ihre lauten Spiele in einem 3ten. An keiner Fürstentafel ist solche Freiheit. Auch sind alle nöthigen Sekten da, Magnetisten und Gegen- magnetisten, Ultras, Konstituzionelle, Feindinnen und Freundinnen der neuesten Zeit, Gegenjuden und ein Paar Juden, worunter ich gehöre. -- Die Herzogin mag ich gar nicht anfangen zu loben, so5 köstlich ist ihr Herz mit seiner Ruhe, Unbefangenheit, Liebe und Milde, Gefallsuchtlosigkeit und seinem Gottessinne. Weit zieh' ich sie von dieser Seite der Stuttgarter vor. Auch ist sie mit oder nach der Chassepot trotz der Jahre die schönste unter allen hier; und die Bomhard hatte über ihre Herzogin von Sagan nicht ganz10 Recht, so sehr man auch diese und alle Töchter lieben muß. Nie hab ich ein schöneres und liebevolleres Küssen gesehen als das der Töchter mit der Mutter. Gestern abends um 9 besucht' ich kurz nach der Mittagtafel zum ersten male die Rek, die auf ihrem Kanapee lag von ihren lieblichen (17, 15jährigen) Pflegetöchtern umspielt. Jetzo15 lieb' ich sie auch herzlich als den letzten Schlußbogen am schönsten weiblichen Liebe- und Familienzirkel. --
Ich sitze stets neben der Herzogin und einer Tochter. Da letzte gestern fehlte und ich ihr mit dem linken tauben Ohre zur Rechten saß und Feuerbach mit seinem rechten tauben ihr zur Linken: so20 macht' ich mir die Freude, daß wir beide die Plätze und Ohren wech- selten unter dem Essen, um besser zu hören. Es war hübsch. -- Hab' ich denn auch einen blauen Rock? Ich dachte anfangs, er gehöre Max; und der Himmel gebe, daß ihr seinen nicht eingepackt.25
d. 3. Sept.
Gestern Nachmittags empfing ich in Tannefeld deinen herrlichen Brief der Liebe und Güte, der mir mitten unter den vier erfreuenden Wesen doch noch eine größere Freude brachte als ich schon hatte. Wie hätt' ich zum Kutscher von 3 Wochen sprechen können! Freilich verrieselt hier die Zeit völlig unmerkbar und in ihrem Stundenglase30 muß sie den feinsten durchsichtigsten Sand haben, weil man ihn nicht laufen sieht und hört. Man ist ganz frei wie zu Hause und drückt niemanden als Gast und so verfliegen die Tage wie zu Hause. Hätt ich dich und die Kinder mit ("warum haben Sie die Emma, die Carolina nicht mitgebracht?" hört' ich mehrmals): so blieb ich ein35 Jahr da. Ein D. Krotschke aus Mietau sitzt mit 2 Töchtern und
ihre lauten Spiele in einem 3ten. An keiner Fürſtentafel iſt ſolche Freiheit. Auch ſind alle nöthigen Sekten da, Magnetiſten und Gegen- magnetiſten, Ultras, Konſtituzionelle, Feindinnen und Freundinnen der neueſten Zeit, Gegenjuden und ein Paar Juden, worunter ich gehöre. — Die Herzogin mag ich gar nicht anfangen zu loben, ſo5 köſtlich iſt ihr Herz mit ſeiner Ruhe, Unbefangenheit, Liebe und Milde, Gefallſuchtloſigkeit und ſeinem Gottesſinne. Weit zieh’ ich ſie von dieſer Seite der Stuttgarter vor. Auch iſt ſie mit oder nach der Chassepot trotz der Jahre die ſchönſte unter allen hier; und die Bomhard hatte über ihre Herzogin von Sagan nicht ganz10 Recht, ſo ſehr man auch dieſe und alle Töchter lieben muß. Nie hab ich ein ſchöneres und liebevolleres Küſſen geſehen als das der Töchter mit der Mutter. Geſtern abends um 9 beſucht’ ich kurz nach der Mittagtafel zum erſten male die Rek, die auf ihrem Kanapée lag von ihren lieblichen (17, 15jährigen) Pflegetöchtern umſpielt. Jetzo15 lieb’ ich ſie auch herzlich als den letzten Schlußbogen am ſchönſten weiblichen Liebe- und Familienzirkel. —
Ich ſitze ſtets neben der Herzogin und einer Tochter. Da letzte geſtern fehlte und ich ihr mit dem linken tauben Ohre zur Rechten ſaß und Feuerbach mit ſeinem rechten tauben ihr zur Linken: ſo20 macht’ ich mir die Freude, daß wir beide die Plätze und Ohren wech- ſelten unter dem Eſſen, um beſſer zu hören. Es war hübſch. — Hab’ ich denn auch einen blauen Rock? Ich dachte anfangs, er gehöre Max; und der Himmel gebe, daß ihr ſeinen nicht eingepackt.25
d. 3. Sept.
