ein herrlicher Kutscher. Meiner ist höflich, bedachtsam, vorsorgend, stets heiter und wo Ham einen Durchfall in Gesicht und Ton bekäme, singt er. -- Gestern war in Amberg noch Kirchweihe; und der schöne glänzende "Wittelsbacher Hof" noch überfüllt; ich logierte daher, auf Wittelsbachische Empfehlung, weit davon im "Türken", wo freilich alles5 schlecht und ärmlich war, aber durch die große Zeche doch ein gewisses Ansehen bekam. Ich ließ daher, wegen der Entfernung und halb ver- drießlich, den Brief der Fr. v. Lochner nur übergeben. Mein jetziger Aufenthalt im schwarzen Bären ist vortrefflich. -- Der Kutscher pries gestern mein stündliches Wettererrathen. Für heute hatt' ich ihm noch10 schöneres Wetter zugesagt. Am Morgen mußten wir beide unsere Mäntel anziehen, weil es unaufhörlich regnete bis beinahe jetzo, wo ich (im Trocknen seßhaft) mehr Blau sehe. Also gerade die schönste Zeit und Stelle meiner Reise, worauf ich mich so lange spitzte, wurde mir von den Wolken grau versalzen; auf dem herrlichen weiten Halbkreis von15 Bergen (vor Schwandorf), den ich seit Jahren im Kopfe glänzen sah, standen die Regenwolken und an ihm hingen die großen Nebelflocken und Dämpfe als Propheten fortdauernder Einweichung. Was mich jedoch freuet, ist daß ich gewiß weiß, daß in München, wo keine schöne Natur zu sehen ist, dafür der Himmel desto schöner und blauer darüber20 schweben wird. Gewöhnlich bestell ich den Reisewagen ein Paar Minu- ten vor Regengüssen; und zwar darum, weil ich meine Abreisen immer einen Monat voraus vorkrähe -- dießmal gar 2 Monate -- und weil die Kinder mich an jedem schönen Tage erinnern und martern mit der Frage, warum ich nicht abreise. So ging ich denn dieses mal vor25 lauter Jammer über das Treiben, wie der Pudel, ins Wasser. Da du wünschtest, daß ich dir lieber gar nichts von Weibern schreiben soll: so hab' ich kaum das Herz, dir zu sagen, daß mir unter ein Paar Hunderten bei dem Hereinfahren nicht ein einziges erträgliches Gesicht vorgekommen. Find' ich aber künftig ein schönes: so kann30 ich dirs wol leichter sagen. Jetzo geh ich zu Westerholt.
... Ich bin wieder zurück. Ich hatte eine herrliche Andachtstunde mit ihm über Primas und seine Freunde, Gleichen u. a. Ein edles aus- gearbeitetes Gesicht und ein Kopf voll Gluth mit einem weinenden Auge! -- Alle Seinige waren über Land und er hatte nicht viel Zeit;35 aber die Stunde war mir genug.
ein herrlicher Kutſcher. Meiner iſt höflich, bedachtſam, vorſorgend, ſtets heiter und wo Ham einen Durchfall in Geſicht und Ton bekäme, ſingt er. — Geſtern war in Amberg noch Kirchweihe; und der ſchöne 〈glänzende〉 „Wittelsbacher Hof“ noch überfüllt; ich logierte daher, auf Wittelsbachiſche Empfehlung, weit davon im „Türken“, wo freilich alles5 ſchlecht und ärmlich war, aber durch die große Zeche doch ein gewiſſes Anſehen bekam. Ich ließ daher, wegen der Entfernung und halb ver- drießlich, den Brief der Fr. v. Lochner nur übergeben. Mein jetziger Aufenthalt im ſchwarzen Bären iſt vortrefflich. — Der Kutſcher pries geſtern mein ſtündliches Wettererrathen. Für heute hatt’ ich ihm noch10 ſchöneres Wetter zugeſagt. Am Morgen mußten wir beide unſere Mäntel anziehen, weil es unaufhörlich regnete bis beinahe jetzo, wo ich (im Trocknen ſeßhaft) mehr Blau ſehe. Alſo gerade die ſchönſte Zeit und Stelle meiner Reiſe, worauf ich mich ſo lange ſpitzte, wurde mir von den Wolken grau verſalzen; auf dem herrlichen weiten Halbkreis von15 Bergen (vor Schwandorf), den ich ſeit Jahren im Kopfe glänzen ſah, ſtanden die Regenwolken und an ihm hingen die großen Nebelflocken und Dämpfe als Propheten fortdauernder Einweichung. Was mich jedoch freuet, iſt daß ich gewiß weiß, daß in München, wo keine ſchöne Natur zu ſehen iſt, dafür der Himmel deſto ſchöner und blauer darüber20 ſchweben wird. Gewöhnlich beſtell ich den Reiſewagen ein Paar Minu- ten vor Regengüſſen; und zwar darum, weil ich meine Abreiſen immer einen Monat voraus vorkrähe — dießmal gar 2 Monate — und weil die Kinder mich an jedem ſchönen Tage erinnern und martern mit der Frage, warum ich nicht abreiſe. So ging ich denn dieſes mal vor25 lauter Jammer über das Treiben, wie der Pudel, ins Waſſer. Da du wünſchteſt, daß ich dir lieber gar nichts von Weibern ſchreiben ſoll: ſo hab’ ich kaum das Herz, dir zu ſagen, daß mir unter ein Paar Hunderten bei dem Hereinfahren nicht ein einziges erträgliches Geſicht vorgekommen. Find’ ich aber künftig ein ſchönes: ſo kann30 ich dirs wol leichter ſagen. Jetzo geh ich zu Westerholt.
