Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- Verhältniß zum Privatrecht. §. 15. bei dem unsere Ausführung über das Prinzip des subjektivenWillens gewissermaßen ihre Probe zu bestehen hat, es ist dies nämlich: 4. Das Verhältniß des Staats zum Privatrecht. Nach einer verbreiteten Ansicht, die auf den ersten Blick et- Die von uns eben behauptete ursprüngliche Selbständigkeit 2. Der Staat — Verhältniß zum Privatrecht. §. 15. bei dem unſere Ausführung über das Prinzip des ſubjektivenWillens gewiſſermaßen ihre Probe zu beſtehen hat, es iſt dies nämlich: 4. Das Verhältniß des Staats zum Privatrecht. Nach einer verbreiteten Anſicht, die auf den erſten Blick et- Die von uns eben behauptete urſprüngliche Selbſtändigkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0223" n="205"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat — Verhältniß zum Privatrecht. §. 15.</fw><lb/> bei dem unſere Ausführung über das Prinzip des ſubjektiven<lb/> Willens gewiſſermaßen ihre Probe zu beſtehen hat, es iſt dies<lb/> nämlich:</p><lb/> <p>4. <hi rendition="#g">Das Verhältniß des Staats zum Privatrecht</hi>.</p><lb/> <p>Nach einer verbreiteten Anſicht, die auf den erſten Blick et-<lb/> was Scheinbares hat, hätte das Privatrecht in älteſter Zeit in<lb/> völliger Abhängigkeit vom Staat geſtanden und ſich erſt nach<lb/> und nach daraus befreit, während umgekehrt unſer Prinzip des<lb/> ſubjektiven Willens uns zur Annahme des gerade entgegenge-<lb/> ſetzten Extrems zwingt, nämlich der urſprünglichen völligen<lb/> Unabhängigkeit des Privatrechts vom Staat. Der Schein,<lb/> den jene Anſicht für ſich hat, beſteht in den öffentlichen Formen,<lb/> in denen das Privatrecht jener Zeit auftritt, ſo wie in der Gegen-<lb/> ſatzloſigkeit des geſammten Rechts, die wir in §. 19 berühren<lb/> werden. Aber gerade jene Formen beweiſen, daß der Staat an<lb/> ſich mit dem Privatrecht nichts zu thun hat, ſie werden eben nur<lb/> angewandt, um ihn mit demſelben in eine Beziehung zu ſetzen,<lb/> die von vornherein nicht exiſtirt. Jene Gegenſatzloſigkeit aber<lb/> beſteht nicht darin, daß der Staat das Privatrecht, ſondern das<lb/> Privatrecht den Staat dominirt d. h. daß der Staat nach pri-<lb/> vatrechtlichen Prinzipien conſtruirt iſt. Es wäre gegen alle<lb/> Geſchichte, daß der Staat das Privatrecht aus ſich ſollte ge-<lb/> boren haben; das Gefühl der individuellen Selbſtändigkeit iſt<lb/> das abſolut erſte, und erſt im mühſamen, allmähligen Kampfe<lb/> mit demſelben gelangt das Staatsprinzip zur Herrſchaft.</p><lb/> <p>Die von uns eben behauptete urſprüngliche Selbſtändigkeit<lb/> des Privatrechts iſt eine nothwendige Conſequenz des Prinzips<lb/> des ſubjektiven Willens. Der Staat kann auf indirektem Wege<lb/> einen Einfluß auf das Privatrecht ausüben, z. B. durch Ent-<lb/> ziehung politiſcher Rechte (Cenſor), aber er hat keine direkte<lb/> Macht über daſſelbe. Er hat das Privatrecht nicht verliehen<lb/> und darf es darum auch nicht beſchränken. Die Gemeinſchaft,<lb/> deren Ausdruck er iſt, beſchränkt ſich auf die öffentlichen d. h.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [205/0223]
2. Der Staat — Verhältniß zum Privatrecht. §. 15.
bei dem unſere Ausführung über das Prinzip des ſubjektiven
Willens gewiſſermaßen ihre Probe zu beſtehen hat, es iſt dies
nämlich:
4. Das Verhältniß des Staats zum Privatrecht.
Nach einer verbreiteten Anſicht, die auf den erſten Blick et-
was Scheinbares hat, hätte das Privatrecht in älteſter Zeit in
völliger Abhängigkeit vom Staat geſtanden und ſich erſt nach
und nach daraus befreit, während umgekehrt unſer Prinzip des
ſubjektiven Willens uns zur Annahme des gerade entgegenge-
ſetzten Extrems zwingt, nämlich der urſprünglichen völligen
Unabhängigkeit des Privatrechts vom Staat. Der Schein,
den jene Anſicht für ſich hat, beſteht in den öffentlichen Formen,
in denen das Privatrecht jener Zeit auftritt, ſo wie in der Gegen-
ſatzloſigkeit des geſammten Rechts, die wir in §. 19 berühren
werden. Aber gerade jene Formen beweiſen, daß der Staat an
ſich mit dem Privatrecht nichts zu thun hat, ſie werden eben nur
angewandt, um ihn mit demſelben in eine Beziehung zu ſetzen,
die von vornherein nicht exiſtirt. Jene Gegenſatzloſigkeit aber
beſteht nicht darin, daß der Staat das Privatrecht, ſondern das
Privatrecht den Staat dominirt d. h. daß der Staat nach pri-
vatrechtlichen Prinzipien conſtruirt iſt. Es wäre gegen alle
Geſchichte, daß der Staat das Privatrecht aus ſich ſollte ge-
boren haben; das Gefühl der individuellen Selbſtändigkeit iſt
das abſolut erſte, und erſt im mühſamen, allmähligen Kampfe
mit demſelben gelangt das Staatsprinzip zur Herrſchaft.
Die von uns eben behauptete urſprüngliche Selbſtändigkeit
des Privatrechts iſt eine nothwendige Conſequenz des Prinzips
des ſubjektiven Willens. Der Staat kann auf indirektem Wege
einen Einfluß auf das Privatrecht ausüben, z. B. durch Ent-
ziehung politiſcher Rechte (Cenſor), aber er hat keine direkte
Macht über daſſelbe. Er hat das Privatrecht nicht verliehen
und darf es darum auch nicht beſchränken. Die Gemeinſchaft,
deren Ausdruck er iſt, beſchränkt ſich auf die öffentlichen d. h.
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