Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

Bild:
<< vorherige Seite

Professor Huscher, bei welchem er auf der Herreise einen Tag blieb,
und dem ich hier für seine Liebe durch Sie danken lasse, kann Ihnen
malen, was ich verloren.

Ich habe Ihre Kataloge bis zur 6ten Nummer (incl.) und bitte Sie
um die übrigen. Lassen Sie eiligst -- damit Fuhrmann Weber in meiner5
Noth mir künf ige Woche Bücher bringt -- ein Kästchen dazu von der
Größe des vorigen machen. Bin ich Ihnen nicht noch Lesegeld schuldig?
Mit Vergnügen zahl' ich für alles jeden begehrten Preis. -- Die Bücher
lassen Sie für mich genau nach der Rangstellung auslesen.

Ich danke Ihnen im Voraus. Gott verschone Sie vor jedem ähn-10
lichen Unglück! Grüßen Sie herzlich Ihre theuerste Gattin und schönen
Kinder; mich verschonen Sie aber ja, auch mit dem kleinsten Trostes-
wort!

*212. An Elisa von der Recke in Dresden.
15
Verehrteste Frau Gräfin!

Verzeihen Sie die Verzögerung des Danks; durch diese antwortet
jetzo ein Schmerz dem andern; der beraubten Schwester der beraubte
Vater; denn mein achtzehnjähriger einziger Sohn ist in dieser Woche
gestorben und mit ihm meine schönere Erdenzukunft eingesargt. --20

So sah ich denn hier an Einem Abende an Einem Tische zwei Bald-
Sterbende neben einander im Gasthofe, die himmlische Theodora neben
dem Prinzen Biron. Auf ihrem sonst so nachblühenden Angesicht fand ich
sogar bei der Lichtverschönerung ihre nahe Grabschrift lesbar. Aber ihr
Leben -- dieß sei der Trost der edeln Schwester -- war ein langer Früh-25
ling voll ausgetheilter und empfangner Maitage, ein sanfter Gang durch
einen immerblühenden Garten und das Grab war nur das Haha eines
Parks, das die unbegränzten Gefilde mit den begränzten verknüpft.
Und in ihrer letzten Stunde hatte sie noch die gesegnete Hand einer
Schwester zum sanftesten Hinwegbegleiten aus dem Leben in der30
erkaltenden Hand. Verehrteste Frau Gräfin! Sie tröstet am schönsten
Ihr letztes Beistehen; und glauben Sie, Ihre fromme und christlich-
kraftvolle Gegenwart war noch warmer Sonnenschein für die letzten
kalten Stunden des Lebens; denn was die rauhe Sprache Todeskampf
nennt -- der nur ein äußeres ungefühltes Muskelzucken ist -- schließet das35

Profeſſor Huscher, bei welchem er auf der Herreiſe einen Tag blieb,
und dem ich hier für ſeine Liebe durch Sie danken laſſe, kann Ihnen
malen, was ich verloren.

Ich habe Ihre Kataloge bis zur 6ten Nummer (incl.) und bitte Sie
um die übrigen. Laſſen Sie eiligſt — damit Fuhrmann Weber in meiner5
Noth mir künf ige Woche Bücher bringt — ein Käſtchen dazu von der
Größe des vorigen machen. Bin ich Ihnen nicht noch Leſegeld ſchuldig?
Mit Vergnügen zahl’ ich für alles jeden begehrten Preis. — Die Bücher
laſſen Sie für mich genau nach der Rangſtellung ausleſen.

Ich danke Ihnen im Voraus. Gott verſchone Sie vor jedem ähn-10
lichen Unglück! Grüßen Sie herzlich Ihre theuerſte Gattin und ſchönen
Kinder; mich verſchonen Sie aber ja, auch mit dem kleinſten Troſtes-
wort!

*212. An Eliſa von der Recke in Dresden.
15
Verehrteſte Frau Gräfin!

