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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Ausgangspunkte des röm. Rechts.
den Gentilgrundstücken. Je ausgedehnter der Kreis derer wird,
die zur ungetheilt-gemeinsamen Benutzung und zur klageweisen
Geltendmachung derselben berufen sind, um so mehr kann sich
der Gesichtspunkt, daß jeder hier sein eignes Recht ausübt, der
Beobachtung entziehen, und er mußte völlig verdrängt und aus-
geschlossen werden, als die Jurisprudenz die Theorie der juri-
stischen Personen aufbrachte und durchführte. An den res pu-
blicae
hatte jetzt der Staat als besonderes Rechtssubjekt Eigen-
thum; und wenn dennoch nach wie vor der Einzelne dieserhalb
klagte, so konnte man fortan in ihm nur einen Vertreter er-
blicken.

Neben dem Gesammteigenthum der Gentilen gab es nun,
wie wir oben zu begründen versuchten, auch Privateigenthum
an unbeweglichen wie beweglichen Sachen. Es ist bereits be-
merkt, daß die Ungebundenheit, mit der sich später die Idee des
Eigenthums entwickelt, mit der Gentilverfassung unvereinbar
war. Welcher Art die Beschränkungen waren, denen die Dispo-
sitionsbefugniß des Eigenthümers im Interesse der Gens un-
terlag, läßt sich für die Veräußerung einzelner Sachen nicht
näher bestimmen. 101)

Dahingegen glaube ich nachweisen zu können, daß die
Gens gegen die Gefahr, ein Gesammtvermögen zu ver-
lieren, gesichert war. Ein solcher Verlust war für sie auf dop-
pelte Weise möglich, nämlich theils durch Austritt, theils durch
testamentarische Dispositionen ihrer Mitglieder. Was jenen
ersten Fall anbetrifft, so ging das römische Recht von der An-
sicht aus, daß dem Bürger der Austritt aus dem Staatsver-
bande jeder Zeit frei stehe, und damit seine Rechte wie seine
Pflichten gegen den Staat und die Einzelnen erlöschen. Die
Gens konnte von ihrem Standpunkt aus der Aufgabe des
Staatsbürgerrechts nichts in den Weg legen; wer von ihr

101) Von der gänzlichen Entziehung der Dispositionsbefugniß durch
eine cura prodigi ist bereits oben die Rede gewesen.

Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts.
den Gentilgrundſtücken. Je ausgedehnter der Kreis derer wird,
die zur ungetheilt-gemeinſamen Benutzung und zur klageweiſen
Geltendmachung derſelben berufen ſind, um ſo mehr kann ſich
der Geſichtspunkt, daß jeder hier ſein eignes Recht ausübt, der
Beobachtung entziehen, und er mußte völlig verdrängt und aus-
geſchloſſen werden, als die Jurisprudenz die Theorie der juri-
ſtiſchen Perſonen aufbrachte und durchführte. An den res pu-
blicae
hatte jetzt der Staat als beſonderes Rechtsſubjekt Eigen-
thum; und wenn dennoch nach wie vor der Einzelne dieſerhalb
klagte, ſo konnte man fortan in ihm nur einen Vertreter er-
blicken.

Neben dem Geſammteigenthum der Gentilen gab es nun,
wie wir oben zu begründen verſuchten, auch Privateigenthum
an unbeweglichen wie beweglichen Sachen. Es iſt bereits be-
merkt, daß die Ungebundenheit, mit der ſich ſpäter die Idee des
Eigenthums entwickelt, mit der Gentilverfaſſung unvereinbar
war. Welcher Art die Beſchränkungen waren, denen die Dispo-
ſitionsbefugniß des Eigenthümers im Intereſſe der Gens un-
terlag, läßt ſich für die Veräußerung einzelner Sachen nicht
näher beſtimmen. 101)

Dahingegen glaube ich nachweiſen zu können, daß die
Gens gegen die Gefahr, ein Geſammtvermögen zu ver-
lieren, geſichert war. Ein ſolcher Verluſt war für ſie auf dop-
pelte Weiſe möglich, nämlich theils durch Austritt, theils durch
teſtamentariſche Dispoſitionen ihrer Mitglieder. Was jenen
erſten Fall anbetrifft, ſo ging das römiſche Recht von der An-
ſicht aus, daß dem Bürger der Austritt aus dem Staatsver-
bande jeder Zeit frei ſtehe, und damit ſeine Rechte wie ſeine
Pflichten gegen den Staat und die Einzelnen erlöſchen. Die
Gens konnte von ihrem Standpunkt aus der Aufgabe des
Staatsbürgerrechts nichts in den Weg legen; wer von ihr

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eine cura prodigi iſt bereits oben die Rede geweſen.
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[188/0206] Erſtes Buch — Ausgangspunkte des röm. Rechts. den Gentilgrundſtücken. Je ausgedehnter der Kreis derer wird, die zur ungetheilt-gemeinſamen Benutzung und zur klageweiſen Geltendmachung derſelben berufen ſind, um ſo mehr kann ſich der Geſichtspunkt, daß jeder hier ſein eignes Recht ausübt, der Beobachtung entziehen, und er mußte völlig verdrängt und aus- geſchloſſen werden, als die Jurisprudenz die Theorie der juri- ſtiſchen Perſonen aufbrachte und durchführte. An den res pu- blicae hatte jetzt der Staat als beſonderes Rechtsſubjekt Eigen- thum; und wenn dennoch nach wie vor der Einzelne dieſerhalb klagte, ſo konnte man fortan in ihm nur einen Vertreter er- blicken. Neben dem Geſammteigenthum der Gentilen gab es nun, wie wir oben zu begründen verſuchten, auch Privateigenthum an unbeweglichen wie beweglichen Sachen. Es iſt bereits be- merkt, daß die Ungebundenheit, mit der ſich ſpäter die Idee des Eigenthums entwickelt, mit der Gentilverfaſſung unvereinbar war. Welcher Art die Beſchränkungen waren, denen die Dispo- ſitionsbefugniß des Eigenthümers im Intereſſe der Gens un- terlag, läßt ſich für die Veräußerung einzelner Sachen nicht näher beſtimmen. 101) Dahingegen glaube ich nachweiſen zu können, daß die Gens gegen die Gefahr, ein Geſammtvermögen zu ver- lieren, geſichert war. Ein ſolcher Verluſt war für ſie auf dop- pelte Weiſe möglich, nämlich theils durch Austritt, theils durch teſtamentariſche Dispoſitionen ihrer Mitglieder. Was jenen erſten Fall anbetrifft, ſo ging das römiſche Recht von der An- ſicht aus, daß dem Bürger der Austritt aus dem Staatsver- bande jeder Zeit frei ſtehe, und damit ſeine Rechte wie ſeine Pflichten gegen den Staat und die Einzelnen erlöſchen. Die Gens konnte von ihrem Standpunkt aus der Aufgabe des Staatsbürgerrechts nichts in den Weg legen; wer von ihr 101) Von der gänzlichen Entziehung der Dispoſitionsbefugniß durch eine cura prodigi iſt bereits oben die Rede geweſen.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/206>, abgerufen am 24.11.2024.