Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts. Punkt aus müssen wir uns den Staat zu construiren suchen.Möge vorläufig unser Versuch den Schein einer aprioristischen Construction auf sich laden, im Verlaufe der Darstellung wird dieser Schein hoffentlich mehr und mehr schwinden, und ich halte meinen Zweck für völlig erreicht, wenn mir schließlich nur die bloße Möglichkeit meiner Ansicht zugestanden wird. Die erwiesene Möglichkeit einer Entstehung des römischen Staats aus dem subjektiven Prinzip heraus hat für die Annahme ihrer Wirklichkeit dasselbe Gewicht, das man jeder Hypothese ein- räumt, die zwei historisch beglaubigte Punkte durch eine Ver- bindungslinie zu verknüpfen weiß. Da die Geschichte wie die Natur keine Sprünge kennt, da beide das Größte aus dem klein- sten Keim hervorgehn lassen, so sind wir ganz in unserm Recht, wenn wir für den Staat und seine Institutionen uns nach ge- ringen Anfängen umsehn, sie an jenes sittliche Minimum, das wir bisher gefunden haben, anzuknüpfen versuchen. Vom Standpunkt des subjektiven Prinzips aus stellt sich die Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. Punkt aus müſſen wir uns den Staat zu conſtruiren ſuchen.Möge vorläufig unſer Verſuch den Schein einer aprioriſtiſchen Conſtruction auf ſich laden, im Verlaufe der Darſtellung wird dieſer Schein hoffentlich mehr und mehr ſchwinden, und ich halte meinen Zweck für völlig erreicht, wenn mir ſchließlich nur die bloße Möglichkeit meiner Anſicht zugeſtanden wird. Die erwieſene Möglichkeit einer Entſtehung des römiſchen Staats aus dem ſubjektiven Prinzip heraus hat für die Annahme ihrer Wirklichkeit daſſelbe Gewicht, das man jeder Hypotheſe ein- räumt, die zwei hiſtoriſch beglaubigte Punkte durch eine Ver- bindungslinie zu verknüpfen weiß. Da die Geſchichte wie die Natur keine Sprünge kennt, da beide das Größte aus dem klein- ſten Keim hervorgehn laſſen, ſo ſind wir ganz in unſerm Recht, wenn wir für den Staat und ſeine Inſtitutionen uns nach ge- ringen Anfängen umſehn, ſie an jenes ſittliche Minimum, das wir bisher gefunden haben, anzuknüpfen verſuchen. Vom Standpunkt des ſubjektiven Prinzips aus ſtellt ſich die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0212" n="194"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.</fw><lb/> Punkt aus müſſen wir uns den Staat zu conſtruiren ſuchen.<lb/> Möge vorläufig unſer Verſuch den Schein einer aprioriſtiſchen<lb/> Conſtruction auf ſich laden, im Verlaufe der Darſtellung wird<lb/> dieſer Schein hoffentlich mehr und mehr ſchwinden, und ich<lb/> halte meinen Zweck für völlig erreicht, wenn mir ſchließlich nur<lb/> die bloße <hi rendition="#g">Möglichkeit</hi> meiner Anſicht zugeſtanden wird. Die<lb/> erwieſene Möglichkeit einer Entſtehung des römiſchen Staats<lb/> aus dem ſubjektiven Prinzip heraus hat für die Annahme ihrer<lb/> Wirklichkeit daſſelbe Gewicht, das man jeder Hypotheſe ein-<lb/> räumt, die zwei hiſtoriſch beglaubigte Punkte durch eine Ver-<lb/> bindungslinie zu verknüpfen weiß. Da die Geſchichte wie die<lb/> Natur keine Sprünge kennt, da beide das Größte aus dem klein-<lb/> ſten Keim hervorgehn laſſen, ſo ſind wir ganz in unſerm Recht,<lb/> wenn wir für den Staat und ſeine Inſtitutionen uns nach ge-<lb/> ringen Anfängen umſehn, ſie an jenes ſittliche Minimum, das<lb/> wir bisher gefunden haben, anzuknüpfen verſuchen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Vom Standpunkt des ſubjektiven Prinzips aus ſtellt ſich die<lb/> ſtaatliche Gemeinſchaft als ein Vertragsverhältniß dar. Der<lb/> Zuſtand der <hi rendition="#g">Verträglichkeit</hi>, in dem der Einzelne mit dem<lb/> Einzelnen lebt, iſt die Folge eines ausdrücklichen oder ſtill-<lb/> ſchweigenden <hi rendition="#g">Vertrages</hi>, der Friede, <hi rendition="#aq">pax,</hi> die des <hi rendition="#aq">pactum.