Ihr frohes Briefchen hat mich sehr erquickt. Immer sehnsüchtiger wünsche ich mir die Stunde Ihres Anblickes. Sie wird gewiß kommen; denn die Schweiz -- zumal die steinerne -- muß ich sehen, ehe ich selber unter dem Stein liege. Und Sie freilich zuerst, denn Sie gehören mir zu keinem Lande als zu dem größten.5
[gestrichen: Da Sie mich einigemale daran erinnerten...]
d. 28 Aug.
Gestern unterbrach mich mein und Thieriots Freund, Emanuel, der Sie so liebt wie ich, was viel sagen will. Wahrscheinlich wollt' ich im Ausgestrichenen sagen, daß ich -- woran sehr Ihre Wünsche10 und Fragen schuld sind -- zur Oster-Messe den zweiten Theil der Blumine gebe. Gesammelte Arbeiten, bei welchen ich nur leichte neue habe, werden mir sonst lästig zu geben.
So leben Sie wol, trefflicher Mann, der mir wol noch Ein Ge- schenk -- und das köstlichste -- machen könnte, nämlich das seines15 Gesichtes, und wär' es nur ein Schattenriß! Das Herz begehrt in der unentscheidenden weiten Nacht der wärmsten und feurigsten Phantasie die feste bestimmte Gestalt.
Ihr alter20 J. P. F. Richter
921. An Superintendent Hohnbaum in Rodach.
[Kopie][Bayreuth, 30. Aug. 1814]
Ihre schönen Geschenke haben mein Gedächtnis nur bereichert, nicht erweckt. Die Kraftpred[igten] sieht man Ihnen ohnehin25 an .... Himmel, welche schwarze feststehende Gift- und Blitzwolken sind endlich wie durch einen Hauch der Vorsehung über das matte Deutschland weggeflohen. Man erschrickt jetzo ordentlich vor der -- Vergangenheit und getrauet sich kaum der Zukunft voll Blüte. Meiner eignen politischen Vergangenheit schäm' ich mich nicht,30 denn ich wagte meine Zukunft an sie, indem es nur darauf ankam, daß Davoust Deutsch verstand, so saß ich in Magdeburg ohne Feder, ohne Federn und Flügel und brütete gleich den Krebsen mit dem Schwanz an meinen Eiern. Aber die Weltgesetze d. h. Gott
Ihr frohes Briefchen hat mich ſehr erquickt. Immer ſehnſüchtiger wünſche ich mir die Stunde Ihres Anblickes. Sie wird gewiß kommen; denn die Schweiz — zumal die ſteinerne — muß ich ſehen, ehe ich ſelber unter dem Stein liege. Und Sie freilich zuerſt, denn Sie gehören mir zu keinem Lande als zu dem größten.5
[gestrichen: Da Sie mich einigemale daran erinnerten...]
d. 28 Aug.
Geſtern unterbrach mich mein und Thieriots Freund, Emanuel, der Sie ſo liebt wie ich, was viel ſagen will. Wahrſcheinlich wollt’ ich im Ausgeſtrichenen ſagen, daß ich — woran ſehr Ihre Wünſche10 und Fragen ſchuld ſind — zur Oſter-Meſſe den zweiten Theil der Blumine gebe. Geſammelte Arbeiten, bei welchen ich nur leichte neue habe, werden mir ſonſt läſtig zu geben.
So leben Sie wol, trefflicher Mann, der mir wol noch Ein Ge- ſchenk — und das köſtlichſte — machen könnte, nämlich das ſeines15 Geſichtes, und wär’ es nur ein Schattenriß! Das Herz begehrt in der unentſcheidenden weiten Nacht der wärmſten und feurigſten Phantaſie die feſte beſtimmte Geſtalt.
Ihr alter20 J. P. F. Richter
921. An Superintendent Hohnbaum in Rodach.
[Kopie][Bayreuth, 30. Aug. 1814]
Ihre ſchönen Geſchenke haben mein Gedächtnis nur bereichert, nicht erweckt. Die Kraftpred[igten] ſieht man Ihnen ohnehin25 an .... Himmel, welche ſchwarze feſtſtehende Gift- und Blitzwolken ſind endlich wie durch einen Hauch der Vorſehung über das matte Deutſchland weggeflohen. Man erſchrickt jetzo ordentlich vor der — Vergangenheit und getrauet ſich kaum der Zukunft voll Blüte. Meiner eignen politiſchen Vergangenheit ſchäm’ ich mich nicht,30 denn ich wagte meine Zukunft an ſie, indem es nur darauf ankam, daß Davoust Deutſch verſtand, ſo ſaß ich in Magdeburg ohne Feder, ohne Federn und Flügel und brütete gleich den Krebſen mit dem Schwanz an meinen Eiern. Aber die Weltgeſetze d. h. Gott
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Ihr frohes Briefchen hat mich ſehr erquickt. Immer ſehnſüchtiger
wünſche ich mir die Stunde Ihres Anblickes. Sie wird gewiß
kommen; denn die Schweiz — zumal die ſteinerne — muß ich ſehen,
ehe ich ſelber unter dem Stein liege. Und Sie freilich zuerſt, denn
Sie gehören mir zu keinem Lande als zu dem größten. 5
d. 28 Aug.
Geſtern unterbrach mich mein und Thieriots Freund, Emanuel,
der Sie ſo liebt wie ich, was viel ſagen will. Wahrſcheinlich wollt’
ich im Ausgeſtrichenen ſagen, daß ich — woran ſehr Ihre Wünſche 10
und Fragen ſchuld ſind — zur Oſter-Meſſe den zweiten Theil der
Blumine gebe. Geſammelte Arbeiten, bei welchen ich nur leichte
neue habe, werden mir ſonſt läſtig zu geben.
So leben Sie wol, trefflicher Mann, der mir wol noch Ein Ge-
ſchenk — und das köſtlichſte — machen könnte, nämlich das ſeines 15
Geſichtes, und wär’ es nur ein Schattenriß! Das Herz begehrt
in der unentſcheidenden weiten Nacht der wärmſten und feurigſten
Phantaſie die feſte beſtimmte Geſtalt.
Ihr
alter 20
J. P. F. Richter
921. An Superintendent Hohnbaum in Rodach.
[Bayreuth, 30. Aug. 1814]
Ihre ſchönen Geſchenke haben mein Gedächtnis nur bereichert,
nicht erweckt. Die Kraftpred[igten] ſieht man Ihnen ohnehin 25
an .... Himmel, welche ſchwarze feſtſtehende Gift- und Blitzwolken
ſind endlich wie durch einen Hauch der Vorſehung über das matte
Deutſchland weggeflohen. Man erſchrickt jetzo ordentlich vor der —
Vergangenheit und getrauet ſich kaum der Zukunft voll Blüte.
Meiner eignen politiſchen Vergangenheit ſchäm’ ich mich nicht, 30
denn ich wagte meine Zukunft an ſie, indem es nur darauf ankam,
daß Davoust Deutſch verſtand, ſo ſaß ich in Magdeburg ohne
Feder, ohne Federn und Flügel und brütete gleich den Krebſen mit
dem Schwanz an meinen Eiern. Aber die Weltgeſetze d. h. Gott
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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