Durch Emanuel -- der herzlich Ihren Gruß erwiedert -- hab' ich viel Frohes über Ihre Persönlichkeit, aber doch nicht den Auf- schluß erfahren, woher Sie an der galvanischen Kette ewiger Staat- arbeiten noch Raum und Zeit zu Ihrer Lullischen ars combinatoria des üppigsten Witzes bekommen.5
-- Ich hätte noch mehre angenehme Fragen dieser Art; aber vielleicht wird doch aus dem Dezember ein Mai und aus einem Briefe ein Besuch.
Frau von Lochner, jetzt in Baireuth wohnhaft seit der Heirath ihrer Tochter, grüßt Sie und Ihre Gattin mit alter und neuer10 Liebe. Ich lasse mich von keiner Dame lieber grüßen als von der, die der Ehemann lobt. Geben Sie also der Ihrigen die Grüße an mich mit Ihrer seeligen Wärme zurück.
*706. An Helmine von Chezy in Aschaffenburg.
Baireuth d. 8 Dec. 181215
"Freundin!" Wenn ich Sie noch so nennen darf, so sind Sie es in hohem Grade, denn ich habe große Sünden an Ihren Tugenden begangen und Ihr Schreibtisch muß mein Beichtstuhl werden. -- Ehe ich Ihre Gedichte gelesen, hatt' ich Sie zwar lieb und dieß sehr; nun aber nachdem ich sie gelesen, hab' ich Sie -- fast zu lieb20 und es ist gut, daß ich Sie nicht noch dazu gar sehe. Ihre Herr- schaft über die Dichtformen, Ihre trefflichen Legenden oder Holz- schnitte -- wovon besonders die Unterredung eines alten Ritters mit einer heutigen Frau eine den Weibern sonst selten gelingende komische Kraft beweiset -- und die herzlichen, milden, lyrischen Er-25 güsse -- besonders der meisterhafte "an den Großherzog an einem Frühlingsmorgen" -- und so viele andere -- denn ich zitiere die zwei weggeliehenen Bändchen aus dem Gedächtnis und Herzen -- kurz dieser ganze Blumenstrauß an Ihrer deutschen Brust hat mich unendlich erquickt. Beinahe hätt' ich Sie öffentlich rezen-30 siert d. h. gelobt, hätt' ich nicht das allgemeine Urtheil zu deutlich wiederholen müssen. Ich vermeide aber alle Wiederholungen, aus- genommen in der Liebe, wiewol dieses Blättchen ja eine ist und zugleich die Ausnahme bestätigt; denn ich liebe Sie herzlich, wenn Sie so sind wie Sie mir erscheinen, und so blieben wie Sie mir erschienen.35
Durch Emanuel — der herzlich Ihren Gruß erwiedert — hab’ ich viel Frohes über Ihre Perſönlichkeit, aber doch nicht den Auf- ſchluß erfahren, woher Sie an der galvaniſchen Kette ewiger Staat- arbeiten noch Raum und Zeit zu Ihrer Lulliſchen ars combinatoria des üppigſten Witzes bekommen.5
— Ich hätte noch mehre angenehme Fragen dieſer Art; aber vielleicht wird doch aus dem Dezember ein Mai und aus einem Briefe ein Beſuch.
Frau von Lochner, jetzt in Baireuth wohnhaft ſeit der Heirath ihrer Tochter, grüßt Sie und Ihre Gattin mit alter und neuer10 Liebe. Ich laſſe mich von keiner Dame lieber grüßen als von der, die der Ehemann lobt. Geben Sie alſo der Ihrigen die Grüße an mich mit Ihrer ſeeligen Wärme zurück.
*706. An Helmine von Chézy in Aſchaffenburg.