Verzeihen Sie die Verzögerung des Danks; durch dieſe antwortet
jetzo ein Schmerz dem andern; der beraubten Schweſter der beraubte
Vater; denn mein achtzehnjähriger einziger Sohn iſt in dieſer Woche
geſtorben und mit ihm meine ſchönere Erdenzukunft eingeſargt. —20

So ſah ich denn hier an Einem Abende an Einem Tiſche zwei Bald-
Sterbende neben einander im Gaſthofe, die himmliſche Theodora neben
dem Prinzen Biron. Auf ihrem ſonſt ſo nachblühenden Angeſicht fand ich
ſogar bei der Lichtverſchönerung ihre nahe Grabſchrift lesbar. Aber ihr
Leben — dieß ſei der Troſt der edeln Schweſter — war ein langer Früh-25
ling voll ausgetheilter und empfangner Maitage, ein ſanfter Gang durch
einen immerblühenden Garten und das Grab war nur das Haha eines
Parks, das die unbegränzten Gefilde mit den begränzten verknüpft.
Und in ihrer letzten Stunde hatte ſie noch die geſegnete Hand einer
Schweſter zum ſanfteſten Hinwegbegleiten aus dem Leben in der30
erkaltenden Hand. Verehrteſte Frau Gräfin! Sie tröſtet am ſchönſten
Ihr letztes Beiſtehen; und glauben Sie, Ihre fromme und chriſtlich-
kraftvolle Gegenwart war noch warmer Sonnenſchein für die letzten
kalten Stunden des Lebens; denn was die rauhe Sprache Todeskampf
nennt — der nur ein äußeres ungefühltes Muſkelzucken iſt — ſchließet das35

