Nach 11 Uhr umkreisete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum Plane des Festes gehörte -- Ich konnte über den Mittelnachen Nebennachen doch die Hände hinüberreichen zum Drücken*) -- Und so glitt es, mehr schwebend und ruhend, auf den Wellen der5 Stadt zu. Da sah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.
Die Musiker und Menschen unseres Schiffs begleiteten uns bis in den Hof des Wennerschen Hauses und ich bekam, nachdem ich schon Abschied genommen, wieder ein gesungnes und gespieltes Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu10 zu scheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich einen so herzlichen Kuß nach dem meinigen als sei es meine Tochter. Nach 121/2 Uhr war die schöne Geisternacht vorüber. -- Verzeih die wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe sagt. Nun wirst du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe15 hätt' ich etwas davon gesagt, wäre die Feiergesellschaft nicht zu groß gewesen. --
Die Weiber sind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen sich nur auf die untern, nicht auf die mittlern Klassen.20
Der geistig und leiblich-fein gebildete und schön geformte Wenner -- der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr ist, aber sehr reich; denn sein Haus besteht aus 2 aneinander gereiheten Häusern -- hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Festabend nur so nebenher eingeladen.25
d. 8. Jun.
Ich schmachte sehr nach einem Blatte von dir und habe dich den ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich sähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. -- Setze auf deine Briefe: Frankfurt am Main. -- Auch frankiere sie hieher, bis ich in30 Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be- zahlen brauche. Diese Woche bleib ich freilich noch hier, da ich zum Essen mit dem hiesigen Gelehrtenverein geladen bin, -- und
*) Komisch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das Gesicht herauszuhalten, damit das neue Weiberschiff mein mitschiffendes Gesicht35 sähe als eine neue Insel.
Nach 11 Uhr umkreiſete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten und Weibern und Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum Plane des Feſtes gehörte — Ich konnte über den Mittelnachen 〈Nebennachen〉 doch die Hände hinüberreichen zum Drücken*) — Und ſo glitt es, mehr ſchwebend und ruhend, auf den Wellen der5 Stadt zu. Da ſah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.
Die Muſiker und Menſchen unſeres Schiffs begleiteten uns bis in den Hof des Wennerschen Hauſes und ich bekam, nachdem ich ſchon Abſchied genommen, wieder ein geſungnes und geſpieltes Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu10 zu ſcheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich einen ſo herzlichen Kuß nach dem meinigen als ſei es meine Tochter. Nach 12½ Uhr war die ſchöne Geiſternacht vorüber. — Verzeih die wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe ſagt. Nun wirſt du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe15 hätt’ ich etwas davon geſagt, wäre die Feiergeſellſchaft nicht zu groß geweſen. —
Die Weiber ſind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen ſich nur auf die untern, nicht auf die mittlern Klaſſen.20
Der geiſtig und leiblich-fein gebildete und ſchön geformte Wenner — der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr iſt, aber ſehr reich; denn ſein Haus beſteht aus 2 aneinander gereiheten Häuſern — hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Feſtabend nur ſo nebenher eingeladen.25
d. 8. Jun.
Ich ſchmachte ſehr nach einem Blatte von dir und habe dich den ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich ſähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. — Setze auf deine Briefe: Frankfurt am Main. — Auch frankiere ſie hieher, bis ich in30 Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be- zahlen brauche. Dieſe Woche bleib ich freilich noch hier, da ich zum Eſſen mit dem hieſigen Gelehrtenverein geladen bin, — und
*) Komiſch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das Geſicht herauszuhalten, damit das neue Weiberſchiff mein mitſchiffendes Geſicht35 ſähe als eine neue Inſel.
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Nach 11 Uhr umkreiſete uns ein neues Schiff mit Lichtern, Flöten
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Plane des Feſtes gehörte — Ich konnte über den Mittelnachen
〈Nebennachen〉 doch die Hände hinüberreichen zum Drücken *) —
Und ſo glitt es, mehr ſchwebend und ruhend, auf den Wellen der 5
Stadt zu. Da ſah ich oft zu den Sternen hinauf und dankte Gott.
Die Muſiker und Menſchen unſeres Schiffs begleiteten uns bis
in den Hof des Wennerschen Hauſes und ich bekam, nachdem ich
ſchon Abſchied genommen, wieder ein geſungnes und geſpieltes
Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu zu danken und neu 10
zu ſcheiden. Von einem Mädchen, das ich nicht kenne, bekam ich
einen ſo herzlichen Kuß nach dem meinigen als ſei es meine Tochter.
Nach 12½ Uhr war die ſchöne Geiſternacht vorüber. — Verzeih die
wilde Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe ſagt. Nun wirſt
du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte; und beinahe 15
hätt’ ich etwas davon geſagt, wäre die Feiergeſellſchaft nicht zu
groß geweſen. —
Die Weiber ſind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine
neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen ſich nur auf
die untern, nicht auf die mittlern Klaſſen. 20
Der geiſtig und leiblich-fein gebildete und ſchön geformte Wenner
— der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner mehr iſt,
aber ſehr reich; denn ſein Haus beſteht aus 2 aneinander gereiheten
Häuſern — hatte mich zum ganzen mir zubereiteten Feſtabend nur
ſo nebenher eingeladen. 25
d. 8. Jun.
Ich ſchmachte ſehr nach einem Blatte von dir und habe dich den
ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht geträumt, ich
ſähe dich krank im Bette, was Gott verhüte. — Setze auf deine
Briefe: Frankfurt am Main. — Auch frankiere ſie hieher, bis ich in 30
Heidelberg bin, damit ich Wenner nicht etwa von dort aus zu be-
zahlen brauche. Dieſe Woche bleib ich freilich noch hier, da ich
zum Eſſen mit dem hieſigen Gelehrtenverein geladen bin, — und
*) Komiſch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das
Geſicht herauszuhalten, damit das neue Weiberſchiff mein mitſchiffendes Geſicht 35
ſähe als eine neue Inſel.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/205>, abgerufen am 16.07.2024.
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