wesentlichen Kern der Wissenschaft herauszusuchen und ohne Hülfe der Schulsprache faßlich darzustellen. Bedürfniß der Lösung unserer Aufgabe -- Unsere heutige Wissen- schaft und ihr wissenschaftlicher Apparat. -- II. Bedarf denn unsere Aufgabe noch erst der Lösung? Die Löſung — unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2. dürfniſſe dieſes Publikums zu berückſichtigen geſucht, ohne doch,wie ich glaube, dadurch die Theilnahme meiner Fachgenoſſen auf eine zu ſchwere Probe geſtellt zu haben. Ehr möchten umgekehrt neben dem weſentlichen Kern des Werks, der jedem Gebildeten verſtändlich ſein wird, einzelne Ausführungen vorkommen, die ſein Intereſſe nicht in Anſpruch nehmen oder ohne Beihülfe eines Juriſten ihm weniger zugänglich ſind. Dieſe Berechnung auf zwei Leſerkreiſe mag manchen unthunlich erſcheinen, denn unter allen Umſtänden, könnte man ſagen, geſchieht daran für den einen ſchon zu viel, was für den andern eben ausreicht, und für jenen genügt wiederum, was für dieſen zu wenig iſt. Dies iſt aber nur ſcheinbar, und gerade umgekehrt halte ich die Berück- ſichtigung jener beiden Leſerkreiſe bei wiſſenſchaftlichen Gegen- ſtänden, die ſich überhaupt für eine populäre Darſtellungsweiſe eignen, — und den vorliegenden zähle ich dazu — für ſehr vor- theilhaft. Die Rückſicht auf den Laien zwingt zur Klarheit, die Rückſicht auf den Leſer vom Fach verhindert, daß dieſe Klarheit in Plattheit übergehe oder daß der Schriftſteller ſich der Be- gründung ſeiner Behauptungen überhebe. Die Wiſſenſchaft ſelbſt kann dadurch nur gewinnen, daß man ſie dem unbefange- nen Blicke des Laien bloß zu ſtellen verſucht, indem man dadurch veranlaßt wird, aus Rückſicht auf ihn traditionelle Anordnungen und Begriffsformulirungen zu verändern, das den freien geiſti- gen Blick nicht ſelten ſtörende gelehrte Beiwerk fallen zu laſſen, den weſentlichen Kern der Wiſſenſchaft herauszuſuchen und ohne Hülfe der Schulſprache faßlich darzuſtellen. Bedürfniß der Löſung unſerer Aufgabe — Unſere heutige Wiſſen- ſchaft und ihr wiſſenſchaftlicher Apparat. — II. Bedarf denn unſere Aufgabe noch erſt der Löſung? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0023" n="5"/><fw place="top" type="header">Die Löſung — unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2.</fw><lb/> dürfniſſe dieſes Publikums zu berückſichtigen geſucht, ohne doch,<lb/> wie ich glaube, dadurch die Theilnahme meiner Fachgenoſſen auf<lb/> eine zu ſchwere Probe geſtellt zu haben. Ehr möchten umgekehrt<lb/> neben dem weſentlichen Kern des Werks, der jedem Gebildeten<lb/> verſtändlich ſein wird, einzelne Ausführungen vorkommen, die<lb/> ſein Intereſſe nicht in Anſpruch nehmen oder ohne Beihülfe eines<lb/> Juriſten ihm weniger zugänglich ſind. Dieſe Berechnung auf<lb/> zwei Leſerkreiſe mag manchen unthunlich erſcheinen, denn unter<lb/> allen Umſtänden, könnte man ſagen, geſchieht daran für den<lb/> einen ſchon zu viel, was für den andern eben ausreicht, und für<lb/> jenen genügt wiederum, was für dieſen zu wenig iſt. Dies iſt<lb/> aber nur ſcheinbar, und gerade umgekehrt halte ich die Berück-<lb/> ſichtigung jener beiden Leſerkreiſe bei wiſſenſchaftlichen Gegen-<lb/> ſtänden, die ſich überhaupt für eine populäre Darſtellungsweiſe<lb/> eignen, — und den vorliegenden zähle ich dazu — für ſehr vor-<lb/> theilhaft. Die Rückſicht auf den Laien zwingt zur Klarheit, die<lb/> Rückſicht auf den