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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Garantie der Rechte durch das Volk. §. 15.
stützte sich mittelbar auf die Autorität des Volks, das ihn ge-
wählt hatte. Diese Geschäftsform aber gehört nicht mehr dem
System der Selbsthülfe an, sondern einer Zeit, die das recht-
liche Verfahren bereits mit einer gewissen Freiheit zu handhaben
verstand, insofern sie es nämlich zum Mittel für einen fremden
Zweck machte. Gewiß ist auch, nachdem die in jure cessio
einmal aufgekommen, der Kreis ihrer Anwendbarkeit erst nach
und nach erweitert, und manche rechtliche Disposition, die
mittelst ihrer getroffen werden konnte, mag ursprünglich in einer
anderen Form vorgenommen sein, von der wir jetzt keine Kunde
mehr haben. So möchte ich z. B. für die Freilassung die Be-
wirkung derselben durch vindicta d. h. in jure cessio für eine
neuere, bequemere, weil jeder Zeit anwendbare Form halten
(wie denn auch von den Römern selbst der erste Fall ihrer An-
wendung im richtigen Takt erst in den Anfang der Republik
gelegt wird) gegenüber der älteren, lästigeren, weil nur alle 5
Jahr anwendbaren, Form durch census. Jene steht zu dieser
in demselben Verhältniß der Erleichterung hinsichtlich der Zeit
und der Vornahme des Akts, als das Mancipationstestament
zu der nur zwei Mal im Jahr Statt findenden Testamentser-
richtung vor den Comitien. Die Freilassung durch census ge-
währt uns einen unzweifelhaften Fall der mittelbaren Volks-
garantie; gewiß wurde diese Form auch bei andern Geschäften
z. B. Bestellung von Urbanalservituten, Uebertragung von
Eigenthum u. s. w. benutzt. Aber während für die Freilassung
die neuere Form der in jure cessio die ältere nicht verdrängt
hat, ist dies vielleicht bei manchen andern der Fall gewesen, und
in der in jure cessio mögen ebensosehr längst bekannte, an
lästigere Formen geknüpfte Geschäfte sich verjüngt, wie andere
in ihr zuerst eine sicherstellende Form gewonnen haben. Darum
ist es mir sehr bedenklich, von der Anwendbarkeit der in jure
cessio
Schlüsse auf das älteste Recht zu ziehen; sie hat in mei-
nen Augen nicht jenen ursprünglichen Charakter, wie die übrigen
eben genannten Formen.

2. Der Staat — Garantie der Rechte durch das Volk. §. 15.
ſtützte ſich mittelbar auf die Autorität des Volks, das ihn ge-
wählt hatte. Dieſe Geſchäftsform aber gehört nicht mehr dem
Syſtem der Selbſthülfe an, ſondern einer Zeit, die das recht-
liche Verfahren bereits mit einer gewiſſen Freiheit zu handhaben
verſtand, inſofern ſie es nämlich zum Mittel für einen fremden
Zweck machte. Gewiß iſt auch, nachdem die in jure cessio
einmal aufgekommen, der Kreis ihrer Anwendbarkeit erſt nach
und nach erweitert, und manche rechtliche Dispoſition, die
mittelſt ihrer getroffen werden konnte, mag urſprünglich in einer
anderen Form vorgenommen ſein, von der wir jetzt keine Kunde
mehr haben. So möchte ich z. B. für die Freilaſſung die Be-
wirkung derſelben durch vindicta d. h. in jure cessio für eine
neuere, bequemere, weil jeder Zeit anwendbare Form halten
(wie denn auch von den Römern ſelbſt der erſte Fall ihrer An-
wendung im richtigen Takt erſt in den Anfang der Republik
gelegt wird) gegenüber der älteren, läſtigeren, weil nur alle 5
Jahr anwendbaren, Form durch census. Jene ſteht zu dieſer
in demſelben Verhältniß der Erleichterung hinſichtlich der Zeit
und der Vornahme des Akts, als das Mancipationsteſtament
zu der nur zwei Mal im Jahr Statt findenden Teſtamentser-
richtung vor den Comitien. Die Freilaſſung durch census ge-
währt uns einen unzweifelhaften Fall der mittelbaren Volks-
garantie; gewiß wurde dieſe Form auch bei andern Geſchäften
z. B. Beſtellung von Urbanalſervituten, Uebertragung von
Eigenthum u. ſ. w. benutzt. Aber während für die Freilaſſung
die neuere Form der in jure cessio die ältere nicht verdrängt
hat, iſt dies vielleicht bei manchen andern der Fall geweſen, und
in der in jure cessio mögen ebenſoſehr längſt bekannte, an
läſtigere Formen geknüpfte Geſchäfte ſich verjüngt, wie andere
in ihr zuerſt eine ſicherſtellende Form gewonnen haben. Darum
iſt es mir ſehr bedenklich, von der Anwendbarkeit der in jure
cessio
Schlüſſe auf das älteſte Recht zu ziehen; ſie hat in mei-
nen Augen nicht jenen urſprünglichen Charakter, wie die übrigen
eben genannten Formen.

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[207/0225] 2. Der Staat — Garantie der Rechte durch das Volk. §. 15. ſtützte ſich mittelbar auf die Autorität des Volks, das ihn ge- wählt hatte. Dieſe Geſchäftsform aber gehört nicht mehr dem Syſtem der Selbſthülfe an, ſondern einer Zeit, die das recht- liche Verfahren bereits mit einer gewiſſen Freiheit zu handhaben verſtand, inſofern ſie es nämlich zum Mittel für einen fremden Zweck machte. Gewiß iſt auch, nachdem die in jure cessio einmal aufgekommen, der Kreis ihrer Anwendbarkeit erſt nach und nach erweitert, und manche rechtliche Dispoſition, die mittelſt ihrer getroffen werden konnte, mag urſprünglich in einer anderen Form vorgenommen ſein, von der wir jetzt keine Kunde mehr haben. So möchte ich z. B. für die Freilaſſung die Be- wirkung derſelben durch vindicta d. h. in jure cessio für eine neuere, bequemere, weil jeder Zeit anwendbare Form halten (wie denn auch von den Römern ſelbſt der erſte Fall ihrer An- wendung im richtigen Takt erſt in den Anfang der Republik gelegt wird) gegenüber der älteren, läſtigeren, weil nur alle 5 Jahr anwendbaren, Form durch census. Jene ſteht zu dieſer in demſelben Verhältniß der Erleichterung hinſichtlich der Zeit und der Vornahme des Akts, als das Mancipationsteſtament zu der nur zwei Mal im Jahr Statt findenden Teſtamentser- richtung vor den Comitien. Die Freilaſſung durch census ge- währt uns einen unzweifelhaften Fall der mittelbaren Volks- garantie; gewiß wurde dieſe Form auch bei andern Geſchäften z. B. Beſtellung von Urbanalſervituten, Uebertragung von Eigenthum u. ſ. w. benutzt. Aber während für die Freilaſſung die neuere Form der in jure cessio die ältere nicht verdrängt hat, iſt dies vielleicht bei manchen andern der Fall geweſen, und in der in jure cessio mögen ebenſoſehr längſt bekannte, an läſtigere Formen geknüpfte Geſchäfte ſich verjüngt, wie andere in ihr zuerſt eine ſicherſtellende Form gewonnen haben. Darum iſt es mir ſehr bedenklich, von der Anwendbarkeit der in jure cessio Schlüſſe auf das älteſte Recht zu ziehen; ſie hat in mei- nen Augen nicht jenen urſprünglichen Charakter, wie die übrigen eben genannten Formen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/225>, abgerufen am 29.11.2024.