Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

Bild:
<< vorherige Seite

Seine vergangenen Tage sind Alpenhöhen; wie Hirtenflöten von
diesen, tönen Danksagungen von jenen zu Ihm herüber.



Die Gebete sind die Flügel des Alters; auf ihnen hebt und senkt
sich sanft der lebenmüde Mensch und erblickt oben mehr Sterne
und unten mehr Blumen.5



Auch durch Seine spätern Jahre dauern Seine Schöpfungtage
fort und noch täglich sagt Sein Geist: es werde Licht! -- Und Er
wird es fortsagen, bis Er sich selber mit der unendlichen Sonne
vereinigt.



10

Geist und Herz zugleich richtet Er nach oben, wie die Zypresse
nicht blos den Gipfel, sondern auch den kleinsten Zweig gen Himmel
hebt -- Aber noch lange bleibe die irdische Wurzel auf unserer Erde!

J. P. F. Richter
255. An Ludwig von Oertel in Regensburg.
[Kopie]15

... Am Geburttage des Primas stecke beiliegenden Brief in die
Tasche ... Deine Übergabe verdoppelt meine Gabe. Ich kann dir
nicht sagen, wie lieb du meinem Herzen in der letzten Zeit geworden
bist. Wie näher würde sich jetzo dein Bruder mit dir verbrüdern.
Du brauchst fast nichts mehr zu werden als verdammt kühn gegen20
deinen Leib, der von dir auf den Händen getragen sein will und nur
an seine Ordnung denkt, nicht an die der Bücher und an keinen
Aufschub des Aufschubs.

... Goerz heiterer Nachsommer aus Friedrichs II Sommer, in
dem so manche Geistes Kraft blüht, die bei andern schon im Frühling25
verwelkte. Die liebliche Fr. v. Posch sollt' ich gar nicht grüßen;
denn ich muß öfter an sie denken als ein Katholik an die h[eilige]
Maria, weil ich jeden Tag ein Paarmal die Federn an ihrem in
Saffian gefasseten Flore abstreife ... Meine ganze Familie liebt
und grüßt dich; thäte beides aber noch lieber, wenn du wenigstens30
Einmal mit ihr gegessen hättest. Hast du noch eine von mir ge-

7*

Seine vergangenen Tage ſind Alpenhöhen; wie Hirtenflöten von
dieſen, tönen Dankſagungen von jenen zu Ihm herüber.



Die Gebete ſind die Flügel des Alters; auf ihnen hebt und ſenkt
ſich ſanft der lebenmüde Menſch und erblickt oben mehr Sterne
und unten mehr Blumen.5



Auch durch Seine ſpätern Jahre dauern Seine Schöpfungtage
fort und noch täglich ſagt Sein Geiſt: es werde Licht! — Und Er
wird es fortſagen, bis Er ſich ſelber mit der unendlichen Sonne
vereinigt.



10

Geiſt und Herz zugleich richtet Er nach oben, wie die Zypreſſe
nicht blos den Gipfel, ſondern auch den kleinſten Zweig gen Himmel
hebt — Aber noch lange bleibe die irdiſche Wurzel auf unſerer Erde!

J. P. F. Richter
255. An Ludwig von Oertel in Regensburg.
[Kopie]15

... Am Geburttage des Primas ſtecke beiliegenden Brief in die
Taſche ... Deine Übergabe verdoppelt meine Gabe. Ich kann dir
nicht ſagen, wie lieb du meinem Herzen in der letzten Zeit geworden
biſt. Wie näher würde ſich jetzo dein Bruder mit dir verbrüdern.
Du brauchſt faſt nichts mehr zu werden als verdammt kühn gegen20
deinen Leib, der von dir auf den Händen getragen ſein will und nur
an ſeine Ordnung denkt, nicht an die der Bücher und an keinen
Aufſchub des Aufſchubs.

... Goerz heiterer Nachſommer aus Friedrichs II Sommer, in
dem ſo manche Geiſtes Kraft blüht, die bei andern ſchon im Frühling25
verwelkte. Die liebliche Fr. v. Poſch ſollt’ ich gar nicht grüßen;
denn ich muß öfter an ſie denken als ein Katholik an die h[eilige]
Maria, weil ich jeden Tag ein Paarmal die Federn an ihrem in
Saffian gefaſſeten Flore abſtreife ... Meine ganze Familie liebt
und grüßt dich; thäte beides aber noch lieber, wenn du wenigſtens30
Einmal mit ihr gegeſſen hätteſt. Haſt du noch eine von mir ge-

