machen, so macht der Mutter eine: da wird euch der Vater recht lieben.
411. An Karoline Richter.
Aschaffenburg d. 28ten Mai (Donnerstags) [1818]
Meine geliebte Karoline! Eben um Viertel auf 9 Uhr steig ich5 aus und setze mich wieder nieder, um dir nur zu schreiben, daß ich gesund angekommen. Morgen in Frankfurt schreib ich mehr. Jetzo hab ich zweimal hinter einander täglich 18 Stunden gemacht. In meinen Jahren bekommt man doch eine solche Kutscheneinsamkeit satt. Künftig reis' ich weniger allein oder doch weniger weit. Hätte10 mein Kutscher nur das halbe Feuer seines Pferds: ich wäre froh gewesen. Noch nie hat er bei allen Gaben von Wein, Schinken, Gebacknem, oder bei Bezahlen seiner Rechnung nur gelispelt: ich danke. Bis jetzt hat er noch nicht gesagt: guten Morgen! Und er hat nur noch morgen dazu übrig; wo ich dirs melden würde mit15 umgehender Post, wenn ers thäte. -- Vielleicht hab' ich unsern gestrigen heiligen Tag mit einer heilbringenden Handlung geschlossen oder geweiht. Ich war nämlich in Würzburg -- wegen der Ver- setzung meiner Pension -- bei dem Finanzdirektor von Hornberg, sprach aber kein Wort von der Versetzung. Denn er hat eine20 schwindsüchtige Tochter von 16 Jahren, die der Hausarzt aufgibt. Ich schlug diesem, der an den Magnetismus nicht glaubt, den letzten als den einzigen Nothanker vor. Es wird mir das Erzählen zu lange. Kurz mit seiner Einwilligung magnetisiert ich die Tochter im Bette und erweckte sie zu einem festen -- Schlafe. Jetzt wird ein anderer25 Arzt, ein trefflicher Jüngling, der auch in Berlin bei Wolfart ge- lernt, zum Magnetisieren angestellt, und er kam deßwegen noch spät abends zu mir. Ich habe der guten Mutter wenigstens voreilige Thränen genommen.
Ohne Magnetismus muß die Tochter sterben; ihr Gesicht ist schon30 ein weißes Marmorbild auf einem Grabstein.
Heute mußt du meinen vorgestrigen Brief aus Bamberg erhalten haben. Diesen geb' ich der freundlichen Wirthin zur Besorgung auf die Post. Eine Ehefrau thut gern einer andern Ehefrau in der Ferne etwas zu Gefallen und denkt: dieß wäre mein Mann.35
machen, ſo macht der Mutter eine: da wird euch der Vater recht lieben.
411. An Karoline Richter.
Aschaffenburg d. 28ten Mai (Donnerſtags) [1818]
Meine geliebte Karoline! Eben um Viertel auf 9 Uhr ſteig ich5 aus und ſetze mich wieder nieder, um dir nur zu ſchreiben, daß ich geſund angekommen. Morgen in Frankfurt ſchreib ich mehr. Jetzo hab ich zweimal hinter einander täglich 18 Stunden gemacht. In meinen Jahren bekommt man doch eine ſolche Kutſcheneinſamkeit ſatt. Künftig reiſ’ ich weniger allein oder doch weniger weit. Hätte10 mein Kutſcher nur das halbe Feuer ſeines Pferds: ich wäre froh geweſen. Noch nie hat er bei allen Gaben von Wein, Schinken, Gebacknem, oder bei Bezahlen ſeiner Rechnung nur geliſpelt: ich danke. Bis jetzt hat er noch nicht geſagt: guten Morgen! Und er hat nur noch morgen dazu übrig; wo ich dirs melden würde mit15 umgehender Poſt, wenn ers thäte. — Vielleicht hab’ ich unſern geſtrigen heiligen Tag mit einer heilbringenden Handlung geſchloſſen oder geweiht. Ich war nämlich in Würzburg — wegen der Ver- ſetzung meiner Penſion — bei dem Finanzdirektor von Hornberg, ſprach aber kein Wort von der Verſetzung. Denn er hat eine20 ſchwindſüchtige Tochter von 16 Jahren, die der Hausarzt aufgibt. Ich ſchlug dieſem, der an den Magnetiſmus nicht glaubt, den letzten als den einzigen Nothanker vor. Es wird mir das Erzählen zu lange. Kurz mit ſeiner Einwilligung magnetiſiert ich die Tochter im Bette und erweckte ſie zu einem feſten — Schlafe. Jetzt wird ein anderer25 Arzt, ein trefflicher Jüngling, der auch in Berlin bei Wolfart ge- lernt, zum Magnetiſieren angeſtellt, und er kam deßwegen noch ſpät abends zu mir. Ich habe der guten Mutter wenigſtens voreilige Thränen genommen.
