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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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und alle Vergleichstufen wegfallen). -- Sogar die Zufälligkeit muß
sich der Verstand erst von der Vernunft erborgen, denn jene setzt schon
die Nothwendigkeit als ihren Gegensatz, den aber nur die Vernunft
feststellt gebiert, voraus, und der Zufall ist blos eine Verschleierung
der Freiheit; oder die Nothwendigkeit wäre selber ein Zufall von5
Ewigkeit.

Treffend sind deine Apollons Schüsse auf den neuesten Schelling.


Genug! Leider sag' ich dir kein anderes wahres Wort mit allem
als höchstens dein eignes. So wollt' ich z. B. noch schreiben, daß10
ohne göttliche Persönlichkeit ja gar keine endliche, die doch keiner
läugnet, zu Stande käme, oder diese wäre dann selber jene, oder eine
Weltseele, da jedes Selbbewußtsein höher und mächtiger ist als
ein ganzes blindes taubes Spinoza-All.

Die größte Beschämung der Philosophie des Verstandes ist die15
Scholastik -- diese größere kantische Antinomistik -- aus welcher man
den schärfsten Skeptizismus als aus einer kritischen Essigmutter
bereiten könnte. -- Mein alter Haß gegen die Wortwelt-Weisheit
ruht auf den Seiten 26, 27 etc. meines Clavis Fichtiana, die du
sammt der Zueignung an dich wiederlesen solltest. -- Ist man ge-20
gründet wie du, oder durch dich: so findet man wahrlich mehr Po-
sitives -- als bei jenen Wortweltweisen -- in analogischen Schlüßen
wie die Herd[erschen] vom Schmetterling auf die Unsterblichkeit,
oder wie meine auf diese aus dem organischen Magnetismus. Wir
sollten eine solche Anthropologie des göttlichen Anthropomorphismus25
versuchen. Ist denn A[ltes] und N[eues] Testament etwas anderes
als eine analogische Schlußkette des Positiven?

Die Form deiner Einleitung ist klassisches Philosophen-Deutsch
und für mich Ohrenzauber; deine philosophische Sprache reift
immer blühender und fruchtbarer an deinen Jahren. Reife sie noch30
lange fort! -- Eben so ist dein französischer Brief an la Harpe ein
Sprach- wie Sachmeisterstück (Zum Glück war er mir noch ein neuer
Reichthum) (Überhaupt ist die französische Sprache durch ihre feste
Wortfolge und ihr lateinisch-scholastisches Wörterbuch der Philo-
sophie gerade so diensam wie der Dichtkunst unfolgsam). Nur 2 mal35
stieß ich an. P. 517 erwartet man nach den Partizipien Ne regar-

und alle Vergleichſtufen wegfallen). — Sogar die Zufälligkeit muß
ſich der Verſtand erſt von der Vernunft erborgen, denn jene ſetzt ſchon
die Nothwendigkeit als ihren Gegenſatz, den aber nur die Vernunft
feſtſtellt 〈gebiert〉, voraus, und der Zufall iſt blos eine Verſchleierung
der Freiheit; oder die Nothwendigkeit wäre ſelber ein Zufall von5
Ewigkeit.

Treffend ſind deine Apollons Schüſſe auf den neueſten Schelling.


Genug! Leider ſag’ ich dir kein anderes wahres Wort mit allem
als höchſtens dein eignes. So wollt’ ich z. B. noch ſchreiben, daß10
ohne göttliche Perſönlichkeit ja gar keine endliche, die doch keiner
läugnet, zu Stande käme, oder dieſe wäre dann ſelber jene, oder eine
Weltſeele, da jedes Selbbewußtſein höher und mächtiger iſt als
ein ganzes blindes taubes Spinoza-All.

Die größte Beſchämung der Philoſophie des Verſtandes iſt die15
Scholaſtik — dieſe größere kantiſche Antinomiſtik — aus welcher man
den ſchärfſten Skeptiziſmus als aus einer kritiſchen Eſſigmutter
bereiten könnte. — Mein alter Haß gegen die Wortwelt-Weisheit
ruht auf den Seiten 26, 27 etc. meines Clavis Fichtiana, die du
ſammt der Zueignung an dich wiederleſen ſollteſt. — Iſt man ge-20
gründet wie du, oder durch dich: ſo findet man wahrlich mehr Po-
ſitives — als bei jenen Wortweltweiſen — in analogiſchen Schlüßen
wie die Herd[erſchen] vom Schmetterling auf die Unſterblichkeit,
oder wie meine auf dieſe aus dem organiſchen Magnetiſmus. Wir
ſollten eine ſolche Anthropologie des göttlichen Anthropomorphiſmus25
verſuchen. Iſt denn A[ltes] und N[eues] Teſtament etwas anderes
als eine analogiſche Schlußkette des Poſitiven?

Die Form deiner Einleitung iſt klaſſiſches Philoſophen-Deutſch
und für mich Ohrenzauber; deine philoſophiſche Sprache reift
immer blühender und fruchtbarer an deinen Jahren. Reife ſie noch30
lange fort! — Eben ſo iſt dein franzöſiſcher Brief an la Harpe ein
Sprach- wie Sachmeiſterſtück (Zum Glück war er mir noch ein neuer
Reichthum) (Überhaupt iſt die franzöſiſche Sprache durch ihre feſte
Wortfolge und ihr lateiniſch-ſcholaſtiſches Wörterbuch der Philo-
ſophie gerade ſo dienſam wie der Dichtkunſt unfolgſam). Nur 2 mal35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/61>, abgerufen am 24.11.2024.