Verehrtester H. Oberkirchenrath! Sie haben meine Briefe eigentlich weniger mir als denen zu verzeihen, die mich durch ihre Wünsche und Hoffnungen dazu bereden. Im gegenwärtigen bin ich5 blos ein Zeuge dessen mehr, was Ihnen das Rektorat wird vorge- tragen haben; die Bitte und Ihre Erfüllung derselben kommen dann von selber. Leider ists wahr und außer dem Gymnasium noch mehr anerkannt als in ihm, daß wenn man ihm den jetzigen spiritus rector -- welches nicht der Rektor Degen, sondern Wagner ist --10 nähme, es zerfallen müßte. Sie können ihm aber durch die Besetzung des Mittelgymnasiums neue Wurzeln geben. Es ist durchaus ein kräftiger mit klassischem Geiste ausgerüsteter Mann eilig noth- wendig, der den Oberklassen reife Lehrlinge zuschickt; ja sogar einer von einigem literarischen Rufe, der nach Außen auf das Vertrauen15 der Eltern wirkt. Wenn das Rektorat so eifrig einen berühmten Mitlehrer wünscht: so setzt dieser Wunsch zum wenigsten nicht Neid und Eigennutz voraus. Die Zukunft der Schule ruht nun in Ihrer Hand; und ich hoffe, diese wird als handelnde so segenreich für die Wissenschaften eingreifen als sie es längst als schreibende gethan.20
-- Grüßen Sie unsern Jacobi. Leider könnt' er für mich eben so gut in Elysium sein, so wenig hör' ich, seh' ich, bekomm' ich von ihm; denn nicht einmal sein versprochner zweiter Theil ist erschienen.
Leben Sie wol in der stürmischen Tag- und Nachtgleiche, wo zu Ostern in Frankreich nicht Christus auferstanden ist, sondern der25 unbußfertige Schächer! -- Mit innigster Hochachtung
Ihr ergebenster Jean Paul Fr. Richter
44. An Emanuel.
[Bayreuth, 28. März 1815]30
Mein guter Emanuel! Schön ist jedes Wort Ihres Briefs, zu- mal da jedes ein Stück Ihres Lebens ist. Das einzige Mittel, die Erde zu genießen, ist sie zu überbieten.
Meine gestrige Bestürzung hat sich in klare ja tröstende Ansicht aufgelöset; 1) daß der Moniteur jetzo wieder nur große Lügen und35 kleine Wahrheiten sagt und b) daß die andern Marschälle hinter
2 Jean Paul Briefe. VII.
43. An Oberkirchenrat Niethammer in München.
Baireuth d. 26 März 1815 [Oſterſonntag]
Verehrteſter H. Oberkirchenrath! Sie haben meine Briefe eigentlich weniger mir als denen zu verzeihen, die mich durch ihre Wünſche und Hoffnungen dazu bereden. Im gegenwärtigen bin ich5 blos ein Zeuge deſſen mehr, was Ihnen das Rektorat wird vorge- tragen haben; die Bitte und Ihre Erfüllung derſelben kommen dann von ſelber. Leider iſts wahr und außer dem Gymnaſium noch mehr anerkannt als in ihm, daß wenn man ihm den jetzigen spiritus rector — welches nicht der Rektor Degen, ſondern Wagner iſt —10 nähme, es zerfallen müßte. Sie können ihm aber durch die Beſetzung des Mittelgymnaſiums neue Wurzeln geben. Es iſt durchaus ein kräftiger mit klaſſiſchem Geiſte ausgerüſteter Mann eilig noth- wendig, der den Oberklaſſen reife Lehrlinge zuſchickt; ja ſogar einer von einigem literariſchen Rufe, der nach Außen auf das Vertrauen15 der Eltern wirkt. Wenn das Rektorat ſo eifrig einen berühmten Mitlehrer wünſcht: ſo ſetzt dieſer Wunſch zum wenigſten nicht Neid und Eigennutz voraus. Die Zukunft der Schule ruht nun in Ihrer Hand; und ich hoffe, dieſe wird als handelnde ſo ſegenreich für die Wiſſenſchaften eingreifen als ſie es längſt als ſchreibende gethan.20
— Grüßen Sie unſern Jacobi. Leider könnt’ er für mich eben ſo gut in Elyſium ſein, ſo wenig hör’ ich, ſeh’ ich, bekomm’ ich von ihm; denn nicht einmal ſein verſprochner zweiter Theil iſt erſchienen.
