Guten Morgen, verehrteste Freundin! -- Darf man aber dieß wagen zu schreiben an einem Tage, der ein Freitag ist? Und wird dieses Blatt nicht auch das Opfer des Plaggeistertags werden und5 Ihnen ein Misvergnügen bringen? Bringt es Ihnen keines: so hat schon Ihr System ein Bischen Unrecht. "Aber dann hab' ich ja gleich am frühen Morgen das Misvergnügen, mich geirrt zu haben" können Sie noch sagen.
Auf dieser Seite will ich Sie blos um das Versprechen Ihres10 Briefblättchen für meine geliebte Karoline bitten; und noch um eine mündliche Nachricht, an welchen Tagen und Tagstunden die Briefe auf die Post gesendet werden. -- Himmel! welch ein Himmel war wieder gestern abends! Aber wie verrieselt auch hier die Zeit so unvermerkt. Man denkt immer, man sei kaum angekommen. Die15 Zeit muß hier in ihrem Stundenglas den feinsten durchsichtigsten Sand haben, den man nicht laufen sieht und hört. Einen Morgen- gruß an [Ihren] lieben Sohn!
Jean Paul
571. An Karoline Richter.20
Löbigau d. 4. Sept. 1819
Du siehst, meine geliebte Karoline, wie ich das feinste Papier nicht schone noch mein Bischen Zeit, um nur seit Gestern wieder heute an dich zu schreiben35 *). Gestern Abends bei Tische trank die herz- und liebereichste unter den Töchtern, die Herzogin von Acerenza (Jo-25 hanna) mit der Mutter und mir und der Ende deine Gesundheit. Dorothea (so will ich immer die Mutter der Kürze wegen nennen) hat mir versprochen, in Baireut eine Nacht zu verweilen und dich zu besuchen. Jetzo zieh' ich sie ihrer Güte und Seelenfülle wegen allen hier vor. Gestern abends vor dem Thee (um 9 Uhr) wurde blinde30 Kuh gespielt, von jungen Mädchen und Gräfinnen und dabei sitzenden Herzoginnen an bis zu ernsten Leuten hinauf wie Graf Schulenburg und der steife lange Schink. Ich schlug gleich, da ich den Schnupftuch-Orden bekam, das neue Gesetz an, daß jeder Herr
*) Die Briefe an dich sind eigentlich meine Miedels-Vormittagarbeiten.
570. An Henriette von Ende in Löbichau.
[Löbichau, 3. Sept. 1819. Freitag]
Guten Morgen, verehrteſte Freundin! — Darf man aber dieß wagen zu ſchreiben an einem Tage, der ein Freitag iſt? Und wird dieſes Blatt nicht auch das Opfer des Plaggeiſtertags werden und5 Ihnen ein Misvergnügen bringen? Bringt es Ihnen keines: ſo hat ſchon Ihr Syſtem ein Bischen Unrecht. „Aber dann hab’ ich ja gleich am frühen Morgen das Misvergnügen, mich geirrt zu haben“ können Sie noch ſagen.
Auf dieſer Seite will ich Sie blos um das Verſprechen Ihres10 Briefblättchen für meine geliebte Karoline bitten; und noch um eine mündliche Nachricht, an welchen Tagen und Tagſtunden die Briefe auf die Poſt geſendet werden. — Himmel! welch ein Himmel war wieder geſtern abends! Aber wie verrieſelt auch hier die Zeit ſo unvermerkt. Man denkt immer, man ſei kaum angekommen. Die15 Zeit muß hier in ihrem Stundenglas den feinſten durchſichtigſten Sand haben, den man nicht laufen ſieht und hört. Einen Morgen- gruß an [Ihren] lieben Sohn!
Jean Paul
571. An Karoline Richter.20
Löbigau d. 4. Sept. 1819
Du ſiehſt, meine geliebte Karoline, wie ich das feinſte Papier nicht ſchone noch mein Bischen Zeit, um nur ſeit Geſtern wieder heute an dich zu ſchreiben35 *). Geſtern Abends bei Tiſche trank die herz- und liebereichſte unter den Töchtern, die Herzogin von Acerenza (Jo-25 hanna) mit der Mutter und mir und der Ende deine Geſundheit. Dorothea (ſo will ich immer die Mutter der Kürze wegen nennen) hat mir verſprochen, in Baireut eine Nacht zu verweilen und dich zu beſuchen. Jetzo zieh’ ich ſie ihrer Güte und Seelenfülle wegen allen hier vor. Geſtern abends vor dem Thée (um 9 Uhr) wurde blinde30 Kuh geſpielt, von jungen Mädchen und Gräfinnen und dabei ſitzenden Herzoginnen an bis zu ernſten Leuten hinauf wie Graf Schulenburg und der ſteife lange Schink. Ich ſchlug gleich, da ich den Schnupftuch-Orden bekam, das neue Geſetz an, daß jeder Herr
*) Die Briefe an dich ſind eigentlich meine Miedels-Vormittagarbeiten.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0307"n="297"/><divtype="letter"n="1"><head>570. An <hirendition="#g">Henriette von Ende in Löbichau.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Löbichau, 3. Sept. 1819. Freitag]</hi></dateline><lb/><p>Guten Morgen, verehrteſte Freundin! — Darf man aber dieß<lb/>
wagen zu ſchreiben an einem Tage, der ein Freitag iſt? Und wird<lb/>
dieſes Blatt nicht auch das Opfer des Plaggeiſtertags werden und<lbn="5"/>
