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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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aufgekläret hat. Dafür vergißt er wieder zuweilen die Nerven. Sie
werden sich schon über den originell-bescheiden[en] Gang seiner Unter-
suchung und noch mehr über die erreichten Ziele derselben erfreuen und
über das schöne Zusammentreffen mit Ihren Grundsätzen. Aber wie
gewöhnlich wird Ein Theil des Organismus zur allein seelig und krank-5
machenden Kirche gemacht; so bei ihm die Venen -- bei Tissot die
Nerven -- bei Kreysig wahrscheinlich das Herz, (um den ich Sie
recht sehr bitte
) -- bei dem berühmten Monographen der Phtisis
sind die Lungenflügel so die Saturnflügel des Lebens. Indeß ist bei der
Untheilbarkeit des Organismus alles kaum ein Irrthum und alle10
Wege endigen in Einem Ziele. -- Ich freue mich darauf, Sie nach dem
Lesen des Werks darüber zu hören.

Ihr
ergebenster
J. P. F. Richter15
348. An Friedrich Vieweg in Braunschweig.
[Kopie]

Aber warum ist Ihr so eleganter Schreibkalender (Erinnerungsbuch)
ein Kirchhof mit einer blutrothen Mauer? Soll ich denn jeden Tag
einen bedeutenden Menschen zu betrauern haben, so daß man ordent-20
lich froh ist, wenn die bestimmten Todesfälle wenigstens durch Schlachten
voll unbestimmter abgelöset werden, oder wie heute durch Magdeburgs --
Fall? Ist doch hinten nicht eine bloße Verlust- sondern auch Gewinn-
rechnung geliefert! -- Ein Geburttag eines bedeutenden Wesens hin-
gegen würde mir den ganzen Tag zum rothen Festtag machen.25

349. An Odilie Richter in Würzburg.

Meine theuere Odilie! Die Mutter hat mir viel Frohes von dir
mitgebracht auf der Zunge. So sehr du dich auf dein Hierleben freuen
darfst, so versäuere dir doch dein Dortleben nicht deßhalb; vielmehr, da30
dieses wieder seine eignen Freuden hat, genieße diese recht aus. -- Und
gebe Gott, daß du morgen an deinem Tage recht froh und gut und voll
Hoffnung bist, obwol außer deinem elterlichen Hause! -- Bei deiner

aufgekläret hat. Dafür vergißt er wieder zuweilen die Nerven. Sie
werden ſich ſchon über den originell-beſcheiden[en] Gang ſeiner Unter-
ſuchung und noch mehr über die erreichten Ziele derſelben erfreuen und
über das ſchöne Zuſammentreffen mit Ihren Grundſätzen. Aber wie
gewöhnlich wird Ein Theil des Organiſmus zur allein ſeelig und krank-5
machenden Kirche gemacht; ſo bei ihm die Venen — bei Tiſſot die
Nerven — bei Kreyſig wahrſcheinlich das Herz, (um den ich Sie
recht ſehr bitte
) — bei dem berühmten Monographen der Phtiſis
ſind die Lungenflügel ſo die Saturnflügel des Lebens. Indeß iſt bei der
Untheilbarkeit des Organiſmus alles kaum ein Irrthum und alle10
Wege endigen in Einem Ziele. — Ich freue mich darauf, Sie nach dem
Leſen des Werks darüber zu hören.

Ihr
ergebenſter
J. P. F. Richter15
348. An Friedrich Vieweg in Braunſchweig.
[Kopie]

Aber warum iſt Ihr ſo eleganter Schreibkalender (Erinnerungsbuch)
ein Kirchhof mit einer blutrothen Mauer? Soll ich denn jeden Tag
einen bedeutenden Menſchen zu betrauern haben, ſo daß man ordent-20
lich froh iſt, wenn die beſtimmten Todesfälle wenigſtens durch Schlachten
voll unbeſtimmter abgelöſet werden, oder wie heute durch Magdeburgs —
Fall? Iſt doch hinten nicht eine bloße Verluſt- ſondern auch Gewinn-
rechnung geliefert! — Ein Geburttag eines bedeutenden Weſens hin-
gegen würde mir den ganzen Tag zum rothen Feſttag machen.25

349. An Odilie Richter in Würzburg.

Meine theuere Odilie! Die Mutter hat mir viel Frohes von dir
mitgebracht auf der Zunge. So ſehr du dich auf dein Hierleben freuen
darfſt, ſo verſäuere dir doch dein Dortleben nicht deßhalb; vielmehr, da30
dieſes wieder ſeine eignen Freuden hat, genieße dieſe recht aus. — Und
gebe Gott, daß du morgen an deinem Tage recht froh und gut und voll
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[208/0217] aufgekläret hat. Dafür vergißt er wieder zuweilen die Nerven. Sie werden ſich ſchon über den originell-beſcheiden[en] Gang ſeiner Unter- ſuchung und noch mehr über die erreichten Ziele derſelben erfreuen und über das ſchöne Zuſammentreffen mit Ihren Grundſätzen. Aber wie gewöhnlich wird Ein Theil des Organiſmus zur allein ſeelig und krank- 5 machenden Kirche gemacht; ſo bei ihm die Venen — bei Tiſſot die Nerven — bei Kreyſig wahrſcheinlich das Herz, (um den ich Sie recht ſehr bitte) — bei dem berühmten Monographen der Phtiſis ſind die Lungenflügel ſo die Saturnflügel des Lebens. Indeß iſt bei der Untheilbarkeit des Organiſmus alles kaum ein Irrthum und alle 10 Wege endigen in Einem Ziele. — Ich freue mich darauf, Sie nach dem Leſen des Werks darüber zu hören. Ihr ergebenſter J. P. F. Richter 15 348. An Friedrich Vieweg in Braunſchweig. [Bayreuth, 8. Nov. 1822] Aber warum iſt Ihr ſo eleganter Schreibkalender (Erinnerungsbuch) ein Kirchhof mit einer blutrothen Mauer? Soll ich denn jeden Tag einen bedeutenden Menſchen zu betrauern haben, ſo daß man ordent- 20 lich froh iſt, wenn die beſtimmten Todesfälle wenigſtens durch Schlachten voll unbeſtimmter abgelöſet werden, oder wie heute durch Magdeburgs — Fall? Iſt doch hinten nicht eine bloße Verluſt- ſondern auch Gewinn- rechnung geliefert! — Ein Geburttag eines bedeutenden Weſens hin- gegen würde mir den ganzen Tag zum rothen Feſttag machen. 25 349. An Odilie Richter in Würzburg. [Bayreuth, 8. Nov. 1822] Meine theuere Odilie! Die Mutter hat mir viel Frohes von dir mitgebracht auf der Zunge. So ſehr du dich auf dein Hierleben freuen darfſt, ſo verſäuere dir doch dein Dortleben nicht deßhalb; vielmehr, da 30 dieſes wieder ſeine eignen Freuden hat, genieße dieſe recht aus. — Und gebe Gott, daß du morgen an deinem Tage recht froh und gut und voll Hoffnung biſt, obwol außer deinem elterlichen Hauſe! — Bei deiner

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/217>, abgerufen am 24.11.2024.