Spaßhaft sind mir seine Sprünge wie er von o (wenn wir das römische Zahlensystem hätten, wär' er um den ganzen Anfang aus o-Mangel gebracht) und vom leeren + und -- zur Eins hinüber setzen will. Sonst in andern Fächern ist er ein trefflicher Kopf, aber durch einen Feen-Fluch der Zeit werden jetzt alle gute Köpfe,5 wie in Dante's Hölle die der Heuchler, umgedreht; die andern guten köpft der Tod.
Okens Nichts ist ziemlich dem Un-Grunde gleich, den Schelling in Gott anbringt, um allda für den Teufel Quartier zu machen.
Ancillon hab' ich noch nicht gelesen.10
Deine Frage über Goethens Faust begehrt zur Antwort ein -- Büchlein. Die poetische Kraftfülle darin begeistert mich. Ich weiß wol, deine Frage meint mehr die philosophische als ästhetische Schätzung. Eigentlich ists gegen die Titanen-Frechheit geschrieben, die er sehr leicht in seinem -- Spiegel, wenigstens sonst, finden15 konnte. Aber vor der Vollendung des Werks ist kein gerechtes Urtheil möglich. Daß ihn der Teufel nur dann holen solle, wenn er einmal wahrhaft befriedigt und seelig wäre, für diesen schweren Punkt gibts mir keine Auflösung als die, daß er sich bekehrte und sein hungriges Herz durch den Himmel stillte -- und dann käme20 der Teufel.
Mögen mir die Dämmerungen bald einen Brief von dir ein- tragen. Lebe wol! Dein
J. P. F. Richter
N. S. Besser ists, ich frage dich als du mich. Nichts gibts25 worüber ich lieber deine bestimmtere Meinung -- wovon du nur das Allgemeine in deinen Schriften gibst -- hören würde und auf was ich gewiß bei einer Durchreise durch Bayreuth am öftersten gekommen wäre, als der Punkt, worüber die jetzigen Schwärmer nicht einmal viel schwärmen, weil ihnen mehr an ihrem Woher30 als an ihrem Wohin gelegen ist. Herder'sche, sogar zuweilen Lavatersche Analogien über das bestimmtere Ob und Wie der Zukunft sind mir gleichsam Hin- und Herschritte und Wendungen in einem finstern Bergwerk, an dem man auf dem Boden einen lichten kleinen Fleck erblickt; man trift vielleicht doch endlich mit35 dem Auge oben den Strahl, der ihn macht und der in den -- Himmel ein wenig sehen läßt. Ich glaube jetzt einen höhern Standpunkt
Spaßhaft ſind mir ſeine Sprünge wie er von o (wenn wir das römiſche Zahlenſyſtem hätten, wär’ er um den ganzen Anfang aus o-Mangel gebracht) und vom leeren + und — zur Eins hinüber ſetzen will. Sonſt in andern Fächern iſt er ein trefflicher Kopf, aber durch einen Feen-Fluch der Zeit werden jetzt alle gute Köpfe,5 wie in Dante’s Hölle die der Heuchler, umgedreht; die andern guten köpft der Tod.
Okens Nichts iſt ziemlich dem Un-Grunde gleich, den Schelling in Gott anbringt, um allda für den Teufel Quartier zu machen.
Ancillon hab’ ich noch nicht geleſen.10
Deine Frage über Goethens Fauſt begehrt zur Antwort ein — Büchlein. Die poetiſche Kraftfülle darin begeiſtert mich. Ich weiß wol, deine Frage meint mehr die philoſophiſche als äſthetiſche Schätzung. Eigentlich iſts gegen die Titanen-Frechheit geſchrieben, die er ſehr leicht in ſeinem — Spiegel, wenigſtens ſonſt, finden15 konnte. Aber vor der Vollendung des Werks iſt kein gerechtes Urtheil möglich. Daß ihn der Teufel nur dann holen ſolle, wenn er einmal wahrhaft befriedigt und ſeelig wäre, für dieſen ſchweren Punkt gibts mir keine Auflöſung als die, daß er ſich bekehrte und ſein hungriges Herz durch den Himmel ſtillte — und dann käme20 der Teufel.
