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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- 1. Familienprinzip. Einfluß aufs Vermögen. §. 14.
dann mit einem Salto mortale ins entgegengesetzte Extrem ein
völlig freies und ungebundenes Privateigenthum anzunehmen.
Die Wahrheit liegt zwischen beiden Extremen in der Mitte. Es
gab nämlich von jeher in Rom an Grund und Boden theils
öffentliches theils ein durch das Interesse der Gens gebundenes
Privateigenthum.

Das öffentliche Eigenthum des Staats, der ager publicus,
ist bekannt. Es unterliegt für mich aber keinem Zweifel, daß
dies Verhältniß sich keineswegs auf den Gesammtstaat be-
schränkte, vielmehr innerhalb jeder Gens sich wiederholte, ja
ehr umgekehrt von der Gens auf den Gesammtstaat, als von letz-
terem auf jene übertragen wurde. Ich berufe mich darauf, daß
die Gens den Staat im Kleinen darstellt, daß von den drei In-
teressen, die ihren höchsten Brennpunkt im Gesammtstaat fin-
den, den politischen, religiösen und militärischen, jedes an der
Gens ihren niedern hat, daß, wenn zur Versehung jener In-
teressen dort das Verhältniß des ager publicus nöthig ist, es
hier mindestens ebenso unentbehrlich erscheinen muß. Der
Schwerpunkt und die Lasten des ältesten Staates ruhen nicht
sowohl in und auf ihm selber, als in und auf den Gentes; be-
durfte er für das Dach, das er über die einzelnen Geschlechter-
häuser spannte, und das auf ihnen als auf seinen Pfeilern
ruhte, des ager publicus, so war dasselbe Bedürfniß für die ein-
zelne Gens in einem noch höhern Grade vorhanden.

Die Benutzung der Gentilgrundstücke läßt sich auf verschie-
denartige Weise denken, theils nämlich als eine allen Gentilen
gemeinsame und unentgeltliche, theils als eine getheilte und
entgeltliche, etwa auf Grund einer unter ihnen vorgenomme-
nen Verpachtung an die Meistbietenden. Das erste Verhältniß
fand zweifellos hinsichtlich der Gentilbegräbnisse Statt; 95) im
germanischen Geschlechterstaat finden wir es auch bei Ackerland, 96)

95) Göttling Gesch. der röm. Staatsverf. §. 40 a. E.
96) Caesar de bello Gallico IV. 1 VI. 22. S. darüber namentlich
von Sybel Entstehung des deutschen Königthums S. 5 u. flg.

2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Einfluß aufs Vermögen. §. 14.
dann mit einem Salto mortale ins entgegengeſetzte Extrem ein
völlig freies und ungebundenes Privateigenthum anzunehmen.
Die Wahrheit liegt zwiſchen beiden Extremen in der Mitte. Es
gab nämlich von jeher in Rom an Grund und Boden theils
öffentliches theils ein durch das Intereſſe der Gens gebundenes
Privateigenthum.

Das öffentliche Eigenthum des Staats, der ager publicus,
iſt bekannt. Es unterliegt für mich aber keinem Zweifel, daß
dies Verhältniß ſich keineswegs auf den Geſammtſtaat be-
ſchränkte, vielmehr innerhalb jeder Gens ſich wiederholte, ja
ehr umgekehrt von der Gens auf den Geſammtſtaat, als von letz-
terem auf jene übertragen wurde. Ich berufe mich darauf, daß
die Gens den Staat im Kleinen darſtellt, daß von den drei In-
tereſſen, die ihren höchſten Brennpunkt im Geſammtſtaat fin-
den, den politiſchen, religiöſen und militäriſchen, jedes an der
Gens ihren niedern hat, daß, wenn zur Verſehung jener In-
tereſſen dort das Verhältniß des ager publicus nöthig iſt, es
hier mindeſtens ebenſo unentbehrlich erſcheinen muß. Der
Schwerpunkt und die Laſten des älteſten Staates ruhen nicht
ſowohl in und auf ihm ſelber, als in und auf den Gentes; be-
durfte er für das Dach, das er über die einzelnen Geſchlechter-
häuſer ſpannte, und das auf ihnen als auf ſeinen Pfeilern
ruhte, des ager publicus, ſo war daſſelbe Bedürfniß für die ein-
zelne Gens in einem noch höhern Grade vorhanden.

