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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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als bis der Kalkgeruch verflogen. -- Gar zu viel gabst du mir mit,
liebes Herz; und hier war mir immer wie bei dem Abendmal das
körperliche Essen ein geistiges und ein Liebemal. -- Ich küsse meine
lieben Kinderlein. -- Schreibe mir recht viel; aber schicke keine
Briefe nach, nur die Inhaltanzeige. -- Eben hör' ich, daß Cotta5
erst Ende der Woche von seinem Landgute zurück kehrt. -- Blos
die stundenlange Einfahrt unter Alleen und zwischen Gärten von
Kannstadt in die Residenz ist eine der schönsten. Ich schreibe alles
durch einander, in lauter Angst der Störung. Wäre nur schon
meine heutige Umquartierung vorbei. -- Es werden jetzo viele Ge-10
witter kommen; hüte ja wegen Feuer die Schlüssel. -- Grüße O[tto]
und E[manuel]. -- Und so lebe denn froh, liebe treugeliebte Seele.

Richter

Ich habe den Brief wieder aufgemacht. Cotta mit seiner ganzen
Familie ist auf sein Landgut bis Montags verreiset. Einen Brief15
an mich (von Voß wahrscheinlich) hat er nach Baireut gesandt;
schicke mir ihn ja nicht wieder her, sondern nur das Bedeutendste des
Inhalts. -- Bis diese neueste Minute ist mir wenig geglückt, von
der ältesten an.

[*auf besonderem Blatt]20

... und so will ich denn einige Reiseleiden rekapitulieren, um mir
die Gegenwart zu verklären. Auf den Bergen Streitbergs riß
zweimal der Strang; in Wüstenstein wurde ich in eine Stuben-
kammer neben einer lauten Stube voll Kaufleute gesteckt. Die Nacht
in Erlangen brachte Nachttoben der Studenten, Kanonieren, Heim-25
kommen vom Schützenberge. Der Hund murrt bei jedem Vorüber-
gehenden -- der Nachtwächter tutet die Stunden und die Viertel-
stunden -- darauf ein Getön, als wenn eine Kuh nach ihrem Kalbe
schrie; dann, da es immer fortging, hielt ichs für den Ton eines un-
bekannten Maschinenwerks; endlich errieth ich, daß es ein abscheu-30
liches Schnarchen war. Vom Anspacher Gastviehhof will ich gar
nicht sprechen; eine Kammer im zweiten Stockwerk, voller Gebälk,
mit einem elenden Bett und zwei Stühlen (weiter nichts) war die
von E[nzel] gerühmte Pracht. -- Dafür gab mir der frühe Reise-
morgen das schöne Gefühl der eignen Jugend zurück. --35

als bis der Kalkgeruch verflogen. — Gar zu viel gabſt du mir mit,
liebes Herz; und hier war mir immer wie bei dem Abendmal das
körperliche Eſſen ein geiſtiges und ein Liebemal. — Ich küſſe meine
lieben Kinderlein. — Schreibe mir recht viel; aber ſchicke keine
Briefe nach, nur die Inhaltanzeige. — Eben hör’ ich, daß Cotta5
erſt Ende der Woche von ſeinem Landgute zurück kehrt. — Blos
die ſtundenlange Einfahrt unter Alleen und zwiſchen Gärten von
Kannſtadt in die Reſidenz iſt eine der ſchönſten. Ich ſchreibe alles
durch einander, in lauter Angſt der Störung. Wäre nur ſchon
meine heutige Umquartierung vorbei. — Es werden jetzo viele Ge-10
witter kommen; hüte ja wegen Feuer die Schlüſſel. — Grüße O[tto]
und E[manuel]. — Und ſo lebe denn froh, liebe treugeliebte Seele.

Richter

Ich habe den Brief wieder aufgemacht. Cotta mit ſeiner ganzen
Familie iſt auf ſein Landgut bis Montags verreiſet. Einen Brief15
an mich (von Voß wahrſcheinlich) hat er nach Baireut geſandt;
ſchicke mir ihn ja nicht wieder her, ſondern nur das Bedeutendſte des
Inhalts. — Bis dieſe neueſte Minute iſt mir wenig geglückt, von
der älteſten an.

