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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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Nur muß ich dich leider um die Zurückgabe nach einigen Tagen bitten.
-- Die Ergänzblätter hab' ich; aber du noch die L[iteratur] Zeitung.

153. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
5

Geliebter Heinrich! Welch' ein stummer Sünder bin ich, zumal
nach der Freude über die erste bis vierte Lesung deiner Einleitung!
Aber die Sünde des Schweigens ist wie jede andere, schon, gleich der
Blattlaus, mit einer langen Generazion ohne neue Befruchtung
trächtig. -- Und doch könnt' ich mich mit den Leuten etwas ent-
schuldigen, welche mir fast jedes Vierteljahr Manuskripte schicken10
und dafür Urtheile, Vorreden und Verleger verlangen.

Durchaus und innigst eins bin ich mit deiner Einleitung und ich
hänge dir von Jahr zu Jahr blos immer dichter an. (Schon aus der
Nebenstellung Baaders an Klopstock, gegen welchen letzten du mich
gewiß keiner Dulie und Hyperdulie beschuldigen wirst, hättest du15
mein Lob blos auf beider Kürze der Worte und Werke beziehen
sollen; wiewol ich den dunkeln, oft barbarisch-redenden Baader an
den Stellen des Einleuchtens sehr hoch achte.)

Rein und scharf hast du von deinem Berge herab den Lauf der
verschiedenen Systeme geschieden und verfolgt. Hätten wir nur ein20
anderes Wort statt der Vernunft, welche bald, subjektiv, Vernehmen
und Anschauen, bald, objektiv, Vernommenes und Angeschauetes
oder Idee bedeutet! Eigentlich glauben wir doch nicht an das
Göttliche (Freiheit, Gott, Tugend etc. etc.) sondern wir schauen es
wirklich als schon Gegeben oder Sich-Gebend; und dieses Schauen25
ist eben ein Wissen, nur ein höheres; indeß das Wissen des Ver-
standes sich blos auf ein niedriges Schauen bezieht. -- Man könnte
die Vernunft das Bewußtsein des alleinigen Positiven nennen (denn
alles Positive der Sinnlichkeit löset sich zuletzt in das der Geistigkeit
auf und der Verstand treibt sein Wesen ewig blos mit dem Rela-30
tiven*), das an sich nichts ist; daher vor Gott das Mehr und Minder

*) Diese Längen-Note setz' ich nur so dumm her: die Indifferenzial-
rechnung sucht ja auch wie durch Gewalt, aus der endlichen relativen
Differenz z. B. des Bogens und der Sehne in die absolute Indifferenz
beider zu kommen und rechnet nach dieser; und am Zirkel als unendlichem35
Vieleck fällt die Sehne in den Bogen.

Nur muß ich dich leider um die Zurückgabe nach einigen Tagen bitten.
— Die Ergänzblätter hab’ ich; aber du noch die L[iteratur] Zeitung.

153. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
5

Geliebter Heinrich! Welch’ ein ſtummer Sünder bin ich, zumal
nach der Freude über die erſte bis vierte Leſung deiner Einleitung!
Aber die Sünde des Schweigens iſt wie jede andere, ſchon, gleich der
Blattlaus, mit einer langen Generazion ohne neue Befruchtung
trächtig. — Und doch könnt’ ich mich mit den Leuten etwas ent-
ſchuldigen, welche mir faſt jedes Vierteljahr Manuſkripte ſchicken10
und dafür Urtheile, Vorreden und Verleger verlangen.

Durchaus und innigſt eins bin ich mit deiner Einleitung und ich
hänge dir von Jahr zu Jahr blos immer dichter an. (Schon aus der
Nebenſtellung Baaders an Klopſtock, gegen welchen letzten du mich
gewiß keiner Dulie und Hyperdulie beſchuldigen wirſt, hätteſt du15
mein Lob blos auf beider Kürze der Worte und Werke beziehen
ſollen; wiewol ich den dunkeln, oft barbariſch-redenden Baader an
den Stellen des Einleuchtens ſehr hoch achte.)

