Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.I. Prinzip des subj. Willens -- vis die Quelle des Rechts. §. 10. römischen Männer sind nicht bloß männlichen Geschlechts, son-dern sie sind Krieger. Die römische Tugend, vir-tus, ist also ursprünglich der Besitz der Männlichkeit d. h. kriegerischer Tüch- tigkeit. Mit vir hängt dem Wortlaut und dieser altrömischen Auffassungsweise nach vis, die Kraft, Gewalt, zu nahe zusam- men, als daß man nicht auf eine ursprüngliche 23) etymologische Verwandschaft schließen möchte, so daß vis ursprünglich etwa als die Eigenschaft des vir aufgefaßt wäre. Ein Krieger, vir, mit der hasta seine vis bewährend und Personen und Sachen in seine manus bringend, wäre der persönliche Ausdruck der Idee, mit der wir uns hier beschäftigen. Der Name des Volks, Qui- rites hängt nach einer gewöhnlichen Ableitung gleichfalls hier- mit zusammen. Quiris, curis ist die altsabinische Lanze, die Quiriten also sind die Lanzenträger. Ueber die Ableitung von quiris möge mir erlaubt sein, eine Vermuthung zu äußern. Eine nahmhafte Auctorität 24) stellt die Abstammung der Wörter curia, decuria u. s. w. von com viria, decem viria als möglich hin. Curia, hiernach also die Männergemeinschaft, Mannschaft, sowie decuria, centuria hatte eine militärische Bedeutung ähnlich wie unser "Mannschaft"; es bezeichnete eine Heeresabtheilung, worüber im §. 17 ein näheres. Curia aber und curis oder qui- ris (cu- und qui- wechseln bekanntlich oft mit einander) stehen sich zu nahe, als daß man nicht eine ursprüngliche Verwand- schaft annehmen möchte. Ist nun curia von com-viria, Mann- schaft abgeleitet, so würde -- jene Verwandschaft angenommen -- von diesem Worte curis abstammen, und zwar in dem Sinn 23) Der Zusammenhang von vis und vir ist etymologisch möglich, denn das r des letzteren Wortes findet sich bei jenem noch im Plural. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 205, dem der Wegfall des r im Singular freilich nicht un- bedenklich erscheint. Da vir zu den wenigen Wörtern gehört, bei denen auch in der ältern lateinischen Sprache das r sich fand, so läßt sich hier ein Ueber- gang von s in r, der in der spätern Sprache bekanntlich sehr häufig vorkam, nicht annehmen. 24) Pott a. a. O. 1 S. 123. Jhering, Geist d. röm. Rechts. 8
I. Prinzip des ſubj. Willens — vis die Quelle des Rechts. §. 10. römiſchen Männer ſind nicht bloß männlichen Geſchlechts, ſon-dern ſie ſind Krieger. Die römiſche Tugend, vir-tus, iſt alſo urſprünglich der Beſitz der Männlichkeit d. h. kriegeriſcher Tüch- tigkeit. Mit vir hängt dem Wortlaut und dieſer altrömiſchen Auffaſſungsweiſe nach vis, die Kraft, Gewalt, zu nahe zuſam- men, als daß man nicht auf eine urſprüngliche 23) etymologiſche Verwandſchaft ſchließen möchte, ſo daß vis urſprünglich etwa als die Eigenſchaft des vir aufgefaßt wäre. Ein Krieger, vir, mit der hasta ſeine vis bewährend und Perſonen und Sachen in ſeine manus bringend, wäre der perſönliche Ausdruck der Idee, mit der wir uns hier beſchäftigen. Der Name des Volks, Qui- rites hängt nach einer gewöhnlichen Ableitung gleichfalls hier- mit zuſammen. Quiris, curis iſt die altſabiniſche Lanze, die Quiriten alſo ſind die Lanzenträger. Ueber die Ableitung von quiris möge mir erlaubt ſein, eine Vermuthung zu äußern. Eine nahmhafte Auctorität 24) ſtellt die Abſtammung der Wörter curia, decuria u. ſ. w. von com viria, decem viria als möglich hin. Curia, hiernach alſo die Männergemeinſchaft, Mannſchaft, ſowie decuria, centuria hatte eine militäriſche Bedeutung ähnlich wie unſer „Mannſchaft“; es bezeichnete eine Heeresabtheilung, worüber im §. 