Leben Sie wol in der ſtürmiſchen Tag- und Nachtgleiche, wo zu Oſtern in Frankreich nicht Chriſtus auferſtanden iſt, ſondern der25 unbußfertige Schächer! — Mit innigſter Hochachtung
Ihr ergebenſter Jean Paul Fr. Richter
44. An Emanuel.
[Bayreuth, 28. März 1815]30
Mein guter Emanuel! Schön iſt jedes Wort Ihres Briefs, zu- mal da jedes ein Stück Ihres Lebens iſt. Das einzige Mittel, die Erde zu genießen, iſt ſie zu überbieten.
Meine geſtrige Beſtürzung hat ſich in klare ja tröſtende Anſicht aufgelöſet; 1) daß der Moniteur jetzo wieder nur große Lügen und35 kleine Wahrheiten ſagt und b) daß die andern Marſchälle hinter
2 Jean Paul Briefe. VII.
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[17/0022]
43. An Oberkirchenrat Niethammer in München.
Baireuth d. 26 März 1815 [Oſterſonntag]
Verehrteſter H. Oberkirchenrath! Sie haben meine Briefe
eigentlich weniger mir als denen zu verzeihen, die mich durch ihre
Wünſche und Hoffnungen dazu bereden. Im gegenwärtigen bin ich 5
blos ein Zeuge deſſen mehr, was Ihnen das Rektorat wird vorge-
tragen haben; die Bitte und Ihre Erfüllung derſelben kommen dann
von ſelber. Leider iſts wahr und außer dem Gymnaſium noch mehr
anerkannt als in ihm, daß wenn man ihm den jetzigen spiritus
rector — welches nicht der Rektor Degen, ſondern Wagner iſt — 10
nähme, es zerfallen müßte. Sie können ihm aber durch die Beſetzung
des Mittelgymnaſiums neue Wurzeln geben. Es iſt durchaus ein
kräftiger mit klaſſiſchem Geiſte ausgerüſteter Mann eilig noth-
wendig, der den Oberklaſſen reife Lehrlinge zuſchickt; ja ſogar einer
von einigem literariſchen Rufe, der nach Außen auf das Vertrauen 15
der Eltern wirkt. Wenn das Rektorat ſo eifrig einen berühmten
Mitlehrer wünſcht: ſo ſetzt dieſer Wunſch zum wenigſten nicht Neid
und Eigennutz voraus. Die Zukunft der Schule ruht nun in Ihrer
Hand; und ich hoffe, dieſe wird als handelnde ſo ſegenreich für die
Wiſſenſchaften eingreifen als ſie es längſt als ſchreibende gethan. 20
— Grüßen Sie unſern Jacobi. Leider könnt’ er für mich eben ſo
gut in Elyſium ſein, ſo wenig hör’ ich, ſeh’ ich, bekomm’ ich von ihm;
denn nicht einmal ſein verſprochner zweiter Theil iſt erſchienen.
Leben Sie wol in der ſtürmiſchen Tag- und Nachtgleiche, wo zu
Oſtern in Frankreich nicht Chriſtus auferſtanden iſt, ſondern der 25
unbußfertige Schächer! — Mit innigſter Hochachtung
Ihr ergebenſter
Jean Paul Fr. Richter
44. An Emanuel.
[Bayreuth, 28. März 1815] 30
Mein guter Emanuel! Schön iſt jedes Wort Ihres Briefs, zu-
mal da jedes ein Stück Ihres Lebens iſt. Das einzige Mittel, die
Erde zu genießen, iſt ſie zu überbieten.
Meine geſtrige Beſtürzung hat ſich in klare ja tröſtende Anſicht
aufgelöſet; 1) daß der Moniteur jetzo wieder nur große Lügen und 35
kleine Wahrheiten ſagt und b) daß die andern Marſchälle hinter
2 Jean Paul Briefe. VII.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/22>, abgerufen am 13.02.2025.
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