Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.2. Der Staat -- 1. Familienprinzip. Gentilvermögen. §. 14. ist. 99) Die Popularklagen sind nun ihrer ursprünglichen Ideenach bestimmt, jenes eigenthümliche Verhältniß des ungetheilt-gemeinsamen Rechts zu schützen. Jedes Mitglied ist an sich klagberechtigt; wer wirklich Klage erhebt z. B. wegen Verletzung des gemeinsamen Begräbnisses, der ver- tritt dadurch, daß er sein eigenes Recht geltend macht, zu- gleich das Interesse seiner Genossen. Sein Klagfundament aber liegt in seinem eignen Recht, und der Umstand, daß seine Thätigkeit zugleich den andern zu Gute kömmt, gibt ihr keines- weges den Charakter der Stellvertretung. 100) Diese Klagen las- sen sich also wegen jener familienartigen Gemeinsamkeit, die sie zu schützen bestimmt sind, als Ausflüsse des Familienprinzips bezeichnen. Wenn die spätern römischen Juristen in ihnen eine Ausnahme von dem Grundsatz: nemo alieno nomine lege agere potest erblicken, nämlich als ob der Kläger mittelst ihrer das Recht und Interesse des Staats vertrete, so ist dies von ihrem Standpunkt aus richtig, für die ältere Zeit aber verkehrt, und zwar selbst für die res publicae verkehrt. Denn sowie die Gen- tilsachen nicht im Eigenthum der Gens als gedachter juristischer Persönlichkeit, sondern in dem der Gentilen stehen, so auch die res publicae nicht in dem des Staats, sondern sämmtlicher Staats- angehörigen. Der einzelne also, der z. B. wegen Verletzung der Landstraße klagt, stützt sich auf sein eignes Recht und In- teresse, nur daß die Beziehung dieser Sache zu ihm hier eine schwächere und weniger in die Augen springende ist, als bei 99) d. h. das ungetheilt-gemeinsame Eigenthum aller Mitglieder einer Corporation ward später als Eigenthum einer juristischen Person darge- stellt. Es wird vielleicht die Zeit kommen, wo man diesen Schritt wieder zu- rückmacht und mit Aufgabe dieser Fiction jenes natürliche Verhältniß juri- stisch zu construiren versucht. Wenn der Versuch erst für das deutsche Recht befriedigend gelungen ist, wird dies für das römische Recht schwerlich ohne Einfluß bleiben. 100) Es läßt sich hier der Satz anwenden, den die L. 12 pr. de reb.
auct. jud. (42. 5) enthält: aliquid ex ordine facit et ideo ceteris quoque prodest. 2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Gentilvermögen. §. 14. iſt. 99) Die Popularklagen ſind nun ihrer urſprünglichen Ideenach beſtimmt, jenes eigenthümliche Verhältniß des ungetheilt-gemeinſamen Rechts zu ſchützen. Jedes Mitglied iſt an ſich klagberechtigt; wer wirklich Klage erhebt z. B. wegen Verletzung des gemeinſamen Begräbniſſes, der ver- tritt dadurch, daß er ſein eigenes Recht geltend macht, zu- gleich das Intereſſe ſeiner Genoſſen. Sein Klagfundament aber liegt in ſeinem eignen Recht, und der Umſtand, daß ſeine Thätigkeit zugleich den andern zu Gute kömmt, gibt ihr keines- weges den Charakter der Stellvertretung. 