Noch immer lodern die grausenhaften Flammen des vertilgten Hofs vor mir, die leider bis zu Otto und bis nach München hinüberschlagen. Wenn man an sich einzelnen bei einem solchen Jammer denken darf -- aber man darfs, da ja die Noth doch nirgend wohnen kann als in allen einzelnen --: so denk' ich daran, daß mir nun zum zweiten male alle5 Baustätten meiner Jugend und Vergangenheit abgebrannt sind, in Schwarzenbach und in Hof, und ich habe nun nichts mehr, wenn ich dahin komme, zum Wiedersehen und Erinnern; die Jugend ist zweimal vergangen. Wollen wir uns einander recht lieben, meine Karoline; das Leben ist so kurz, so wechselnd, so baufällig! -- Seid recht gegrüßt,10 meine lieben Kinder! Grüße alle deine Freundinnen warm (und Otto) von der edeln Welden an!
Richter
395. An Henriette von Ende in Dresden.
Baireut d. 17ten Sept. 182315
Verehrteste Freundin! Während meiner Anwesenheit in Nürnberg kam Ihre musikalische Doppelgabe an, die nun oft statt Ihrer zu uns sprechen wird. Meine Töchter konnten die erste Entzückung gar nicht erwarten, welche ihnen die unsichtbare Geisterhand der All-Harmonien brachte. Haben Sie innigsten Dank, unerschöpfliche Geberin, für diese20 neueste Sorge um unsere Freuden. Manche mögen wol so oft und reichlich geben wie Sie, aber so gewählt und geschmackvoll wie Sie, weiß ich niemand.
Das auswärtige Glück des so mutterliebenden und muttergeliebten Sohnes erfreut mich für zwei Herzen.25
In Nürnberg hatt' ich keine solche Stunde wie in Dresden ganze Tage. Möge mir der Himmel im Frühjahr den Ersatz der fehlge- schlagnen Erwartungen in Dresden gönnen! -- Zum Glück find' ich diesen Ersatz eigentlich schon jetzo zu Hause an drei geliebten Herzen, die ich immer weniger entbehren kann, je länger ich sie schon gehabt.30
Möge Gott Sie und Ihren Geliebtesten immer in dem Genusse ihres schönen und wohlthätigen Lebens erhalten!
Ihr Jean Paul Fr. Richter
Noch immer lodern die grauſenhaften Flammen des vertilgten Hofs vor mir, die leider bis zu Otto und bis nach München hinüberſchlagen. Wenn man an ſich einzelnen bei einem ſolchen Jammer denken darf — aber man darfs, da ja die Noth doch nirgend wohnen kann als in allen einzelnen —: ſo denk’ ich daran, daß mir nun zum zweiten male alle5 Bauſtätten meiner Jugend und Vergangenheit abgebrannt ſind, in Schwarzenbach und in Hof, und ich habe nun nichts mehr, wenn ich dahin komme, zum Wiederſehen und Erinnern; die Jugend iſt zweimal vergangen. Wollen wir uns einander recht lieben, meine Karoline; das Leben iſt ſo kurz, ſo wechſelnd, ſo baufällig! — Seid recht gegrüßt,10 meine lieben Kinder! Grüße alle deine Freundinnen warm (und Otto) von der edeln Welden an!
Richter
395. An Henriette von Ende in Dresden.
Baireut d. 17ten Sept. 182315
Verehrteſte Freundin! Während meiner Anweſenheit in Nürnberg kam Ihre muſikaliſche Doppelgabe an, die nun oft ſtatt Ihrer zu uns ſprechen wird. Meine Töchter konnten die erſte Entzückung gar nicht erwarten, welche ihnen die unſichtbare Geiſterhand der All-Harmonien brachte. Haben Sie innigſten Dank, unerſchöpfliche Geberin, für dieſe20 neueſte Sorge um unſere Freuden. Manche mögen wol ſo oft und reichlich geben wie Sie, aber ſo gewählt und geſchmackvoll wie Sie, weiß ich niemand.
Das auswärtige Glück des ſo mutterliebenden und muttergeliebten Sohnes erfreut mich für zwei Herzen.25
In Nürnberg hatt’ ich keine ſolche Stunde wie in Dresden ganze Tage. Möge mir der Himmel im Frühjahr den Erſatz der fehlge- ſchlagnen Erwartungen in Dresden gönnen! — Zum Glück find’ ich dieſen Erſatz eigentlich ſchon jetzo zu Hauſe an drei geliebten Herzen, die ich immer weniger entbehren kann, je länger ich ſie ſchon gehabt.30
Möge Gott Sie und Ihren Geliebteſten immer in dem Genuſſe ihres ſchönen und wohlthätigen Lebens erhalten!
Ihr Jean Paul Fr. Richter
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Noch immer lodern die grauſenhaften Flammen des vertilgten Hofs
vor mir, die leider bis zu Otto und bis nach München hinüberſchlagen.
Wenn man an ſich einzelnen bei einem ſolchen Jammer denken darf —
aber man darfs, da ja die Noth doch nirgend wohnen kann als in allen
einzelnen —: ſo denk’ ich daran, daß mir nun zum zweiten male alle 5
Bauſtätten meiner Jugend und Vergangenheit abgebrannt ſind, in
Schwarzenbach und in Hof, und ich habe nun nichts mehr, wenn ich
dahin komme, zum Wiederſehen und Erinnern; die Jugend iſt zweimal
vergangen. Wollen wir uns einander recht lieben, meine Karoline;
das Leben iſt ſo kurz, ſo wechſelnd, ſo baufällig! — Seid recht gegrüßt, 10
meine lieben Kinder! Grüße alle deine Freundinnen warm (und Otto)
von der edeln Welden an!
Richter
395. An Henriette von Ende in Dresden.
Baireut d. 17ten Sept. 1823 15
Verehrteſte Freundin! Während meiner Anweſenheit in Nürnberg
kam Ihre muſikaliſche Doppelgabe an, die nun oft ſtatt Ihrer zu uns
ſprechen wird. Meine Töchter konnten die erſte Entzückung gar nicht
erwarten, welche ihnen die unſichtbare Geiſterhand der All-Harmonien
brachte. Haben Sie innigſten Dank, unerſchöpfliche Geberin, für dieſe 20
neueſte Sorge um unſere Freuden. Manche mögen wol ſo oft und
reichlich geben wie Sie, aber ſo gewählt und geſchmackvoll wie Sie,
weiß ich niemand.
Das auswärtige Glück des ſo mutterliebenden und muttergeliebten
Sohnes erfreut mich für zwei Herzen. 25
In Nürnberg hatt’ ich keine ſolche Stunde wie in Dresden ganze
Tage. Möge mir der Himmel im Frühjahr den Erſatz der fehlge-
ſchlagnen Erwartungen in Dresden gönnen! — Zum Glück find’ ich
dieſen Erſatz eigentlich ſchon jetzo zu Hauſe an drei geliebten Herzen, die
ich immer weniger entbehren kann, je länger ich ſie ſchon gehabt. 30
Möge Gott Sie und Ihren Geliebteſten immer in dem Genuſſe ihres
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Ihr
Jean Paul Fr. Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:22:18Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/248>, abgerufen am 15.08.2024.
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