Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Der Staat -- 1. Familienprinzip. Gentil. Sittenpolizei. §. 14.
sondern das reine Produkt des Egoismus ist und die unsitt-
lichsten Consequenzen in sich schließt, mit der Sittlichkeit. Sie
schützt die Kinder, Frauen und Sklaven, die jenes Prinzip
der Gewalt des Hausherrn ohne Einschränkungen überliefert,
gegen grausame und tyrannische Behandlung. Glaubte der
Vater oder Ehemann zur Ausübung seines jus necis ac vitae
berechtigt zu sein, so lag nichts näher, als die Gens zur Assi-
stenz aufzufordern, und die Familiengerichte der spätern Zeit
sind schwerlich das Produkt dieser spätern Zeit, 87) sondern fin-
den ihren natürlichen Ausgangspunkt in der Gentilverfassung,
in der Sittenpolizei der Gens sowohl als in ihrer Verpflich-
tung, sich auch ihrer in der patria potestas stehenden Mitglie-
der anzunehmen. Die Gens mahnt ferner den Verschwender,
der nach der Consequenz des Eigenthumsbegriffes das Erbthum
seiner Väter durchbringen und die Seinen darben lassen, ja sie
selbst verkaufen kann, dem Unfug Einhalt zu thun. Beachtet
er die Mahnung nicht, so entzieht sie ihm die Vermögensadmi-
nistration durch eine cura prodigi. Daß wir in letzterer einen
Ausfluß und Rest des Familienprinzips vor uns haben, bedarf
wohl keiner Bemerkung; sie sichert ebenso sehr das Erbrecht der
nächsten Verwandten des Verschwenders, wie die Gens selbst
gegen die Gefahr, daß letzterer ihr demnächst zur Last falle.

Indem wir jetzt diese sittenpolizeiliche Gewalt der Gens ver-
lassen, mögen wir auch hier, wie wir es oben hinsichtlich ihrer
Unterstützungspflicht thaten, der politischen Bedeutung dersel-
ben gedenken. Diese Gewalt verlieh der festen korporativen
Stellung der Patricier erst ihren Abschluß. Ein Stand, der
fest zusammenhält und seine Mitglieder in der Noth unterstützt,
wird immer ein bedeutendes Uebergewicht über alle andern ha-
ben. Dies Uebergewicht läßt sich aber nur dann dauernd be-
haupten, wenn ein höherer Grad der Ehre und sittlicher Reinheit
den Widerspruch, der sich stets dagegen erheben wird, versöhnt.

87) Klenze Zeitschr. für hist. Rechtsw. Bd. 6 S. 21 u. flg.
12*

2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Gentil. Sittenpolizei. §. 14.
ſondern das reine Produkt des Egoismus iſt und die unſitt-
lichſten Conſequenzen in ſich ſchließt, mit der Sittlichkeit. Sie
ſchützt die Kinder, Frauen und Sklaven, die jenes Prinzip
der Gewalt des Hausherrn ohne Einſchränkungen überliefert,
gegen grauſame und tyranniſche Behandlung. Glaubte der
Vater oder Ehemann zur Ausübung ſeines jus necis ac vitae
berechtigt zu ſein, ſo lag nichts näher, als die Gens zur Aſſi-
ſtenz aufzufordern, und die Familiengerichte der ſpätern Zeit
ſind ſchwerlich das Produkt dieſer ſpätern Zeit, 87) ſondern fin-
den ihren natürlichen Ausgangspunkt in der Gentilverfaſſung,
in der Sittenpolizei der Gens ſowohl als in ihrer Verpflich-
tung, ſich auch ihrer in der patria potestas ſtehenden Mitglie-
der anzunehmen. Die Gens mahnt ferner den Verſchwender,
der nach der Conſequenz des Eigenthumsbegriffes das Erbthum
ſeiner Väter durchbringen und die Seinen darben laſſen, ja ſie
ſelbſt verkaufen kann, dem Unfug Einhalt zu thun. Beachtet
er die Mahnung nicht, ſo entzieht ſie ihm die Vermögensadmi-
niſtration durch eine cura prodigi. Daß wir in letzterer einen
Ausfluß und Reſt des Familienprinzips vor uns haben, bedarf
wohl keiner Bemerkung; ſie ſichert ebenſo ſehr das Erbrecht der
nächſten Verwandten des Verſchwenders, wie die Gens ſelbſt
gegen die Gefahr, daß letzterer ihr demnächſt zur Laſt falle.