Ohne Magnetiſmus muß die Tochter ſterben; ihr Geſicht iſt ſchon30 ein weißes Marmorbild auf einem Grabſtein.
Heute mußt du meinen vorgeſtrigen Brief aus Bamberg erhalten haben. Dieſen geb’ ich der freundlichen Wirthin zur Beſorgung auf die Poſt. Eine Ehefrau thut gern einer andern Ehefrau in der Ferne etwas zu Gefallen und denkt: dieß wäre mein Mann.35
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machen, ſo macht der Mutter eine: da wird euch der Vater recht
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411. An Karoline Richter.
Aschaffenburg d. 28ten Mai (Donnerſtags) [1818]
Meine geliebte Karoline! Eben um Viertel auf 9 Uhr ſteig ich 5
aus und ſetze mich wieder nieder, um dir nur zu ſchreiben, daß ich
geſund angekommen. Morgen in Frankfurt ſchreib ich mehr. Jetzo
hab ich zweimal hinter einander täglich 18 Stunden gemacht. In
meinen Jahren bekommt man doch eine ſolche Kutſcheneinſamkeit
ſatt. Künftig reiſ’ ich weniger allein oder doch weniger weit. Hätte 10
mein Kutſcher nur das halbe Feuer ſeines Pferds: ich wäre froh
geweſen. Noch nie hat er bei allen Gaben von Wein, Schinken,
Gebacknem, oder bei Bezahlen ſeiner Rechnung nur geliſpelt: ich
danke. Bis jetzt hat er noch nicht geſagt: guten Morgen! Und er
hat nur noch morgen dazu übrig; wo ich dirs melden würde mit 15
umgehender Poſt, wenn ers thäte. — Vielleicht hab’ ich unſern
geſtrigen heiligen Tag mit einer heilbringenden Handlung geſchloſſen
oder geweiht. Ich war nämlich in Würzburg — wegen der Ver-
ſetzung meiner Penſion — bei dem Finanzdirektor von Hornberg,
ſprach aber kein Wort von der Verſetzung. Denn er hat eine 20
ſchwindſüchtige Tochter von 16 Jahren, die der Hausarzt aufgibt.
Ich ſchlug dieſem, der an den Magnetiſmus nicht glaubt, den letzten
als den einzigen Nothanker vor. Es wird mir das Erzählen zu lange.
Kurz mit ſeiner Einwilligung magnetiſiert ich die Tochter im Bette
und erweckte ſie zu einem feſten — Schlafe. Jetzt wird ein anderer 25
Arzt, ein trefflicher Jüngling, der auch in Berlin bei Wolfart ge-
lernt, zum Magnetiſieren angeſtellt, und er kam deßwegen noch ſpät
abends zu mir. Ich habe der guten Mutter wenigſtens voreilige
Thränen genommen.
Ohne Magnetiſmus muß die Tochter ſterben; ihr Geſicht iſt ſchon 30
ein weißes Marmorbild auf einem Grabſtein.
Heute mußt du meinen vorgeſtrigen Brief aus Bamberg erhalten
haben. Dieſen geb’ ich der freundlichen Wirthin zur Beſorgung auf
die Poſt. Eine Ehefrau thut gern einer andern Ehefrau in der Ferne
etwas zu Gefallen und denkt: dieß wäre mein Mann. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/195>, abgerufen am 17.07.2024.
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