Erstes Buch -- Ausgangspunkte des römischen Rechts
Mit Hülfe nun der bisher betrachteten Formen des ältesten Rechts ließen sich alle wichtigeren Rechte unter Garantie des Volks stellen. Die Freiheit durch den census, die Ehe durch confarreatio und coemtio und folglich auch die väterliche Ge- walt über die aus dieser Ehe erzeugten Kinder, die Begründung der letzteren ohne Ehe durch arrogatio (die adoptio im engern Sinn erfolgt in Form der in jure cessio), die Vormundschaft durch Testament, das Eigenthum und die Rusticalservituten durch mancipatio (Urbanal- und persönliche Servituten durch in jure cessio), Obligationen durch nexum, Erbeseinsetzung, Legate u. s. w. durch die beiden öfters genannten Testaments- formen.
Die Bedeutung dieser Volksgarantie für die Entwicklung des Rechts besteht in folgendem. Zuerst in unmittelbar prakti- scher Beziehung darin, daß sie der Selbsthülfe den höchsten Grad der Sicherheit verlieh, indem sie die Versuche des Widerstandes in der Geburt unterdrückte; der Widerstand gegen den, der auf Grund eines vom Volk garantirten Geschäfts zur Selbsthülfe schritt, war Widerstand gegen das gesammte Volk, eine Provo- kation aller Bürger, ihre Schutzpflicht zu erfüllen. Sodann aber in rechtsphilosophischer Beziehung darin, daß diese Volks- garantie das Medium wird, durch das der Rechtsbegriff selbst eine höhere Stufe beschritt. Das Concrete war hier, wie so oft in der Geschichte des römischen Rechts, die Brücke zum Ab- stracten; aus dem Schutz der Rechte entwickelte sich der Schutz des Rechts. Die üblich gewordene Gewährleistung der ein- zelnen concreten Privat-Rechte setzt als Bodensatz die Idee an, daß das Privatrecht im abstracten Sinn Gegenstand der Fürsorge und der Gewährleistung des Staats sei, und aus der Berechtigung der Gemeinde, die nachgesuchte Garantie an Be- dingungen zu knüpfen, entwickelt sich die Idee, daß der Staat berechtigt sei, durch beschränkende Gesetze in das Gebiet des Privatrechts einzugreifen. Berechtigt der Schutz der Rechte zu Beschränkungen, so auch der Schutz des Rechts.
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts
Mit Hülfe nun der bisher betrachteten Formen des älteſten Rechts ließen ſich alle wichtigeren Rechte unter Garantie des Volks ſtellen. Die Freiheit durch den census, die Ehe durch confarreatio und coemtio und folglich auch die väterliche Ge- walt über die aus dieſer Ehe erzeugten Kinder, die Begründung der letzteren ohne Ehe durch arrogatio (die adoptio im engern Sinn erfolgt in Form der in jure cessio), die Vormundſchaft durch Teſtament, das Eigenthum und die Ruſticalſervituten durch mancipatio (Urbanal- und perſönliche Servituten durch in jure cessio), Obligationen durch nexum, Erbeseinſetzung, Legate u. ſ. w. durch die beiden öfters genannten Teſtaments- formen.
Die Bedeutung dieſer Volksgarantie für die Entwicklung des Rechts beſteht in folgendem. Zuerſt in unmittelbar prakti- ſcher Beziehung darin, daß ſie der Selbſthülfe den höchſten Grad der Sicherheit verlieh, indem ſie die Verſuche des Widerſtandes in der Geburt unterdrückte; der Widerſtand gegen den, der auf Grund eines vom Volk garantirten Geſchäfts zur Selbſthülfe ſchritt, war Widerſtand gegen das geſammte Volk, eine Provo- kation aller Bürger, ihre Schutzpflicht zu erfüllen. Sodann aber in rechtsphiloſophiſcher Beziehung darin, daß dieſe Volks- garantie das Medium wird, durch das der Rechtsbegriff ſelbſt eine höhere Stufe beſchritt. Das Concrete war hier, wie ſo oft in der Geſchichte des römiſchen Rechts, die Brücke zum Ab- ſtracten; aus dem Schutz der Rechte entwickelte ſich der Schutz des Rechts. Die üblich gewordene Gewährleiſtung der ein- zelnen concreten Privat-Rechte ſetzt als Bodenſatz die Idee an, daß das Privatrecht im abſtracten Sinn Gegenſtand der Fürſorge und der Gewährleiſtung des Staats ſei, und aus der Berechtigung der Gemeinde, die nachgeſuchte Garantie an Be- dingungen zu knüpfen, entwickelt ſich die Idee, daß der Staat berechtigt ſei, durch beſchränkende Geſetze in das Gebiet des Privatrechts einzugreifen. Berechtigt der Schutz der Rechte zu Beſchränkungen, ſo auch der Schutz des Rechts.
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Erſtes Buch — Ausgangspunkte des römiſchen Rechts
Mit Hülfe nun der bisher betrachteten Formen des älteſten
Rechts ließen ſich alle wichtigeren Rechte unter Garantie des
Volks ſtellen. Die Freiheit durch den census, die Ehe durch
confarreatio und coemtio und folglich auch die väterliche Ge-
walt über die aus dieſer Ehe erzeugten Kinder, die Begründung
der letzteren ohne Ehe durch arrogatio (die adoptio im engern
Sinn erfolgt in Form der in jure cessio), die Vormundſchaft
durch Teſtament, das Eigenthum und die Ruſticalſervituten
durch mancipatio (Urbanal- und perſönliche Servituten durch
in jure cessio), Obligationen durch nexum, Erbeseinſetzung,
Legate u. ſ. w. durch die beiden öfters genannten Teſtaments-
formen.
Die Bedeutung dieſer Volksgarantie für die Entwicklung
des Rechts beſteht in folgendem. Zuerſt in unmittelbar prakti-
ſcher Beziehung darin, daß ſie der Selbſthülfe den höchſten Grad
der Sicherheit verlieh, indem ſie die Verſuche des Widerſtandes
in der Geburt unterdrückte; der Widerſtand gegen den, der auf
Grund eines vom Volk garantirten Geſchäfts zur Selbſthülfe
ſchritt, war Widerſtand gegen das geſammte Volk, eine Provo-
kation aller Bürger, ihre Schutzpflicht zu erfüllen. Sodann
aber in rechtsphiloſophiſcher Beziehung darin, daß dieſe Volks-
garantie das Medium wird, durch das der Rechtsbegriff ſelbſt
eine höhere Stufe beſchritt. Das Concrete war hier, wie ſo oft
in der Geſchichte des römiſchen Rechts, die Brücke zum Ab-
ſtracten; aus dem Schutz der Rechte entwickelte ſich der Schutz
des Rechts. Die üblich gewordene Gewährleiſtung der ein-
zelnen concreten Privat-Rechte ſetzt als Bodenſatz die Idee
an, daß das Privatrecht im abſtracten Sinn Gegenſtand der
Fürſorge und der Gewährleiſtung des Staats ſei, und aus der
Berechtigung der Gemeinde, die nachgeſuchte Garantie an Be-
dingungen zu knüpfen, entwickelt ſich die Idee, daß der Staat
berechtigt ſei, durch beſchränkende Geſetze in das Gebiet des
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/226>, abgerufen am 05.07.2024.
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