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0143" n="136"/>
        <p>Profe&#x017F;&#x017F;or <hi rendition="#aq">Huscher,</hi> bei welchem er auf der Herrei&#x017F;e einen Tag blieb,<lb/>
und dem ich hier für &#x017F;eine Liebe durch Sie danken la&#x017F;&#x017F;e, kann Ihnen<lb/>
malen, was ich verloren.</p><lb/>
        <p>Ich habe Ihre Kataloge bis zur 6<hi rendition="#sup">ten</hi> Nummer (<hi rendition="#aq">incl.</hi>) und bitte Sie<lb/>
um die übrigen. La&#x017F;&#x017F;en Sie eilig&#x017F;t &#x2014; damit Fuhrmann Weber in meiner<lb n="5"/>
Noth mir künf ige Woche Bücher bringt &#x2014; ein Kä&#x017F;tchen dazu von der<lb/>
Größe des vorigen machen. Bin ich Ihnen nicht noch Le&#x017F;egeld &#x017F;chuldig?<lb/>
Mit Vergnügen zahl&#x2019; ich für alles jeden begehrten Preis. &#x2014; Die Bücher<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en Sie für mich genau nach der Rang&#x017F;tellung ausle&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Ich danke Ihnen im Voraus. Gott ver&#x017F;chone Sie vor jedem ähn-<lb n="10"/>
lichen Unglück! Grüßen Sie herzlich Ihre theuer&#x017F;te Gattin und &#x017F;chönen<lb/>
Kinder; mich ver&#x017F;chonen Sie aber ja, auch mit dem klein&#x017F;ten Tro&#x017F;tes-<lb/>
wort!</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>*212. An <hi rendition="#g">Eli&#x017F;a von der Recke in Dresden.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Baireut</hi> d. 29 Sept. 1821</hi> </dateline>
        <lb n="15"/>
        <salute> <hi rendition="#right">Verehrte&#x017F;te Frau Gräfin!</hi> </salute><lb/>
        <p>Verzeihen Sie die Verzögerung des Danks; durch die&#x017F;e antwortet<lb/>
jetzo ein Schmerz dem andern; der beraubten Schwe&#x017F;ter der beraubte<lb/>
Vater; denn mein achtzehnjähriger einziger Sohn i&#x017F;t in die&#x017F;er Woche<lb/>
ge&#x017F;torben und mit ihm meine &#x017F;chönere Erdenzukunft einge&#x017F;argt. &#x2014;<lb n="20"/>
</p>
        <p>So &#x017F;ah ich denn hier an Einem Abende an Einem Ti&#x017F;che zwei Bald-<lb/>
Sterbende neben einander im Ga&#x017F;thofe, die himmli&#x017F;che <hi rendition="#aq">Theodora</hi> neben<lb/>
dem Prinzen <hi rendition="#aq">Biron.</hi> Auf ihrem &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o nachblühenden Ange&#x017F;icht fand ich<lb/>
&#x017F;ogar bei der Lichtver&#x017F;chönerung ihre nahe Grab&#x017F;chrift lesbar. Aber ihr<lb/>
Leben &#x2014; dieß &#x017F;ei der Tro&#x017F;t der edeln Schwe&#x017F;ter &#x2014; war ein langer Früh-<lb n="25"/>
ling voll ausgetheilter und empfangner Maitage, ein &#x017F;anfter Gang durch<lb/>
einen immerblühenden Garten und das Grab war nur das Haha eines<lb/>
Parks, das die unbegränzten Gefilde mit den begränzten verknüpft.<lb/>
Und in ihrer letzten Stunde hatte &#x017F;ie noch die ge&#x017F;egnete Hand einer<lb/>
Schwe&#x017F;ter zum &#x017F;anfte&#x017F;ten Hinwegbegleiten aus dem Leben in der<lb n="30"/>
erkaltenden Hand. Verehrte&#x017F;te Frau Gräfin! Sie trö&#x017F;tet am &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
Ihr letztes Bei&#x017F;tehen; und glauben Sie, Ihre fromme und chri&#x017F;tlich-<lb/>
kraftvolle Gegenwart war noch warmer Sonnen&#x017F;chein für die letzten<lb/>
kalten Stunden des Lebens; denn was die rauhe Sprache Todeskampf<lb/>
nennt &#x2014; der nur ein äußeres ungefühltes Mu&#x017F;kelzucken i&#x017F;t &#x2014; &#x017F;chließet das<lb n="35"/><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0143] Profeſſor Huscher, bei welchem er auf der Herreiſe einen Tag blieb, und dem ich hier für ſeine Liebe durch Sie danken laſſe, kann Ihnen malen, was ich verloren. Ich habe Ihre Kataloge bis zur 6ten Nummer (incl.) und bitte Sie um die übrigen. Laſſen Sie eiligſt — damit Fuhrmann Weber in meiner 5 Noth mir künf ige Woche Bücher bringt — ein Käſtchen dazu von der Größe des vorigen machen. Bin ich Ihnen nicht noch Leſegeld ſchuldig? Mit Vergnügen zahl’ ich für alles jeden begehrten Preis. — Die Bücher laſſen Sie für mich genau nach der Rangſtellung ausleſen. Ich danke Ihnen im Voraus. Gott verſchone Sie vor jedem ähn- 10 lichen Unglück! Grüßen Sie herzlich Ihre theuerſte Gattin und ſchönen Kinder; mich verſchonen Sie aber ja, auch mit dem kleinſten Troſtes- wort! *212. An Eliſa von der Recke in Dresden. Baireut d. 29 Sept. 1821 15 Verehrteſte Frau Gräfin! Verzeihen Sie die Verzögerung des Danks; durch dieſe antwortet jetzo ein Schmerz dem andern; der beraubten Schweſter der beraubte Vater; denn mein achtzehnjähriger einziger Sohn iſt in dieſer Woche geſtorben und mit ihm meine ſchönere Erdenzukunft eingeſargt. — 20 So ſah ich denn hier an Einem Abende an Einem Tiſche zwei Bald- Sterbende neben einander im Gaſthofe, die himmliſche Theodora neben dem Prinzen Biron. Auf ihrem ſonſt ſo nachblühenden Angeſicht fand ich ſogar bei der Lichtverſchönerung ihre nahe Grabſchrift lesbar. Aber ihr Leben — dieß ſei der Troſt der edeln Schweſter — war ein langer Früh- 25 ling voll ausgetheilter und empfangner Maitage, ein ſanfter Gang durch einen immerblühenden Garten und das Grab war nur das Haha eines Parks, das die unbegränzten Gefilde mit den begränzten verknüpft. Und in ihrer letzten Stunde hatte ſie noch die geſegnete Hand einer Schweſter zum ſanfteſten Hinwegbegleiten aus dem Leben in der 30 erkaltenden Hand. Verehrteſte Frau Gräfin! Sie tröſtet am ſchönſten Ihr letztes Beiſtehen; und glauben Sie, Ihre fromme und chriſtlich- kraftvolle Gegenwart war noch warmer Sonnenſchein für die letzten kalten Stunden des Lebens; denn was die rauhe Sprache Todeskampf nennt — der nur ein äußeres ungefühltes Muſkelzucken iſt — ſchließet das 35

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/143
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/143>, abgerufen am 22.11.2024.