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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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2. Der Staat -- allgemeine Betrachtung. §. 13.
verschiedenen Verfassungen himmelweit auseinander gehen. Hin-
sichtlich der richterlichen Gewalt habe ich im vorigen Para-
graphen darzuthun gesucht, daß sie nicht aus der Idee staatlicher
Ueberordnung, sondern aus dem Prinzip des subjektiven Wil-
lens hervorgegangen ist; schon dies eine Beispiel muß uns be-
hutsam machen, uns lehren, daß wir uns nicht dabei beruhi-
gen dürfen, im alten römischen Staate die wesentlichen Be-
standtheile des heutigen wiedergefunden zu haben, sondern daß
wir vor allem den specifisch-staatlichen Gehalt derselben einer
Prüfung unterwerfen müssen.

Dies soll nun im nachfolgenden geschehen, und ich hoffe
zeigen zu können, daß dieser Gehalt, nämlich die Idee der Un-
terordnung der Individuen unter die Staatsgewalt, ein außer-
ordentlich geringer ist, sich nämlich beschränkt auf das militäri-
sche Interesse. Die Idee der Unterordnung erscheint meiner
Ansicht nach in Rom ursprünglich zuerst im Heerwesen. Eine
unabweisbare Nothwendigkeit schließt hier das Verhältniß der
Coordination der Individuen aus und setzt das der Subordi-
nation an deren Stelle. Im übrigen aber, soweit diese Rücksicht
nicht entgegentritt, ist Coordination das reguläre Verhältniß
der Gemeinschaft, und sowohl die gesetzgebende als strafrichter-
liche und polizeiliche Gewalt fügen sich diesem Gesichtspunkt.

Die Form dieses coordinirten Verhältnisses wird bestimmt
durch das Familienprinzip, es ist die des Geschlechterstaats.
Die älteste römische Verfassung enthält sonach eine Combination
zweier Prinzipien, eines coordinirenden, des Familienprinzips,
und eines subordinirenden, der Wehrverfassung. Der älteste
Staat steht mit seinen Füßen im Familienprinzip, mit seinen
Spitzen und Mittelgliedern in der Wehrverfassung, d. h. die
Gentes und die Stellung der Individuen innerhalb derselben
werden durch jenes Prinzip, die Curien, Tribus mit dem Kö-
nig und den Vorständen sämmtlicher Genossenschaften durch das
militärische Interesse bestimmt. Wir wollen, bevor wir die Ge-
stalt, die diese beiden Prinzipien dem römischen Staat und Recht

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2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13.
verſchiedenen Verfaſſungen himmelweit auseinander gehen. Hin-
ſichtlich der richterlichen Gewalt habe ich im vorigen Para-
graphen darzuthun geſucht, daß ſie nicht aus der Idee ſtaatlicher
Ueberordnung, ſondern aus dem Prinzip des ſubjektiven Wil-
lens hervorgegangen iſt; ſchon dies eine Beiſpiel muß uns be-
hutſam machen, uns lehren, daß wir uns nicht dabei beruhi-
gen dürfen, im alten römiſchen Staate die weſentlichen Be-
ſtandtheile des heutigen wiedergefunden zu haben, ſondern daß
wir vor allem den ſpecifiſch-ſtaatlichen Gehalt derſelben einer
Prüfung unterwerfen müſſen.

Dies ſoll nun im nachfolgenden geſchehen, und ich hoffe
zeigen zu können, daß dieſer Gehalt, nämlich die Idee der Un-
terordnung der Individuen unter die Staatsgewalt, ein außer-
ordentlich geringer iſt, ſich nämlich beſchränkt auf das militäri-
ſche Intereſſe. Die Idee der Unterordnung erſcheint meiner
Anſicht nach in Rom urſprünglich zuerſt im Heerweſen. Eine
unabweisbare Nothwendigkeit ſchließt hier das Verhältniß der
Coordination der Individuen aus und ſetzt das der Subordi-
nation an deren Stelle. Im übrigen aber, ſoweit dieſe Rückſicht
nicht entgegentritt, iſt Coordination das reguläre Verhältniß
der Gemeinſchaft, und ſowohl die geſetzgebende als ſtrafrichter-
liche und polizeiliche Gewalt fügen ſich dieſem Geſichtspunkt.

