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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- Das Gesetz ein Vertrag Aller. §. 15.
publica und privata. Eine lex publica ist ein Vertrag Aller,
und umgekehrt eine Privatvereinbarung ein Gesetz für die bei-
den Contrahenten. Wie nun der Privatvertrag, um wirksam
zu sein, die Angelegenheiten der Contrahenten zum Gegen-
stande haben muß, so gleichfalls der öffentliche Vertrag, die
lex, die Interessen sämmtlicher Bürger. Der Satz: jus publi-
cum privatorum pactis mutari non potest,
läßt sich dahin um-
drehen: jus privatum pactis publicis mutari non potest, d. h.
das Gesetz soll keine lex privi d. i. privi-legium einfüh-
ren. 112)

Die Wirkung des Gesetzes für den Einzelnen ist die eines
Vertrages, den er selbst mit abgeschlossen hat. 113) Eine Ueber-
tretung des Gesetzes ist also die Verletzung einer übernommenen
Verbindlichkeit, und je nachdem das Volk selbst oder ein Ein-
zelner das Subjekt ist, dem das jener Verbindlichkeit correspon-
dirende Recht zugedacht war, und das mithin durch die Ver-
letzung desselben beeinträchtigt wird, kann das Volk oder der
Einzelne zur Selbsthülfe schreiten.


Diese Wirkung des Gesetzes, daß jeder gebunden wird,
drückt der Ausdruck jus aus. Lex bezeichnet den Grund des
Rechts, den Akt des Auferlegens, jus die Folge, den dauern-
den Zustand des Gebundenseins. Die lex publica begründet
das jus im objektiven Sinn, die Rechtssätze; die lex privata,
der Vertrag, das jus im subjektiven Sinn, die Berechtigung.
Wie Gesetz und Vertrag, die später so weit auseinander gehn,
ursprünglich identisch gewesen sind, so auch Recht im objektiven
und subjektiven Sinn.

112) Der bekannte Satz aus den XII Tafeln: privilegia ne irro-
ganto
.
113) Ob er für oder gegen das Gesetz stimmte, oder an der Abstim-
mung keinen Antheil nahm, ist für diese Auffassung gleichgültig. Indem er
im Staate bleibt, erkennt er das Gesetz hinterher auch für sich als bin-
dend an.

2. Der Staat — Das Geſetz ein Vertrag Aller. §. 15.
publica und privata. Eine lex publica iſt ein Vertrag Aller,
und umgekehrt eine Privatvereinbarung ein Geſetz für die bei-
den Contrahenten. Wie nun der Privatvertrag, um wirkſam
zu ſein, die Angelegenheiten der Contrahenten zum Gegen-
ſtande haben muß, ſo gleichfalls der öffentliche Vertrag, die
lex, die Intereſſen ſämmtlicher Bürger. Der Satz: jus publi-
cum privatorum pactis mutari non potest,
läßt ſich dahin um-
drehen: jus privatum pactis publicis mutari non potest, d. h.
das Geſetz ſoll keine lex privi d. i. privi-legium einfüh-
ren. 112)

Die Wirkung des Geſetzes für den Einzelnen iſt die eines
Vertrages, den er ſelbſt mit abgeſchloſſen hat. 113) Eine Ueber-
tretung des Geſetzes iſt alſo die Verletzung einer übernommenen
Verbindlichkeit, und je nachdem das Volk ſelbſt oder ein Ein-
zelner das Subjekt iſt, dem das jener Verbindlichkeit correſpon-
dirende Recht zugedacht war, und das mithin durch die Ver-
letzung deſſelben beeinträchtigt wird, kann das Volk oder der
Einzelne zur Selbſthülfe ſchreiten.


Dieſe Wirkung des Geſetzes, daß jeder gebunden wird,
drückt der Ausdruck jus aus. Lex bezeichnet den Grund des
Rechts, den Akt des Auferlegens, jus die Folge, den dauern-
den Zuſtand des Gebundenſeins. Die lex publica begründet
das jus im objektiven Sinn, die Rechtsſätze; die lex privata,
der Vertrag, das jus im ſubjektiven Sinn, die Berechtigung.
Wie Geſetz und Vertrag, die ſpäter ſo weit auseinander gehn,
urſprünglich identiſch geweſen ſind, ſo auch Recht im objektiven
und ſubjektiven Sinn.

112) Der bekannte Satz aus den XII Tafeln: privilegia ne irro-
ganto
.
113) Ob er für oder gegen das Geſetz ſtimmte, oder an der Abſtim-
mung keinen Antheil nahm, iſt für dieſe Auffaſſung gleichgültig. Indem er
im Staate bleibt, erkennt er das Geſetz hinterher auch für ſich als bin-
dend an.
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[203/0221] 2. Der Staat — Das Geſetz ein Vertrag Aller. §. 15. publica und privata. Eine lex publica iſt ein Vertrag Aller, und umgekehrt eine Privatvereinbarung ein Geſetz für die bei- den Contrahenten. Wie nun der Privatvertrag, um wirkſam zu ſein, die Angelegenheiten der Contrahenten zum Gegen- ſtande haben muß, ſo gleichfalls der öffentliche Vertrag, die lex, die Intereſſen ſämmtlicher Bürger. Der Satz: jus publi- cum privatorum pactis mutari non potest, läßt ſich dahin um- drehen: jus privatum pactis publicis mutari non potest, d. h. das Geſetz ſoll keine lex privi d. i. privi-legium einfüh- ren. 112) Die Wirkung des Geſetzes für den Einzelnen iſt die eines Vertrages, den er ſelbſt mit abgeſchloſſen hat. 113) Eine Ueber- tretung des Geſetzes iſt alſo die Verletzung einer übernommenen Verbindlichkeit, und je nachdem das Volk ſelbſt oder ein Ein- zelner das Subjekt iſt, dem das jener Verbindlichkeit correſpon- dirende Recht zugedacht war, und das mithin durch die Ver- letzung deſſelben beeinträchtigt wird, kann das Volk oder der Einzelne zur Selbſthülfe ſchreiten. Dieſe Wirkung des Geſetzes, daß jeder gebunden wird, drückt der Ausdruck jus aus. Lex bezeichnet den Grund des Rechts, den Akt des Auferlegens, jus die Folge, den dauern- den Zuſtand des Gebundenſeins. Die lex publica begründet das jus im objektiven Sinn, die Rechtsſätze; die lex privata, der Vertrag, das jus im ſubjektiven Sinn, die Berechtigung. Wie Geſetz und Vertrag, die ſpäter ſo weit auseinander gehn, urſprünglich identiſch geweſen ſind, ſo auch Recht im objektiven und ſubjektiven Sinn. 112) Der bekannte Satz aus den XII Tafeln: privilegia ne irro- ganto. 113) Ob er für oder gegen das Geſetz ſtimmte, oder an der Abſtim- mung keinen Antheil nahm, iſt für dieſe Auffaſſung gleichgültig. Indem er im Staate bleibt, erkennt er das Geſetz hinterher auch für ſich als bin- dend an.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/221>, abgerufen am 25.11.2024.