... Ich bin wieder zurück. Ich hatte eine herrliche Andachtſtunde mit ihm über Primas und ſeine Freunde, Gleichen u. a. Ein edles aus- gearbeitetes Geſicht und ein Kopf voll Gluth mit einem weinenden Auge! — Alle Seinige waren über Land und er hatte nicht viel Zeit;35 aber die Stunde war mir genug.
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〈glänzende〉 „Wittelsbacher Hof“ noch überfüllt; ich logierte daher, auf
Wittelsbachiſche Empfehlung, weit davon im „Türken“, wo freilich alles 5
ſchlecht und ärmlich war, aber durch die große Zeche doch ein gewiſſes
Anſehen bekam. Ich ließ daher, wegen der Entfernung und halb ver-
drießlich, den Brief der Fr. v. Lochner nur übergeben. Mein jetziger
Aufenthalt im ſchwarzen Bären iſt vortrefflich. — Der Kutſcher pries
geſtern mein ſtündliches Wettererrathen. Für heute hatt’ ich ihm noch 10
ſchöneres Wetter zugeſagt. Am Morgen mußten wir beide unſere
Mäntel anziehen, weil es unaufhörlich regnete bis beinahe jetzo, wo ich
(im Trocknen ſeßhaft) mehr Blau ſehe. Alſo gerade die ſchönſte Zeit
und Stelle meiner Reiſe, worauf ich mich ſo lange ſpitzte, wurde mir von
den Wolken grau verſalzen; auf dem herrlichen weiten Halbkreis von 15
Bergen (vor Schwandorf), den ich ſeit Jahren im Kopfe glänzen ſah,
ſtanden die Regenwolken und an ihm hingen die großen Nebelflocken
und Dämpfe als Propheten fortdauernder Einweichung. Was mich
jedoch freuet, iſt daß ich gewiß weiß, daß in München, wo keine ſchöne
Natur zu ſehen iſt, dafür der Himmel deſto ſchöner und blauer darüber 20
ſchweben wird. Gewöhnlich beſtell ich den Reiſewagen ein Paar Minu-
ten vor Regengüſſen; und zwar darum, weil ich meine Abreiſen immer
einen Monat voraus vorkrähe — dießmal gar 2 Monate — und weil
die Kinder mich an jedem ſchönen Tage erinnern und martern mit
der Frage, warum ich nicht abreiſe. So ging ich denn dieſes mal vor 25
lauter Jammer über das Treiben, wie der Pudel, ins Waſſer. Da
du wünſchteſt, daß ich dir lieber gar nichts von Weibern ſchreiben
ſoll: ſo hab’ ich kaum das Herz, dir zu ſagen, daß mir unter ein
Paar Hunderten bei dem Hereinfahren nicht ein einziges erträgliches
Geſicht vorgekommen. Find’ ich aber künftig ein ſchönes: ſo kann 30
ich dirs wol leichter ſagen. Jetzo geh ich zu Westerholt.
... Ich bin wieder zurück. Ich hatte eine herrliche Andachtſtunde
mit ihm über Primas und ſeine Freunde, Gleichen u. a. Ein edles aus-
gearbeitetes Geſicht und ein Kopf voll Gluth mit einem weinenden
Auge! — Alle Seinige waren über Land und er hatte nicht viel Zeit; 35
aber die Stunde war mir genug.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/37>, abgerufen am 16.07.2024.
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