Vorgestern begegnete ich der Mutter Paulus auf der Strasse und unser Wiederumarmen war das alte warme. Aber ich bitte dich, schreibe mir, was du dazu sagst, daß ich mich noch bis heute nicht habe zwingen können, Sophie zu besuchen sehen? Diese hat das Recht verloren, die Alte wieder zu werden. Tadelst du mich?5
Es gibt weiter kein Mittel als aufzuhören; die Zeit drängt. Schreibe nur eiligst.
Dein alter Richter
10
Herzlich seien die Deinigen gegrüßt!
530. An Karoline Richter.
Stuttgart d. 9ten Jun. Mittwoch [1819]
Die erste Zeile, die ich in meiner neuen Wohnung schreibe, sei an dich, meine Theuere. Ich wohne gerade so gemüthlich, wie sonst15 in Nürnberg, bei dem Kaufmann Carl Mohr (so schreibe unten in deinen Briefen bei), ein herrliches kinderloses Ehepaar; habe zwei heitere Zimmerchen wie ich sie wünsche mit brauchbaren Möbeln und Aussicht und allem. Gott sei es gedankt, daß er den Cotta mir aus dem Wege geschickt, der mich sonst in seinen Pallast gezogen20 hätte. Kostet wöchentlich mit Aufwartung 4 fl. Über mir hauset auch ein Legazionrath (v. Arand), aber ein wirklicher; und so hat ein Liebhaber die Wahl, ob er Schein oder Realität nehmen will. Jetzo erst bin ich erheitert, und ich habe nur zu wachen, daß ich mich nicht wieder zu einsiedlerisch einniste. Gestern bracht' ich der Seelig-25 mann selber den Brief, welche ihre Freude nachmittags durch eine zugeschickte ambrosische Brodtorte aussprach. In Fürstenzimmern sieht man etwas weniger Silber und Seide als in ihren. Mit Rührung und Begeisterung sprach sie von deinen Verdiensten um ihre Schwester, die dir nie zu belohnen wären. -- Darauf trug ich30 meinen andern Brief zur seelreichen, ihrer Schwester würdigen Gräfin Beroldingen, und trug ihn ruhig, weil ich nur an Hören und Reden dachte, unabgegeben wieder nach Hause. Auf Morgen bin ich von ihr zu einer Landfarth eingeladen. Gestern sah ich sie (und ihren Mann auch) in einem großen Gartenkonzert. Hier35
Vorgeſtern begegnete ich der Mutter Paulus auf der Straſſe und unſer Wiederumarmen war das alte warme. Aber ich bitte dich, ſchreibe mir, was du dazu ſagſt, daß ich mich noch bis heute nicht habe zwingen können, Sophie zu beſuchen 〈ſehen〉? Dieſe hat das Recht verloren, die Alte wieder zu werden. Tadelſt du mich?5
Es gibt weiter kein Mittel als aufzuhören; die Zeit drängt. Schreibe nur eiligſt.
Dein alter Richter
10
Herzlich ſeien die Deinigen gegrüßt!
530. An Karoline Richter.
Stuttgart d. 9ten Jun. 〈Mittwoch〉 [1819]
Die erſte Zeile, die ich in meiner neuen Wohnung ſchreibe, ſei an dich, meine Theuere. Ich wohne gerade ſo gemüthlich, wie ſonſt15 in Nürnberg, bei dem Kaufmann Carl Mohr (ſo ſchreibe unten in deinen Briefen bei), ein herrliches kinderloſes Ehepaar; habe zwei heitere Zimmerchen wie ich ſie wünſche mit brauchbaren Möbeln und Ausſicht und allem. Gott ſei es gedankt, daß er den Cotta mir aus dem Wege geſchickt, der mich ſonſt in ſeinen Pallaſt gezogen20 hätte. Koſtet wöchentlich mit Aufwartung 4 fl. Über mir hauſet auch ein Legazionrath (v. Arand), aber ein wirklicher; und ſo hat ein Liebhaber die Wahl, ob er Schein oder Realität nehmen will. Jetzo erſt bin ich erheitert, und ich habe nur zu wachen, daß ich mich nicht wieder zu einſiedleriſch einniſte. Geſtern bracht’ ich der Seelig-25 mann ſelber den Brief, welche ihre Freude nachmittags durch eine zugeſchickte ambroſiſche Brodtorte ausſprach. In Fürſtenzimmern ſieht man etwas weniger Silber und Seide als in ihren. Mit Rührung und Begeiſterung ſprach ſie von deinen Verdienſten um ihre Schweſter, die dir nie zu belohnen wären. — Darauf trug ich30 meinen andern Brief zur ſeelreichen, ihrer Schweſter würdigen Gräfin Beroldingen, und trug ihn ruhig, weil ich nur an Hören und Reden dachte, unabgegeben wieder nach Hauſe. Auf Morgen bin ich von ihr zu einer Landfarth eingeladen. Geſtern ſah ich ſie (und ihren Mann auch) in einem großen Gartenkonzert. Hier35
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Vorgeſtern begegnete ich der Mutter Paulus auf der Straſſe
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dich, ſchreibe mir, was du dazu ſagſt, daß ich mich noch bis heute
nicht habe zwingen können, Sophie zu beſuchen 〈ſehen〉? Dieſe hat
das Recht verloren, die Alte wieder zu werden. Tadelſt du mich? 5
Es gibt weiter kein Mittel als aufzuhören; die Zeit drängt.
Schreibe nur eiligſt.
Dein
alter
Richter 10
Herzlich ſeien die Deinigen gegrüßt!
530. An Karoline Richter.
Stuttgart d. 9ten Jun. 〈Mittwoch〉 [1819]
Die erſte Zeile, die ich in meiner neuen Wohnung ſchreibe, ſei
an dich, meine Theuere. Ich wohne gerade ſo gemüthlich, wie ſonſt 15
in Nürnberg, bei dem Kaufmann Carl Mohr (ſo ſchreibe unten in
deinen Briefen bei), ein herrliches kinderloſes Ehepaar; habe zwei
heitere Zimmerchen wie ich ſie wünſche mit brauchbaren Möbeln
und Ausſicht und allem. Gott ſei es gedankt, daß er den Cotta mir
aus dem Wege geſchickt, der mich ſonſt in ſeinen Pallaſt gezogen 20
hätte. Koſtet wöchentlich mit Aufwartung 4 fl. Über mir hauſet
auch ein Legazionrath (v. Arand), aber ein wirklicher; und ſo hat
ein Liebhaber die Wahl, ob er Schein oder Realität nehmen will.
Jetzo erſt bin ich erheitert, und ich habe nur zu wachen, daß ich mich
nicht wieder zu einſiedleriſch einniſte. Geſtern bracht’ ich der Seelig- 25
mann ſelber den Brief, welche ihre Freude nachmittags durch eine
zugeſchickte ambroſiſche Brodtorte ausſprach. In Fürſtenzimmern
ſieht man etwas weniger Silber und Seide als in ihren. Mit
Rührung und Begeiſterung ſprach ſie von deinen Verdienſten um
ihre Schweſter, die dir nie zu belohnen wären. — Darauf trug ich 30
meinen andern Brief zur ſeelreichen, ihrer Schweſter würdigen
Gräfin Beroldingen, und trug ihn ruhig, weil ich nur an Hören
und Reden dachte, unabgegeben wieder nach Hauſe. Auf Morgen
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(und ihren Mann auch) in einem großen Gartenkonzert. Hier 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/276>, abgerufen am 16.07.2024.
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