Rein und ſcharf haſt du von deinem Berge herab den Lauf der
verſchiedenen Syſteme geſchieden und verfolgt. Hätten wir nur ein20
anderes Wort ſtatt der Vernunft, welche bald, ſubjektiv, Vernehmen
und Anſchauen, bald, objektiv, Vernommenes und Angeſchauetes
oder Idee bedeutet! Eigentlich glauben wir doch nicht an das
Göttliche (Freiheit, Gott, Tugend ꝛc. ꝛc.) ſondern wir ſchauen es
wirklich als ſchon Gegeben oder Sich-Gebend; und dieſes Schauen25
iſt eben ein Wiſſen, nur ein höheres; indeß das Wiſſen des Ver-
ſtandes ſich blos auf ein niedriges Schauen bezieht. — Man könnte
die Vernunft das Bewußtſein des alleinigen Poſitiven nennen (denn
alles Poſitive der Sinnlichkeit löſet ſich zuletzt in das der Geiſtigkeit
auf und der Verſtand treibt ſein Weſen ewig blos mit dem Rela-30
tiven*), das an ſich nichts iſt; daher vor Gott das Mehr und Minder

*) Dieſe Längen-Note ſetz’ ich nur ſo dumm her: die Indifferenzial-
rechnung ſucht ja auch wie durch Gewalt, aus der endlichen 〈relativen〉
Differenz z. B. des Bogens und der Sehne in die abſolute Indifferenz
beider zu kommen und rechnet nach dieſer; und am Zirkel als unendlichem35
Vieleck fällt die Sehne in den Bogen.
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[55/0060] Nur muß ich dich leider um die Zurückgabe nach einigen Tagen bitten. — Die Ergänzblätter hab’ ich; aber du noch die L[iteratur] Zeitung. 153. An Friedrich Heinrich Jacobi in München. Baireuth d. 25 Jenn. oder Pauli Bekehrung 1816 5 Geliebter Heinrich! Welch’ ein ſtummer Sünder bin ich, zumal nach der Freude über die erſte bis vierte Leſung deiner Einleitung! Aber die Sünde des Schweigens iſt wie jede andere, ſchon, gleich der Blattlaus, mit einer langen Generazion ohne neue Befruchtung trächtig. — Und doch könnt’ ich mich mit den Leuten etwas ent- ſchuldigen, welche mir faſt jedes Vierteljahr Manuſkripte ſchicken 10 und dafür Urtheile, Vorreden und Verleger verlangen. Durchaus und innigſt eins bin ich mit deiner Einleitung und ich hänge dir von Jahr zu Jahr blos immer dichter an. (Schon aus der Nebenſtellung Baaders an Klopſtock, gegen welchen letzten du mich gewiß keiner Dulie und Hyperdulie beſchuldigen wirſt, hätteſt du 15 mein Lob blos auf beider Kürze der Worte und Werke beziehen ſollen; wiewol ich den dunkeln, oft barbariſch-redenden Baader an den Stellen des Einleuchtens ſehr hoch achte.) Rein und ſcharf haſt du von deinem Berge herab den Lauf der verſchiedenen Syſteme geſchieden und verfolgt. Hätten wir nur ein 20 anderes Wort ſtatt der Vernunft, welche bald, ſubjektiv, Vernehmen und Anſchauen, bald, objektiv, Vernommenes und Angeſchauetes oder Idee bedeutet! Eigentlich glauben wir doch nicht an das Göttliche (Freiheit, Gott, Tugend ꝛc. ꝛc.) ſondern wir ſchauen es wirklich als ſchon Gegeben oder Sich-Gebend; und dieſes Schauen 25 iſt eben ein Wiſſen, nur ein höheres; indeß das Wiſſen des Ver- ſtandes ſich blos auf ein niedriges Schauen bezieht. — Man könnte die Vernunft das Bewußtſein des alleinigen Poſitiven nennen (denn alles Poſitive der Sinnlichkeit löſet ſich zuletzt in das der Geiſtigkeit auf und der Verſtand treibt ſein Weſen ewig blos mit dem Rela- 30 tiven *), das an ſich nichts iſt; daher vor Gott das Mehr und Minder *) Dieſe Längen-Note ſetz’ ich nur ſo dumm her: die Indifferenzial- rechnung ſucht ja auch wie durch Gewalt, aus der endlichen 〈relativen〉 Differenz z. B. des Bogens und der Sehne in die abſolute Indifferenz beider zu kommen und rechnet nach dieſer; und am Zirkel als unendlichem 35 Vieleck fällt die Sehne in den Bogen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/60>, abgerufen am 24.11.2024.