volle Entscheidung auf den nächsten Tag. -- -- -- Wenn ich nur nicht so viel schreiben müßte ... Die Schelver hält er für seine Frau und sagt ihr, sie solle alles dem H. Professor sagen, er habe nicht das Herz; denn er weiß dessen Danebensitzen nicht. Sein Aufwachen ist fürchterlich-krampfhaft und langsam; alsdann ist er ungemein5 freundlich und bescheiden, was er alles im Schlafe nicht ist. Und doch halten einige Aerzte hier alles für Betrügerei, trotz der auf- fallendsten Heilungen. Ich stand vor dem Abgrunde der Geister- welt. Für 5 oder 6 unheilbare Kranke wurden heute die Rezepte eingeholt. Die Krüdner setzt sich immer auch neben ihn ohne Ursache10 Noth und bekommt starke (von Schelver bald geheilte) Zuckungen und Schlaf; sie sagte mir aber, es schade ihr nichts; und sie blüht auch. Von 121/2 bis 2 Uhr, wo der Blinde zu reden anfängt, füllt sich der Saal. Nicht sein Ton und seine Aussprache, aber seine Sprache erhebt sich, z. B. Gott ist der allgemeine Weltarzt, oder15 die Weiber alle sind "wehleidig". Mir grauset jetzo nur vor den Disputazionen für ihn -- --
Du hast doch meine Briefchen an Emanuel, Otto, Welden etc. erhalten?
Voßens Mutter stößt eigentlich mit dem eckigen kalten Gesicht20 und Auge ab; aber ihr ganzes Betragen zeigt die altdeutsche Haus- frau, die ohne Rede und Widerrede den Mann beglückt und befolgt und alles um sich her erfreuen will. Voß hat Kraft und Stolz des starken gebognen Nackens wie ein kühner Pegasus. Aber beide lieben mich. --25
Warum schreiben mir denn meine lieben Kinderlein so wenig?
Deine Briefe adressierst du: abzugeben im Karlsberg.
Schreibe mir von euerem Wetter und unserem Haushalten. Lege Jetzo Bier ein; nur müßt ihr das zu alte und starke vorher wegtrinken. -- Vergiß ja nicht, mir auch die Fragen des vorigen Briefes zu30 beantworten.
Sonntag. d. 20ten
Gestern abends schickte Hufeland aus Berlin eine Karte. Mit ihm, seinen Töchtern und seiner zweiten Frau und einer großen Gesellschaft bestieg ich wieder die große Ruine. Die Frau -- eine35 deiner alten Freundinnen -- konnte nicht genug von dir hören.
14 Jean Paul Briefe. VII.
volle Entſcheidung auf den nächſten Tag. — — — Wenn ich nur nicht ſo viel ſchreiben müßte ... Die Schelver hält er für ſeine Frau und ſagt ihr, ſie ſolle alles dem H. Profeſſor ſagen, er habe nicht das Herz; denn er weiß deſſen Danebenſitzen nicht. Sein Aufwachen iſt fürchterlich-krampfhaft und langſam; alsdann iſt er ungemein5 freundlich und beſcheiden, was er alles im Schlafe nicht iſt. Und doch halten einige Aerzte hier alles für Betrügerei, trotz der auf- fallendſten Heilungen. Ich ſtand vor dem Abgrunde der Geiſter- welt. Für 5 oder 6 unheilbare Kranke wurden heute die Rezepte eingeholt. Die Krüdner ſetzt ſich immer auch neben ihn ohne Urſache10 〈Noth〉 und bekommt ſtarke (von Schelver bald geheilte) Zuckungen und Schlaf; ſie ſagte mir aber, es ſchade ihr nichts; und ſie blüht auch. Von 12½ bis 2 Uhr, wo der Blinde zu reden anfängt, füllt ſich der Saal. Nicht ſein Ton und ſeine Ausſprache, aber ſeine Sprache erhebt ſich, z. B. Gott iſt der allgemeine Weltarzt, oder15 die Weiber alle ſind „wehleidig“. Mir grauſet jetzo nur vor den Diſputazionen für ihn — —
Du haſt doch meine Briefchen an Emanuel, Otto, Welden ꝛc. erhalten?