Indem wir jetzt dieſe ſittenpolizeiliche Gewalt der Gens ver-
laſſen, mögen wir auch hier, wie wir es oben hinſichtlich ihrer
Unterſtützungspflicht thaten, der politiſchen Bedeutung derſel-
ben gedenken. Dieſe Gewalt verlieh der feſten korporativen
Stellung der Patricier erſt ihren Abſchluß. Ein Stand, der
feſt zuſammenhält und ſeine Mitglieder in der Noth unterſtützt,
wird immer ein bedeutendes Uebergewicht über alle andern ha-
ben. Dies Uebergewicht läßt ſich aber nur dann dauernd be-
haupten, wenn ein höherer Grad der Ehre und ſittlicher Reinheit
den Widerſpruch, der ſich ſtets dagegen erheben wird, verſöhnt.

87) Klenze Zeitſchr. für hiſt. Rechtsw. Bd. 6 S. 21 u. flg.
12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0197" n="179"/><fw place="top" type="header">2. Der Staat &#x2014; 1. Familienprinzip. Gentil. Sittenpolizei. §. 14.</fw><lb/>
&#x017F;ondern das reine Produkt des Egoismus i&#x017F;t und die un&#x017F;itt-<lb/>
lich&#x017F;ten Con&#x017F;equenzen in &#x017F;ich &#x017F;chließt, mit der Sittlichkeit. Sie<lb/>
&#x017F;chützt die Kinder, Frauen und Sklaven, die jenes Prinzip<lb/>
der Gewalt des Hausherrn ohne Ein&#x017F;chränkungen überliefert,<lb/>
gegen grau&#x017F;ame und tyranni&#x017F;che Behandlung. Glaubte der<lb/>
Vater oder Ehemann zur Ausübung &#x017F;eines <hi rendition="#aq">jus necis ac vitae</hi><lb/>
berechtigt zu &#x017F;ein, &#x017F;o lag nichts näher, als die Gens zur A&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;tenz aufzufordern, und die Familiengerichte der &#x017F;pätern Zeit<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;chwerlich das Produkt die&#x017F;er &#x017F;pätern Zeit, <note place="foot" n="87)">Klenze Zeit&#x017F;chr. für hi&#x017F;t. Rechtsw. Bd. 6 S. 21 u. flg.</note> &#x017F;ondern fin-<lb/>
den ihren natürlichen Ausgangspunkt in der Gentilverfa&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
in der Sittenpolizei der Gens &#x017F;owohl als in ihrer Verpflich-<lb/>
tung, &#x017F;ich auch ihrer in der <hi rendition="#aq">patria potestas</hi> &#x017F;tehenden Mitglie-<lb/>
der anzunehmen. Die Gens mahnt ferner den Ver&#x017F;chwender,<lb/>
der nach der Con&#x017F;equenz des Eigenthumsbegriffes das Erbthum<lb/>
&#x017F;einer Väter durchbringen und die Seinen darben la&#x017F;&#x017F;en, ja &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t verkaufen kann, dem Unfug Einhalt zu thun. Beachtet<lb/>
er die Mahnung nicht, &#x017F;o entzieht &#x017F;ie ihm die Vermögensadmi-<lb/>
ni&#x017F;tration durch eine <hi rendition="#aq">cura prodigi</hi>. Daß wir in letzterer einen<lb/>
Ausfluß und Re&#x017F;t des Familienprinzips vor uns haben, bedarf<lb/>
wohl keiner Bemerkung; &#x017F;ie &#x017F;ichert eben&#x017F;o &#x017F;ehr das Erbrecht der<lb/>
näch&#x017F;ten Verwandten des Ver&#x017F;chwenders, wie die Gens &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gegen die Gefahr, daß letzterer ihr demnäch&#x017F;t zur La&#x017F;t falle.</p><lb/>