17 ein näheres. Curia aber und curis oder qui- ris (cu- und qui- wechſeln bekanntlich oft mit einander) ſtehen ſich zu nahe, als daß man nicht eine urſprüngliche Verwand- ſchaft annehmen möchte. Iſt nun curia von com-viria, Mann- ſchaft abgeleitet, ſo würde — jene Verwandſchaft angenommen — von dieſem Worte curis abſtammen, und zwar in dem Sinn 23) Der Zuſammenhang von vis und vir iſt etymologiſch möglich, denn das r des letzteren Wortes findet ſich bei jenem noch im Plural. S. Pott a. a. O. B. 1 S. 205, dem der Wegfall des r im Singular freilich nicht un- bedenklich erſcheint. Da vir zu den wenigen Wörtern gehört, bei denen auch in der ältern lateiniſchen Sprache das r ſich fand, ſo läßt ſich hier ein Ueber- gang von s in r, der in der ſpätern Sprache bekanntlich ſehr häufig vorkam, nicht annehmen. 24) Pott a. a. O. 1 S. 123. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. 8
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I. Prinzip des ſubj. Willens — vis die Quelle des Rechts. §. 10.
römiſchen Männer ſind nicht bloß männlichen Geſchlechts, ſon-
dern ſie ſind Krieger. Die römiſche Tugend, vir-tus, iſt alſo
urſprünglich der Beſitz der Männlichkeit d. h. kriegeriſcher Tüch-
tigkeit. Mit vir hängt dem Wortlaut und dieſer altrömiſchen
Auffaſſungsweiſe nach vis, die Kraft, Gewalt, zu nahe zuſam-
men, als daß man nicht auf eine urſprüngliche 23) etymologiſche
Verwandſchaft ſchließen möchte, ſo daß vis urſprünglich etwa
als die Eigenſchaft des vir aufgefaßt wäre. Ein Krieger, vir,
mit der hasta ſeine vis bewährend und Perſonen und Sachen
in ſeine manus bringend, wäre der perſönliche Ausdruck der Idee,
mit der wir uns hier beſchäftigen. Der Name des Volks, Qui-
rites hängt nach einer gewöhnlichen Ableitung gleichfalls hier-
mit zuſammen. Quiris, curis iſt die altſabiniſche Lanze, die
Quiriten alſo ſind die Lanzenträger. Ueber die Ableitung von
quiris möge mir erlaubt ſein, eine Vermuthung zu äußern.
Eine nahmhafte Auctorität 24) ſtellt die Abſtammung der Wörter
curia, decuria u. ſ. w. von com viria, decem viria als möglich
hin. Curia, hiernach alſo die Männergemeinſchaft, Mannſchaft,
ſowie decuria, centuria hatte eine militäriſche Bedeutung ähnlich
wie unſer „Mannſchaft“; es bezeichnete eine Heeresabtheilung,
worüber im §. 17 ein näheres. Curia aber und curis oder qui-
ris (cu- und qui- wechſeln bekanntlich oft mit einander) ſtehen
ſich zu nahe, als daß man nicht eine urſprüngliche Verwand-
ſchaft annehmen möchte. Iſt nun curia von com-viria, Mann-
ſchaft abgeleitet, ſo würde — jene Verwandſchaft angenommen —
von dieſem Worte curis abſtammen, und zwar in dem Sinn
23) Der Zuſammenhang von vis und vir iſt etymologiſch möglich, denn
das r des letzteren Wortes findet ſich bei jenem noch im Plural. S. Pott
a. a. O. B. 1 S. 205, dem der Wegfall des r im Singular freilich nicht un-
bedenklich erſcheint. Da vir zu den wenigen Wörtern gehört, bei denen auch
in der ältern lateiniſchen Sprache das r ſich fand, ſo läßt ſich hier ein Ueber-
gang von s in r, der in der ſpätern Sprache bekanntlich ſehr häufig vorkam,
nicht annehmen.
24) Pott a. a. O. 1 S. 123.
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