100) Dieſe Klagen laſ- ſen ſich alſo wegen jener familienartigen Gemeinſamkeit, die ſie zu ſchützen beſtimmt ſind, als Ausflüſſe des Familienprinzips bezeichnen. Wenn die ſpätern römiſchen Juriſten in ihnen eine Ausnahme von dem Grundſatz: nemo alieno nomine lege agere potest erblicken, nämlich als ob der Kläger mittelſt ihrer das Recht und Intereſſe des Staats vertrete, ſo iſt dies von ihrem Standpunkt aus richtig, für die ältere Zeit aber verkehrt, und zwar ſelbſt für die res publicae verkehrt. Denn ſowie die Gen- tilſachen nicht im Eigenthum der Gens als gedachter juriſtiſcher Perſönlichkeit, ſondern in dem der Gentilen ſtehen, ſo auch die res publicae nicht in dem des Staats, ſondern ſämmtlicher Staats- angehörigen. Der einzelne alſo, der z. B. wegen Verletzung der Landſtraße klagt, ſtützt ſich auf ſein eignes Recht und In- tereſſe, nur daß die Beziehung dieſer Sache zu ihm hier eine ſchwächere und weniger in die Augen ſpringende iſt, als bei 99) d. h. das ungetheilt-gemeinſame Eigenthum aller Mitglieder einer Corporation ward ſpäter als Eigenthum einer juriſtiſchen Perſon darge- ſtellt. Es wird vielleicht die Zeit kommen, wo man dieſen Schritt wieder zu- rückmacht und mit Aufgabe dieſer Fiction jenes natürliche Verhältniß juri- ſtiſch zu conſtruiren verſucht. Wenn der Verſuch erſt für das deutſche Recht befriedigend gelungen iſt, wird dies für das römiſche Recht ſchwerlich ohne Einfluß bleiben. 100) Es läßt ſich hier der Satz anwenden, den die L. 12 pr. de reb.
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2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Gentilvermögen. §. 14.
iſt. 99) Die Popularklagen ſind nun ihrer urſprünglichen Idee
nach beſtimmt, jenes eigenthümliche Verhältniß des
ungetheilt-gemeinſamen Rechts zu ſchützen. Jedes
Mitglied iſt an ſich klagberechtigt; wer wirklich Klage erhebt
z. B. wegen Verletzung des gemeinſamen Begräbniſſes, der ver-
tritt dadurch, daß er ſein eigenes Recht geltend macht, zu-
gleich das Intereſſe ſeiner Genoſſen. Sein Klagfundament aber
liegt in ſeinem eignen Recht, und der Umſtand, daß ſeine
Thätigkeit zugleich den andern zu Gute kömmt, gibt ihr keines-
weges den Charakter der Stellvertretung. 100) Dieſe Klagen laſ-
ſen ſich alſo wegen jener familienartigen Gemeinſamkeit, die ſie
zu ſchützen beſtimmt ſind, als Ausflüſſe des Familienprinzips
bezeichnen. Wenn die ſpätern römiſchen Juriſten in ihnen eine
Ausnahme von dem Grundſatz: nemo alieno nomine lege agere
potest erblicken, nämlich als ob der Kläger mittelſt ihrer das
Recht und Intereſſe des Staats vertrete, ſo iſt dies von ihrem
Standpunkt aus richtig, für die ältere Zeit aber verkehrt, und
zwar ſelbſt für die res publicae verkehrt. Denn ſowie die Gen-
tilſachen nicht im Eigenthum der Gens als gedachter juriſtiſcher
Perſönlichkeit, ſondern in dem der Gentilen ſtehen, ſo auch die res
publicae nicht in dem des Staats, ſondern ſämmtlicher Staats-
angehörigen. Der einzelne alſo, der z. B. wegen Verletzung
der Landſtraße klagt, ſtützt ſich auf ſein eignes Recht und In-
tereſſe, nur daß die Beziehung dieſer Sache zu ihm hier eine
ſchwächere und weniger in die Augen ſpringende iſt, als bei
99) d. h. das ungetheilt-gemeinſame Eigenthum aller Mitglieder einer
Corporation ward ſpäter als Eigenthum einer juriſtiſchen Perſon darge-
ſtellt. Es wird vielleicht die Zeit kommen, wo man dieſen Schritt wieder zu-
rückmacht und mit Aufgabe dieſer Fiction jenes natürliche Verhältniß juri-
ſtiſch zu conſtruiren verſucht. Wenn der Verſuch erſt für das deutſche Recht
befriedigend gelungen iſt, wird dies für das römiſche Recht ſchwerlich ohne
Einfluß bleiben.
100) Es läßt ſich hier der Satz anwenden, den die L. 12 pr. de reb.
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