</hi><lb/> Das begründete Gemeinſchaftsverhältniß aber iſt das der<lb/><hi rendition="#g">Gleichheit</hi>, der <hi rendition="#g">Coordination</hi>, und nach innen hin läßt<lb/> ſich unter Aufrechthaltung dieſes Geſichtspunktes eine Rechts-<lb/> und Staatsentwicklung denken, wie dies im folgenden nachge-<lb/> wieſen werden ſoll. Aber ſowie Gefahren von außen drohen,<lb/> treibt die Macht der Umſtände, das Bedürfniß der Selbſterhal-<lb/> tung das Subordinationsverhältniß hervor. Der äußere Feind<lb/> kömmt der Entwicklung des Staats zu Hülfe, zwingt ihm eine<lb/> ſtreng militäriſche Ordnung und Verfaſſung auf, die zwar zu-<lb/> nächſt nur zur Abwehr des Feindes beſtimmt iſt, unvermerkt<lb/> aber eine Rückwirkung auf die innere Organiſation des Staats<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [194/0212]
Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
Punkt aus müſſen wir uns den Staat zu conſtruiren ſuchen.
Möge vorläufig unſer Verſuch den Schein einer aprioriſtiſchen
Conſtruction auf ſich laden, im Verlaufe der Darſtellung wird
dieſer Schein hoffentlich mehr und mehr ſchwinden, und ich
halte meinen Zweck für völlig erreicht, wenn mir ſchließlich nur
die bloße Möglichkeit meiner Anſicht zugeſtanden wird. Die
erwieſene Möglichkeit einer Entſtehung des römiſchen Staats
aus dem ſubjektiven Prinzip heraus hat für die Annahme ihrer
Wirklichkeit daſſelbe Gewicht, das man jeder Hypotheſe ein-
räumt, die zwei hiſtoriſch beglaubigte Punkte durch eine Ver-
bindungslinie zu verknüpfen weiß. Da die Geſchichte wie die
Natur keine Sprünge kennt, da beide das Größte aus dem klein-
ſten Keim hervorgehn laſſen, ſo ſind wir ganz in unſerm Recht,
wenn wir für den Staat und ſeine Inſtitutionen uns nach ge-
ringen Anfängen umſehn, ſie an jenes ſittliche Minimum, das
wir bisher gefunden haben, anzuknüpfen verſuchen.
Vom Standpunkt des ſubjektiven Prinzips aus ſtellt ſich die
ſtaatliche Gemeinſchaft als ein Vertragsverhältniß dar. Der
Zuſtand der Verträglichkeit, in dem der Einzelne mit dem
Einzelnen lebt, iſt die Folge eines ausdrücklichen oder ſtill-
ſchweigenden Vertrages, der Friede, pax, die des pactum.
Das begründete Gemeinſchaftsverhältniß aber iſt das der
Gleichheit, der Coordination, und nach innen hin läßt
ſich unter Aufrechthaltung dieſes Geſichtspunktes eine Rechts-
und Staatsentwicklung denken, wie dies im folgenden nachge-
wieſen werden ſoll. Aber ſowie Gefahren von außen drohen,
treibt die Macht der Umſtände, das Bedürfniß der Selbſterhal-
tung das Subordinationsverhältniß hervor. Der äußere Feind
kömmt der Entwicklung des Staats zu Hülfe, zwingt ihm eine
ſtreng militäriſche Ordnung und Verfaſſung auf, die zwar zu-
nächſt nur zur Abwehr des Feindes beſtimmt iſt, unvermerkt
aber eine Rückwirkung auf die innere Organiſation des Staats
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