Die Form dieſes coordinirten Verhältniſſes wird beſtimmt
durch das Familienprinzip, es iſt die des Geſchlechterſtaats.
Die älteſte römiſche Verfaſſung enthält ſonach eine Combination
zweier Prinzipien, eines coordinirenden, des Familienprinzips,
und eines ſubordinirenden, der Wehrverfaſſung. Der älteſte
Staat ſteht mit ſeinen Füßen im Familienprinzip, mit ſeinen
Spitzen und Mittelgliedern in der Wehrverfaſſung, d. h. die
Gentes und die Stellung der Individuen innerhalb derſelben
werden durch jenes Prinzip, die Curien, Tribus mit dem Kö-
nig und den Vorſtänden ſämmtlicher Genoſſenſchaften durch das
militäriſche Intereſſe beſtimmt. Wir wollen, bevor wir die Ge-
ſtalt, die dieſe beiden Prinzipien dem römiſchen Staat und Recht

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[163/0181] 2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13. verſchiedenen Verfaſſungen himmelweit auseinander gehen. Hin- ſichtlich der richterlichen Gewalt habe ich im vorigen Para- graphen darzuthun geſucht, daß ſie nicht aus der Idee ſtaatlicher Ueberordnung, ſondern aus dem Prinzip des ſubjektiven Wil- lens hervorgegangen iſt; ſchon dies eine Beiſpiel muß uns be- hutſam machen, uns lehren, daß wir uns nicht dabei beruhi- gen dürfen, im alten römiſchen Staate die weſentlichen Be- ſtandtheile des heutigen wiedergefunden zu haben, ſondern daß wir vor allem den ſpecifiſch-ſtaatlichen Gehalt derſelben einer Prüfung unterwerfen müſſen. Dies ſoll nun im nachfolgenden geſchehen, und ich hoffe zeigen zu können, daß dieſer Gehalt, nämlich die Idee der Un- terordnung der Individuen unter die Staatsgewalt, ein außer- ordentlich geringer iſt, ſich nämlich beſchränkt auf das militäri- ſche Intereſſe. Die Idee der Unterordnung erſcheint meiner Anſicht nach in Rom urſprünglich zuerſt im Heerweſen. Eine unabweisbare Nothwendigkeit ſchließt hier das Verhältniß der Coordination der Individuen aus und ſetzt das der Subordi- nation an deren Stelle. Im übrigen aber, ſoweit dieſe Rückſicht nicht entgegentritt, iſt Coordination das reguläre Verhältniß der Gemeinſchaft, und ſowohl die geſetzgebende als ſtrafrichter- liche und polizeiliche Gewalt fügen ſich dieſem Geſichtspunkt. Die Form dieſes coordinirten Verhältniſſes wird beſtimmt durch das Familienprinzip, es iſt die des Geſchlechterſtaats. Die älteſte römiſche Verfaſſung enthält ſonach eine Combination zweier Prinzipien, eines coordinirenden, des Familienprinzips, und eines ſubordinirenden, der Wehrverfaſſung. Der älteſte Staat ſteht mit ſeinen Füßen im Familienprinzip, mit ſeinen Spitzen und Mittelgliedern in der Wehrverfaſſung, d. h. die Gentes und die Stellung der Individuen innerhalb derſelben werden durch jenes Prinzip, die Curien, Tribus mit dem Kö- nig und den Vorſtänden ſämmtlicher Genoſſenſchaften durch das militäriſche Intereſſe beſtimmt. Wir wollen, bevor wir die Ge- ſtalt, die dieſe beiden Prinzipien dem römiſchen Staat und Recht 11*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/181>, abgerufen am 24.11.2024.