                  <p>Indem wir jetzt die&#x017F;e &#x017F;ittenpolizeiliche Gewalt der Gens ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, mögen wir auch hier, wie wir es oben hin&#x017F;ichtlich ihrer<lb/>
Unter&#x017F;tützungspflicht thaten, der politi&#x017F;chen Bedeutung der&#x017F;el-<lb/>
ben gedenken. Die&#x017F;e Gewalt verlieh der fe&#x017F;ten korporativen<lb/>
Stellung der Patricier er&#x017F;t ihren Ab&#x017F;chluß. Ein Stand, der<lb/>
fe&#x017F;t zu&#x017F;ammenhält und &#x017F;eine Mitglieder in der Noth unter&#x017F;tützt,<lb/>
wird immer ein bedeutendes Uebergewicht über alle andern ha-<lb/>
ben. Dies Uebergewicht läßt &#x017F;ich aber nur dann dauernd be-<lb/>
haupten, wenn ein höherer Grad der Ehre und &#x017F;ittlicher Reinheit<lb/>
den Wider&#x017F;pruch, der &#x017F;ich &#x017F;tets dagegen erheben wird, ver&#x017F;öhnt.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0197] 2. Der Staat — 1. Familienprinzip. Gentil. Sittenpolizei. §. 14. ſondern das reine Produkt des Egoismus iſt und die unſitt- lichſten Conſequenzen in ſich ſchließt, mit der Sittlichkeit. Sie ſchützt die Kinder, Frauen und Sklaven, die jenes Prinzip der Gewalt des Hausherrn ohne Einſchränkungen überliefert, gegen grauſame und tyranniſche Behandlung. Glaubte der Vater oder Ehemann zur Ausübung ſeines jus necis ac vitae berechtigt zu ſein, ſo lag nichts näher, als die Gens zur Aſſi- ſtenz aufzufordern, und die Familiengerichte der ſpätern Zeit ſind ſchwerlich das Produkt dieſer ſpätern Zeit, 87) ſondern fin- den ihren natürlichen Ausgangspunkt in der Gentilverfaſſung, in der Sittenpolizei der Gens ſowohl als in ihrer Verpflich- tung, ſich auch ihrer in der patria potestas ſtehenden Mitglie- der anzunehmen. Die Gens mahnt ferner den Verſchwender, der nach der Conſequenz des Eigenthumsbegriffes das Erbthum ſeiner Väter durchbringen und die Seinen darben laſſen, ja ſie ſelbſt verkaufen kann, dem Unfug Einhalt zu thun. Beachtet er die Mahnung nicht, ſo entzieht ſie ihm die Vermögensadmi- niſtration durch eine cura prodigi. Daß wir in letzterer einen Ausfluß und Reſt des Familienprinzips vor uns haben, bedarf wohl keiner Bemerkung; ſie ſichert ebenſo ſehr das Erbrecht der nächſten Verwandten des Verſchwenders, wie die Gens ſelbſt gegen die Gefahr, daß letzterer ihr demnächſt zur Laſt falle. Indem wir jetzt dieſe ſittenpolizeiliche Gewalt der Gens ver- laſſen, mögen wir auch hier, wie wir es oben hinſichtlich ihrer Unterſtützungspflicht thaten, der politiſchen Bedeutung derſel- ben gedenken. Dieſe Gewalt verlieh der feſten korporativen Stellung der Patricier erſt ihren Abſchluß. Ein Stand, der feſt zuſammenhält und ſeine Mitglieder in der Noth unterſtützt, wird immer ein bedeutendes Uebergewicht über alle andern ha- ben. Dies Uebergewicht läßt ſich aber nur dann dauernd be- haupten, wenn ein höherer Grad der Ehre und ſittlicher Reinheit den Widerſpruch, der ſich ſtets dagegen erheben wird, verſöhnt. 87) Klenze Zeitſchr. für hiſt. Rechtsw. Bd. 6 S. 21 u. flg. 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/197
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/197>, abgerufen am 24.11.2024.