Die Benutzung der Gentilgrundſtücke läßt ſich auf verſchie-
denartige Weiſe denken, theils nämlich als eine allen Gentilen
gemeinſame und unentgeltliche, theils als eine getheilte und
entgeltliche, etwa auf Grund einer unter ihnen vorgenomme-
nen Verpachtung an die Meiſtbietenden. Das erſte Verhältniß
fand zweifellos hinſichtlich der Gentilbegräbniſſe Statt; 95) im
germaniſchen Geſchlechterſtaat finden wir es auch bei Ackerland, 96)

95) Göttling Geſch. der röm. Staatsverf. §. 40 a. E.
96) Caesar de bello Gallico IV. 1 VI. 22. S. darüber namentlich
von Sybel Entſtehung des deutſchen Königthums S. 5 u. flg.
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[185/0203] 2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Einfluß aufs Vermögen. §. 14. dann mit einem Salto mortale ins entgegengeſetzte Extrem ein völlig freies und ungebundenes Privateigenthum anzunehmen. Die Wahrheit liegt zwiſchen beiden Extremen in der Mitte. Es gab nämlich von jeher in Rom an Grund und Boden theils öffentliches theils ein durch das Intereſſe der Gens gebundenes Privateigenthum. Das öffentliche Eigenthum des Staats, der ager publicus, iſt bekannt. Es unterliegt für mich aber keinem Zweifel, daß dies Verhältniß ſich keineswegs auf den Geſammtſtaat be- ſchränkte, vielmehr innerhalb jeder Gens ſich wiederholte, ja ehr umgekehrt von der Gens auf den Geſammtſtaat, als von letz- terem auf jene übertragen wurde. Ich berufe mich darauf, daß die Gens den Staat im Kleinen darſtellt, daß von den drei In- tereſſen, die ihren höchſten Brennpunkt im Geſammtſtaat fin- den, den politiſchen, religiöſen und militäriſchen, jedes an der Gens ihren niedern hat, daß, wenn zur Verſehung jener In- tereſſen dort das Verhältniß des ager publicus nöthig iſt, es hier mindeſtens ebenſo unentbehrlich erſcheinen muß. Der Schwerpunkt und die Laſten des älteſten Staates ruhen nicht ſowohl in und auf ihm ſelber, als in und auf den Gentes; be- durfte er für das Dach, das er über die einzelnen Geſchlechter- häuſer ſpannte, und das auf ihnen als auf ſeinen Pfeilern ruhte, des ager publicus, ſo war daſſelbe Bedürfniß für die ein- zelne Gens in einem noch höhern Grade vorhanden. Die Benutzung der Gentilgrundſtücke läßt ſich auf verſchie- denartige Weiſe denken, theils nämlich als eine allen Gentilen gemeinſame und unentgeltliche, theils als eine getheilte und entgeltliche, etwa auf Grund einer unter ihnen vorgenomme- nen Verpachtung an die Meiſtbietenden. Das erſte Verhältniß fand zweifellos hinſichtlich der Gentilbegräbniſſe Statt; 95) im germaniſchen Geſchlechterſtaat finden wir es auch bei Ackerland, 96) 95) Göttling Geſch. der röm. Staatsverf. §. 40 a. E. 96) Caesar de bello Gallico IV. 1 VI. 22. S. darüber namentlich von Sybel Entſtehung des deutſchen Königthums S. 5 u. flg.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/203>, abgerufen am 24.11.2024.