7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0104" n="99"/>
        <p>Seine vergangenen Tage &#x017F;ind Alpenhöhen; wie Hirtenflöten von<lb/>
die&#x017F;en, tönen Dank&#x017F;agungen von jenen zu Ihm herüber.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Die Gebete &#x017F;ind die Flügel des Alters; auf ihnen hebt und &#x017F;enkt<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;anft der lebenmüde Men&#x017F;ch und erblickt oben mehr Sterne<lb/>
und unten mehr Blumen.<lb n="5"/>
</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Auch durch Seine &#x017F;pätern Jahre dauern Seine Schöpfungtage<lb/>
fort und noch täglich &#x017F;agt Sein Gei&#x017F;t: es werde Licht! &#x2014; Und Er<lb/>
wird es fort&#x017F;agen, bis Er &#x017F;ich &#x017F;elber mit der unendlichen Sonne<lb/>
vereinigt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <lb n="10"/>
        <p>Gei&#x017F;t und Herz zugleich richtet Er nach oben, wie die Zypre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nicht blos den Gipfel, &#x017F;ondern auch den klein&#x017F;ten Zweig gen Himmel<lb/>
hebt &#x2014; Aber noch lange bleibe die irdi&#x017F;che Wurzel auf un&#x017F;erer Erde!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">J. P. F. Richter</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>255. An <hi rendition="#g">Ludwig von Oertel in Regensburg.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 2. Febr. 1817]</hi> </dateline>
        <lb n="15"/>
        <p>... Am Geburttage des Primas &#x017F;tecke beiliegenden Brief in die<lb/>
Ta&#x017F;che ... Deine Übergabe verdoppelt meine Gabe. Ich kann dir<lb/>
nicht &#x017F;agen, wie lieb du meinem Herzen in der letzten Zeit geworden<lb/>
bi&#x017F;t. Wie näher würde &#x017F;ich jetzo dein Bruder mit dir verbrüdern.<lb/>
Du brauch&#x017F;t fa&#x017F;t nichts mehr zu werden als verdammt kühn gegen<lb n="20"/>
deinen Leib, der von dir auf den Händen getragen &#x017F;ein will und nur<lb/>
an &#x017F;eine Ordnung denkt, nicht an die der Bücher und an keinen<lb/>
Auf&#x017F;chub des Auf&#x017F;chubs.</p><lb/>
        <p>... <hi rendition="#aq">Goerz</hi> heiterer Nach&#x017F;ommer aus Friedrichs <hi rendition="#aq">II</hi> Sommer, in<lb/>
dem &#x017F;o manche Gei&#x017F;tes Kraft blüht, die bei andern &#x017F;chon im Frühling<lb n="25"/>
verwelkte. Die liebliche Fr. v. Po&#x017F;ch &#x017F;ollt&#x2019; ich gar nicht grüßen;<lb/>
denn ich muß öfter an &#x017F;ie denken als ein Katholik an die h[eilige]<lb/>
Maria, weil ich jeden Tag ein Paarmal die Federn an ihrem in<lb/>
Saffian gefa&#x017F;&#x017F;eten Flore ab&#x017F;treife ... Meine ganze Familie liebt<lb/>
und grüßt dich; thäte beides aber noch lieber, wenn du wenig&#x017F;tens<lb n="30"/>
Einmal mit ihr gege&#x017F;&#x017F;en hätte&#x017F;t. Ha&#x017F;t du noch eine von mir ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0104] Seine vergangenen Tage ſind Alpenhöhen; wie Hirtenflöten von dieſen, tönen Dankſagungen von jenen zu Ihm herüber. Die Gebete ſind die Flügel des Alters; auf ihnen hebt und ſenkt ſich ſanft der lebenmüde Menſch und erblickt oben mehr Sterne und unten mehr Blumen. 5 Auch durch Seine ſpätern Jahre dauern Seine Schöpfungtage fort und noch täglich ſagt Sein Geiſt: es werde Licht! — Und Er wird es fortſagen, bis Er ſich ſelber mit der unendlichen Sonne vereinigt. 10 Geiſt und Herz zugleich richtet Er nach oben, wie die Zypreſſe nicht blos den Gipfel, ſondern auch den kleinſten Zweig gen Himmel hebt — Aber noch lange bleibe die irdiſche Wurzel auf unſerer Erde! J. P. F. Richter 255. An Ludwig von Oertel in Regensburg. [Bayreuth, 2. Febr. 1817] 15 ... Am Geburttage des Primas ſtecke beiliegenden Brief in die Taſche ... Deine Übergabe verdoppelt meine Gabe. Ich kann dir nicht ſagen, wie lieb du meinem Herzen in der letzten Zeit geworden biſt. Wie näher würde ſich jetzo dein Bruder mit dir verbrüdern. Du brauchſt faſt nichts mehr zu werden als verdammt kühn gegen 20 deinen Leib, der von dir auf den Händen getragen ſein will und nur an ſeine Ordnung denkt, nicht an die der Bücher und an keinen Aufſchub des Aufſchubs. ... Goerz heiterer Nachſommer aus Friedrichs II Sommer, in dem ſo manche Geiſtes Kraft blüht, die bei andern ſchon im Frühling 25 verwelkte. Die liebliche Fr. v. Poſch ſollt’ ich gar nicht grüßen; denn ich muß öfter an ſie denken als ein Katholik an die h[eilige] Maria, weil ich jeden Tag ein Paarmal die Federn an ihrem in Saffian gefaſſeten Flore abſtreife ... Meine ganze Familie liebt und grüßt dich; thäte beides aber noch lieber, wenn du wenigſtens 30 Einmal mit ihr gegeſſen hätteſt. Haſt du noch eine von mir ge- 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/104
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/104>, abgerufen am 24.11.2024.