Ihnen ein Misvergnügen bringen? Bringt es Ihnen keines: ſo hat<lb/>ſchon Ihr Syſtem ein Bischen Unrecht. „Aber dann hab’ ich ja<lb/>
gleich am frühen Morgen das Misvergnügen, mich geirrt zu<lb/>
haben“ können Sie noch ſagen.</p><lb/><p>Auf dieſer Seite will ich Sie blos um das Verſprechen Ihres<lbn="10"/>
Briefblättchen für meine geliebte Karoline bitten; und noch um<lb/>
eine mündliche Nachricht, an welchen Tagen und Tagſtunden die<lb/>
Briefe auf die Poſt geſendet werden. — Himmel! welch ein Himmel<lb/>
war wieder geſtern abends! Aber wie verrieſelt auch hier die Zeit<lb/>ſo unvermerkt. Man denkt immer, man ſei kaum angekommen. Die<lbn="15"/>
Zeit muß hier in ihrem Stundenglas den feinſten durchſichtigſten<lb/>
Sand haben, den man nicht laufen ſieht und hört. Einen Morgen-<lb/>
gruß an [Ihren] lieben Sohn!</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Jean Paul</hi></salute></closer></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>571. An <hirendition="#g">Karoline Richter.</hi><lbn="20"/></head><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Löbigau d. 4. Sept.</hi> 1819</hi></dateline><lb/><p>Du ſiehſt, meine geliebte Karoline, wie ich das feinſte Papier nicht<lb/>ſchone noch mein Bischen Zeit, um nur ſeit Geſtern wieder heute an<lb/>
dich zu ſchreiben<lbn="35"/><noteplace="foot"n="*)">Die Briefe an dich ſind eigentlich meine <hirendition="#aq">Miedels</hi>-Vormittagarbeiten.</note>. Geſtern Abends bei Tiſche trank die herz- und<lb/>
liebereichſte unter den Töchtern, die Herzogin von <hirendition="#aq">Acerenza (Jo-<lbn="25"/>
hanna)</hi> mit der Mutter und mir und der <hirendition="#aq">Ende</hi> deine Geſundheit.<lb/><hirendition="#aq">Dorothea</hi> (ſo will ich immer die Mutter der Kürze wegen nennen)<lb/>
hat mir verſprochen, in <hirendition="#aq">Baireut</hi> eine Nacht zu verweilen und dich zu<lb/>
beſuchen. Jetzo zieh’ ich ſie ihrer Güte und Seelenfülle wegen allen<lb/>
hier vor. Geſtern abends vor dem Th<hirendition="#aq">é</hi>e (um 9 Uhr) wurde blinde<lbn="30"/>
Kuh geſpielt, von jungen Mädchen und Gräfinnen und dabei<lb/>ſitzenden Herzoginnen an bis zu ernſten Leuten hinauf wie Graf<lb/>
Schulenburg und der ſteife lange Schink. Ich ſchlug gleich, da ich<lb/>
den Schnupftuch-Orden bekam, das neue Geſetz an, daß jeder Herr<lb/></p></div></body></text></TEI>
[297/0307]
570. An Henriette von Ende in Löbichau.
[Löbichau, 3. Sept. 1819. Freitag]
Guten Morgen, verehrteſte Freundin! — Darf man aber dieß
wagen zu ſchreiben an einem Tage, der ein Freitag iſt? Und wird
dieſes Blatt nicht auch das Opfer des Plaggeiſtertags werden und 5
Ihnen ein Misvergnügen bringen? Bringt es Ihnen keines: ſo hat
ſchon Ihr Syſtem ein Bischen Unrecht. „Aber dann hab’ ich ja
gleich am frühen Morgen das Misvergnügen, mich geirrt zu
haben“ können Sie noch ſagen.
Auf dieſer Seite will ich Sie blos um das Verſprechen Ihres 10
Briefblättchen für meine geliebte Karoline bitten; und noch um
eine mündliche Nachricht, an welchen Tagen und Tagſtunden die
Briefe auf die Poſt geſendet werden. — Himmel! welch ein Himmel
war wieder geſtern abends! Aber wie verrieſelt auch hier die Zeit
ſo unvermerkt. Man denkt immer, man ſei kaum angekommen. Die 15
Zeit muß hier in ihrem Stundenglas den feinſten durchſichtigſten
Sand haben, den man nicht laufen ſieht und hört. Einen Morgen-
gruß an [Ihren] lieben Sohn!
Jean Paul
571. An Karoline Richter. 20
Löbigau d. 4. Sept. 1819
Du ſiehſt, meine geliebte Karoline, wie ich das feinſte Papier nicht
ſchone noch mein Bischen Zeit, um nur ſeit Geſtern wieder heute an
dich zu ſchreiben 35
*). Geſtern Abends bei Tiſche trank die herz- und
liebereichſte unter den Töchtern, die Herzogin von Acerenza (Jo- 25
hanna) mit der Mutter und mir und der Ende deine Geſundheit.
Dorothea (ſo will ich immer die Mutter der Kürze wegen nennen)
hat mir verſprochen, in Baireut eine Nacht zu verweilen und dich zu
beſuchen. Jetzo zieh’ ich ſie ihrer Güte und Seelenfülle wegen allen
hier vor. Geſtern abends vor dem Thée (um 9 Uhr) wurde blinde 30
Kuh geſpielt, von jungen Mädchen und Gräfinnen und dabei
ſitzenden Herzoginnen an bis zu ernſten Leuten hinauf wie Graf
Schulenburg und der ſteife lange Schink. Ich ſchlug gleich, da ich
den Schnupftuch-Orden bekam, das neue Geſetz an, daß jeder Herr
*) Die Briefe an dich ſind eigentlich meine Miedels-Vormittagarbeiten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/307>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.