Voßens Mutter ſtößt eigentlich mit dem eckigen kalten Geſicht20 und Auge ab; aber ihr ganzes Betragen zeigt die altdeutſche Haus- frau, die ohne Rede und Widerrede den Mann beglückt und befolgt und alles um ſich her erfreuen will. Voß hat Kraft und Stolz des ſtarken gebognen Nackens wie ein kühner Pegaſus. Aber beide lieben mich. —25
Warum ſchreiben mir denn meine lieben Kinderlein ſo wenig?
Deine Briefe adreſſierſt du: abzugeben im Karlsberg.
Schreibe mir von euerem Wetter und unſerem Haushalten. Lege Jetzo Bier ein; nur müßt ihr das zu alte und ſtarke vorher wegtrinken. — Vergiß ja nicht, mir auch die Fragen des vorigen Briefes zu30 beantworten.
Sonntag. d. 20ten
Geſtern abends ſchickte Hufeland aus Berlin eine Karte. Mit ihm, ſeinen Töchtern und ſeiner zweiten Frau und einer großen Geſellſchaft beſtieg ich wieder die große Ruine. Die Frau — eine35 deiner alten Freundinnen — konnte nicht genug von dir hören.
14 Jean Paul Briefe. VII.
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volle Entſcheidung auf den nächſten Tag. — — — Wenn ich nur nicht
ſo viel ſchreiben müßte ... Die Schelver hält er für ſeine Frau und
ſagt ihr, ſie ſolle alles dem H. Profeſſor ſagen, er habe nicht das
Herz; denn er weiß deſſen Danebenſitzen nicht. Sein Aufwachen iſt
fürchterlich-krampfhaft und langſam; alsdann iſt er ungemein 5
freundlich und beſcheiden, was er alles im Schlafe nicht iſt. Und
doch halten einige Aerzte hier alles für Betrügerei, trotz der auf-
fallendſten Heilungen. Ich ſtand vor dem Abgrunde der Geiſter-
welt. Für 5 oder 6 unheilbare Kranke wurden heute die Rezepte
eingeholt. Die Krüdner ſetzt ſich immer auch neben ihn ohne Urſache 10
〈Noth〉 und bekommt ſtarke (von Schelver bald geheilte) Zuckungen
und Schlaf; ſie ſagte mir aber, es ſchade ihr nichts; und ſie blüht
auch. Von 12½ bis 2 Uhr, wo der Blinde zu reden anfängt, füllt
ſich der Saal. Nicht ſein Ton und ſeine Ausſprache, aber ſeine
Sprache erhebt ſich, z. B. Gott iſt der allgemeine Weltarzt, oder 15
die Weiber alle ſind „wehleidig“. Mir grauſet jetzo nur vor den
Diſputazionen für ihn — —
Du haſt doch meine Briefchen an Emanuel, Otto, Welden ꝛc.
erhalten?
Voßens Mutter ſtößt eigentlich mit dem eckigen kalten Geſicht 20
und Auge ab; aber ihr ganzes Betragen zeigt die altdeutſche Haus-
frau, die ohne Rede und Widerrede den Mann beglückt und befolgt
und alles um ſich her erfreuen will. Voß hat Kraft und Stolz des
ſtarken gebognen Nackens wie ein kühner Pegaſus. Aber beide
lieben mich. — 25
Warum ſchreiben mir denn meine lieben Kinderlein ſo wenig?
Deine Briefe adreſſierſt du: abzugeben im Karlsberg.
Schreibe mir von euerem Wetter und unſerem Haushalten. Lege
Jetzo Bier ein; nur müßt ihr das zu alte und ſtarke vorher wegtrinken.
— Vergiß ja nicht, mir auch die Fragen des vorigen Briefes zu 30
beantworten.
Sonntag. d. 20ten
Geſtern abends ſchickte Hufeland aus Berlin eine Karte. Mit
ihm, ſeinen Töchtern und ſeiner zweiten Frau und einer großen
Geſellſchaft beſtieg ich wieder die große Ruine. Die Frau — eine 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/216>, abgerufen am 16.02.2025.
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