Mögen mir die Dämmerungen bald einen Brief von dir ein- tragen. Lebe wol! Dein
J. P. F. Richter
N. S. Beſſer iſts, ich frage dich als du mich. Nichts gibts25 worüber ich lieber deine beſtimmtere Meinung — wovon du nur das Allgemeine in deinen Schriften gibſt — hören würde und auf was ich gewiß bei einer Durchreiſe durch Bayreuth am öfterſten gekommen wäre, als der Punkt, worüber die jetzigen Schwärmer nicht einmal viel ſchwärmen, weil ihnen mehr an ihrem Woher30 als an ihrem Wohin gelegen iſt. Herder’ſche, ſogar zuweilen Lavaterſche Analogien über das beſtimmtere Ob und Wie der Zukunft ſind mir gleichſam Hin- und Herſchritte und Wendungen in einem finſtern Bergwerk, an dem man auf dem Boden einen lichten kleinen Fleck erblickt; man trift vielleicht doch endlich mit35 dem Auge oben den Strahl, der ihn macht und der in den — Himmel ein wenig ſehen läßt. Ich glaube jetzt einen höhern Standpunkt
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römiſche Zahlenſyſtem hätten, wär’ er um den ganzen Anfang aus
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ſetzen will. Sonſt in andern Fächern iſt er ein trefflicher Kopf,
aber durch einen Feen-Fluch der Zeit werden jetzt alle gute Köpfe, 5
wie in Dante’s Hölle die der Heuchler, umgedreht; die andern guten
köpft der Tod.
Okens Nichts iſt ziemlich dem Un-Grunde gleich, den Schelling
in Gott anbringt, um allda für den Teufel Quartier zu machen.
Ancillon hab’ ich noch nicht geleſen. 10
Deine Frage über Goethens Fauſt begehrt zur Antwort ein —
Büchlein. Die poetiſche Kraftfülle darin begeiſtert mich. Ich weiß
wol, deine Frage meint mehr die philoſophiſche als äſthetiſche
Schätzung. Eigentlich iſts gegen die Titanen-Frechheit geſchrieben,
die er ſehr leicht in ſeinem — Spiegel, wenigſtens ſonſt, finden 15
konnte. Aber vor der Vollendung des Werks iſt kein gerechtes
Urtheil möglich. Daß ihn der Teufel nur dann holen ſolle, wenn
er einmal wahrhaft befriedigt und ſeelig wäre, für dieſen ſchweren
Punkt gibts mir keine Auflöſung als die, daß er ſich bekehrte und
ſein hungriges Herz durch den Himmel ſtillte — und dann käme 20
der Teufel.
Mögen mir die Dämmerungen bald einen Brief von dir ein-
tragen. Lebe wol! Dein
J. P. F. Richter
N. S. Beſſer iſts, ich frage dich als du mich. Nichts gibts 25
worüber ich lieber deine beſtimmtere Meinung — wovon du nur
das Allgemeine in deinen Schriften gibſt — hören würde und auf
was ich gewiß bei einer Durchreiſe durch Bayreuth am öfterſten
gekommen wäre, als der Punkt, worüber die jetzigen Schwärmer
nicht einmal viel ſchwärmen, weil ihnen mehr an ihrem Woher 30
als an ihrem Wohin gelegen iſt. Herder’ſche, ſogar zuweilen
Lavaterſche Analogien über das beſtimmtere Ob und Wie der
Zukunft ſind mir gleichſam Hin- und Herſchritte und Wendungen
in einem finſtern Bergwerk, an dem man auf dem Boden einen
lichten kleinen Fleck erblickt; man trift vielleicht doch endlich mit 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/66>, abgerufen am 22.11.2024.
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