[*auf besonderem Blatt]20

... und ſo will ich denn einige Reiſeleiden rekapitulieren, um mir
die Gegenwart zu verklären. Auf den Bergen Streitbergs riß
zweimal der Strang; in Wüſtenſtein wurde ich in eine Stuben-
kammer neben einer lauten Stube voll Kaufleute geſteckt. Die Nacht
in Erlangen brachte Nachttoben der Studenten, Kanonieren, Heim-25
kommen vom Schützenberge. Der Hund murrt bei jedem Vorüber-
gehenden — der Nachtwächter tutet die Stunden und die Viertel-
ſtunden — darauf ein Getön, als wenn eine Kuh nach ihrem Kalbe
ſchrie; dann, da es immer fortging, hielt ichs für den Ton eines un-
bekannten Maſchinenwerks; endlich errieth ich, daß es ein abſcheu-30
liches Schnarchen war. Vom Anſpacher Gaſtviehhof will ich gar
nicht ſprechen; eine Kammer im zweiten Stockwerk, voller Gebälk,
mit einem elenden Bett und zwei Stühlen (weiter nichts) war die
von E[nzel] gerühmte Pracht. — Dafür gab mir der frühe Reiſe-
morgen das ſchöne Gefühl der eignen Jugend zurück. —35

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[266/0274] als bis der Kalkgeruch verflogen. — Gar zu viel gabſt du mir mit, liebes Herz; und hier war mir immer wie bei dem Abendmal das körperliche Eſſen ein geiſtiges und ein Liebemal. — Ich küſſe meine lieben Kinderlein. — Schreibe mir recht viel; aber ſchicke keine Briefe nach, nur die Inhaltanzeige. — Eben hör’ ich, daß Cotta 5 erſt Ende der Woche von ſeinem Landgute zurück kehrt. — Blos die ſtundenlange Einfahrt unter Alleen und zwiſchen Gärten von Kannſtadt in die Reſidenz iſt eine der ſchönſten. Ich ſchreibe alles durch einander, in lauter Angſt der Störung. Wäre nur ſchon meine heutige Umquartierung vorbei. — Es werden jetzo viele Ge- 10 witter kommen; hüte ja wegen Feuer die Schlüſſel. — Grüße O[tto] und E[manuel]. — Und ſo lebe denn froh, liebe treugeliebte Seele. Richter Ich habe den Brief wieder aufgemacht. Cotta mit ſeiner ganzen Familie iſt auf ſein Landgut bis Montags verreiſet. Einen Brief 15 an mich (von Voß wahrſcheinlich) hat er nach Baireut geſandt; ſchicke mir ihn ja nicht wieder her, ſondern nur das Bedeutendſte des Inhalts. — Bis dieſe neueſte Minute iſt mir wenig geglückt, von der älteſten an. 20 ... und ſo will ich denn einige Reiſeleiden rekapitulieren, um mir die Gegenwart zu verklären. Auf den Bergen Streitbergs riß zweimal der Strang; in Wüſtenſtein wurde ich in eine Stuben- kammer neben einer lauten Stube voll Kaufleute geſteckt. Die Nacht in Erlangen brachte Nachttoben der Studenten, Kanonieren, Heim- 25 kommen vom Schützenberge. Der Hund murrt bei jedem Vorüber- gehenden — der Nachtwächter tutet die Stunden und die Viertel- ſtunden — darauf ein Getön, als wenn eine Kuh nach ihrem Kalbe ſchrie; dann, da es immer fortging, hielt ichs für den Ton eines un- bekannten Maſchinenwerks; endlich errieth ich, daß es ein abſcheu- 30 liches Schnarchen war. Vom Anſpacher Gaſtviehhof will ich gar nicht ſprechen; eine Kammer im zweiten Stockwerk, voller Gebälk, mit einem elenden Bett und zwei Stühlen (weiter nichts) war die von E[nzel] gerühmte Pracht. — Dafür gab mir der frühe Reiſe- morgen das ſchöne Gefühl der eignen Jugend zurück. — 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/274>, abgerufen am 22.11.2024.