Geſtern Nachmittags empfing ich in Tannefeld deinen herrlichen Brief der Liebe und Güte, der mir mitten unter den vier erfreuenden Weſen doch noch eine größere Freude brachte als ich ſchon hatte. Wie hätt’ ich zum Kutſcher von 3 Wochen ſprechen können! Freilich verrieſelt hier die Zeit völlig unmerkbar und in ihrem Stundenglaſe30 muß ſie den feinſten durchſichtigſten Sand haben, weil man ihn nicht laufen ſieht und hört. Man iſt ganz frei wie zu Hauſe und drückt niemanden als Gaſt und ſo verfliegen die Tage wie zu Hauſe. Hätt ich dich und die Kinder mit („warum haben Sie die Emma, die Carolina nicht mitgebracht?“ hört’ ich mehrmals): ſo blieb ich ein35 Jahr da. Ein D. Krotschke aus Mietau ſitzt mit 2 Töchtern und
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ihre lauten Spiele in einem 3ten. An keiner Fürſtentafel iſt ſolche
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magnetiſten, Ultras, Konſtituzionelle, Feindinnen und Freundinnen
der neueſten Zeit, Gegenjuden und ein Paar Juden, worunter ich
gehöre. — Die Herzogin mag ich gar nicht anfangen zu loben, ſo 5
köſtlich iſt ihr Herz mit ſeiner Ruhe, Unbefangenheit, Liebe und
Milde, Gefallſuchtloſigkeit und ſeinem Gottesſinne. Weit zieh’
ich ſie von dieſer Seite der Stuttgarter vor. Auch iſt ſie mit oder
nach der Chassepot trotz der Jahre die ſchönſte unter allen hier;
und die Bomhard hatte über ihre Herzogin von Sagan nicht ganz 10
Recht, ſo ſehr man auch dieſe und alle Töchter lieben muß. Nie hab
ich ein ſchöneres und liebevolleres Küſſen geſehen als das der Töchter
mit der Mutter. Geſtern abends um 9 beſucht’ ich kurz nach der
Mittagtafel zum erſten male die Rek, die auf ihrem Kanapée lag
von ihren lieblichen (17, 15jährigen) Pflegetöchtern umſpielt. Jetzo 15
lieb’ ich ſie auch herzlich als den letzten Schlußbogen am ſchönſten
weiblichen Liebe- und Familienzirkel. —
Ich ſitze ſtets neben der Herzogin und einer Tochter. Da letzte
geſtern fehlte und ich ihr mit dem linken tauben Ohre zur Rechten
ſaß und Feuerbach mit ſeinem rechten tauben ihr zur Linken: ſo 20
macht’ ich mir die Freude, daß wir beide die Plätze und Ohren wech-
ſelten unter dem Eſſen, um beſſer zu hören. Es war hübſch. — Hab’
ich denn auch einen blauen Rock? Ich dachte anfangs, er gehöre
Max; und der Himmel gebe, daß ihr ſeinen nicht eingepackt. 25
d. 3. Sept.
Geſtern Nachmittags empfing ich in Tannefeld deinen herrlichen
Brief der Liebe und Güte, der mir mitten unter den vier erfreuenden
Weſen doch noch eine größere Freude brachte als ich ſchon hatte.
Wie hätt’ ich zum Kutſcher von 3 Wochen ſprechen können! Freilich
verrieſelt hier die Zeit völlig unmerkbar und in ihrem Stundenglaſe 30
muß ſie den feinſten durchſichtigſten Sand haben, weil man ihn nicht
laufen ſieht und hört. Man iſt ganz frei wie zu Hauſe und drückt
niemanden als Gaſt und ſo verfliegen die Tage wie zu Hauſe. Hätt
ich dich und die Kinder mit („warum haben Sie die Emma, die
Carolina nicht mitgebracht?“ hört’ ich mehrmals): ſo blieb ich ein 35
Jahr da. Ein D. Krotschke aus Mietau ſitzt mit 2 Töchtern und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/304>, abgerufen am 16.07.2024.
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