Leſer vom Fach verhindert, daß dieſe Klarheit<lb/> in Plattheit übergehe oder daß der Schriftſteller ſich der <hi rendition="#g">Be-<lb/> gründung</hi> ſeiner Behauptungen überhebe. Die Wiſſenſchaft<lb/> ſelbſt kann dadurch nur gewinnen, daß man ſie dem unbefange-<lb/> nen Blicke des Laien bloß zu ſtellen verſucht, indem man dadurch<lb/> veranlaßt wird, aus Rückſicht auf ihn traditionelle Anordnungen<lb/> und Begriffsformulirungen zu verändern, das den freien geiſti-<lb/> gen Blick nicht ſelten ſtörende gelehrte Beiwerk fallen zu laſſen,<lb/> den weſentlichen Kern der Wiſſenſchaft herauszuſuchen und ohne<lb/> Hülfe der Schulſprache faßlich darzuſtellen.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Bedürfniß der Löſung unſerer Aufgabe — Unſere heutige Wiſſen-<lb/> ſchaft und ihr wiſſenſchaftlicher Apparat. —</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Bedarf denn unſere Aufgabe noch erſt der Löſung?<lb/> Sollte man nicht erwarten, daß ſie bei der Fülle der geiſtigen Kraft,<lb/> über die das römiſche Recht ſeit Jahrhunderten geboten hat,<lb/> längſt gelöſt ſei? Zu allen Zeiten wiederholten ſich die Angriffe auf<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0023]
Die Löſung — unſere heutige Wiſſenſchaft. §. 2.
dürfniſſe dieſes Publikums zu berückſichtigen geſucht, ohne doch,
wie ich glaube, dadurch die Theilnahme meiner Fachgenoſſen auf
eine zu ſchwere Probe geſtellt zu haben. Ehr möchten umgekehrt
neben dem weſentlichen Kern des Werks, der jedem Gebildeten
verſtändlich ſein wird, einzelne Ausführungen vorkommen, die
ſein Intereſſe nicht in Anſpruch nehmen oder ohne Beihülfe eines
Juriſten ihm weniger zugänglich ſind. Dieſe Berechnung auf
zwei Leſerkreiſe mag manchen unthunlich erſcheinen, denn unter
allen Umſtänden, könnte man ſagen, geſchieht daran für den
einen ſchon zu viel, was für den andern eben ausreicht, und für
jenen genügt wiederum, was für dieſen zu wenig iſt. Dies iſt
aber nur ſcheinbar, und gerade umgekehrt halte ich die Berück-
ſichtigung jener beiden Leſerkreiſe bei wiſſenſchaftlichen Gegen-
ſtänden, die ſich überhaupt für eine populäre Darſtellungsweiſe
eignen, — und den vorliegenden zähle ich dazu — für ſehr vor-
theilhaft. Die Rückſicht auf den Laien zwingt zur Klarheit, die
Rückſicht auf den Leſer vom Fach verhindert, daß dieſe Klarheit
in Plattheit übergehe oder daß der Schriftſteller ſich der Be-
gründung ſeiner Behauptungen überhebe. Die Wiſſenſchaft
ſelbſt kann dadurch nur gewinnen, daß man ſie dem unbefange-
nen Blicke des Laien bloß zu ſtellen verſucht, indem man dadurch
veranlaßt wird, aus Rückſicht auf ihn traditionelle Anordnungen
und Begriffsformulirungen zu verändern, das den freien geiſti-
gen Blick nicht ſelten ſtörende gelehrte Beiwerk fallen zu laſſen,
den weſentlichen Kern der Wiſſenſchaft herauszuſuchen und ohne
Hülfe der Schulſprache faßlich darzuſtellen.
Bedürfniß der Löſung unſerer Aufgabe — Unſere heutige Wiſſen-
ſchaft und ihr wiſſenſchaftlicher Apparat. —
II. Bedarf denn unſere Aufgabe noch erſt der Löſung?
Sollte man nicht erwarten, daß ſie bei der Fülle der geiſtigen Kraft,
über die das römiſche Recht ſeit Jahrhunderten geboten hat,
längſt gelöſt ſei? Zu allen Zeiten wiederholten ſich die Angriffe auf
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/23 |
| Zitationshilfe: | Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/23>, abgerufen am 18.11.2024. |