Baireuth d. 8 Dec. 181215
„Freundin!“ Wenn ich Sie noch ſo nennen darf, ſo ſind Sie es in hohem Grade, denn ich habe große Sünden an Ihren Tugenden begangen und Ihr Schreibtiſch muß mein Beichtſtuhl werden. — Ehe ich Ihre Gedichte geleſen, hatt’ ich Sie zwar lieb und dieß ſehr; nun aber nachdem ich ſie geleſen, hab’ ich Sie — faſt zu lieb20 und es iſt gut, daß ich Sie nicht noch dazu gar ſehe. Ihre Herr- ſchaft über die Dichtformen, Ihre trefflichen Legenden oder Holz- ſchnitte — wovon beſonders die Unterredung eines alten Ritters mit einer heutigen Frau eine den Weibern ſonſt ſelten gelingende komiſche Kraft beweiſet — und die herzlichen, milden, lyriſchen Er-25 güſſe — beſonders der meiſterhafte „an den Großherzog an einem Frühlingsmorgen“ — und ſo viele andere — denn ich zitiere die zwei weggeliehenen Bändchen aus dem Gedächtnis und Herzen — kurz dieſer ganze Blumenſtrauß an Ihrer deutſchen Bruſt hat mich unendlich erquickt. Beinahe hätt’ ich Sie öffentlich rezen-30 ſiert d. h. gelobt, hätt’ ich nicht das allgemeine Urtheil zu deutlich wiederholen müſſen. Ich vermeide aber alle Wiederholungen, aus- genommen in der Liebe, wiewol dieſes Blättchen ja eine iſt und zugleich die Ausnahme beſtätigt; denn ich liebe Sie herzlich, wenn Sie ſo ſind wie Sie mir erſcheinen, und ſo blieben wie Sie mir erſchienen.35
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Durch Emanuel — der herzlich Ihren Gruß erwiedert — hab’
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arbeiten noch Raum und Zeit zu Ihrer Lulliſchen ars combinatoria
des üppigſten Witzes bekommen. 5
— Ich hätte noch mehre angenehme Fragen dieſer Art; aber
vielleicht wird doch aus dem Dezember ein Mai und aus einem
Briefe ein Beſuch.
Frau von Lochner, jetzt in Baireuth wohnhaft ſeit der Heirath
ihrer Tochter, grüßt Sie und Ihre Gattin mit alter und neuer 10
Liebe. Ich laſſe mich von keiner Dame lieber grüßen als von der,
die der Ehemann lobt. Geben Sie alſo der Ihrigen die Grüße an
mich mit Ihrer ſeeligen Wärme zurück.
*706. An Helmine von Chézy in Aſchaffenburg.
Baireuth d. 8 Dec. 1812 15
„Freundin!“ Wenn ich Sie noch ſo nennen darf, ſo ſind Sie es
in hohem Grade, denn ich habe große Sünden an Ihren Tugenden
begangen und Ihr Schreibtiſch muß mein Beichtſtuhl werden. —
Ehe ich Ihre Gedichte geleſen, hatt’ ich Sie zwar lieb und dieß
ſehr; nun aber nachdem ich ſie geleſen, hab’ ich Sie — faſt zu lieb 20
und es iſt gut, daß ich Sie nicht noch dazu gar ſehe. Ihre Herr-
ſchaft über die Dichtformen, Ihre trefflichen Legenden oder Holz-
ſchnitte — wovon beſonders die Unterredung eines alten Ritters
mit einer heutigen Frau eine den Weibern ſonſt ſelten gelingende
komiſche Kraft beweiſet — und die herzlichen, milden, lyriſchen Er- 25
güſſe — beſonders der meiſterhafte „an den Großherzog an
einem Frühlingsmorgen“ — und ſo viele andere — denn ich
zitiere die zwei weggeliehenen Bändchen aus dem Gedächtnis und
Herzen — kurz dieſer ganze Blumenſtrauß an Ihrer deutſchen Bruſt
hat mich unendlich erquickt. Beinahe hätt’ ich Sie öffentlich rezen- 30
ſiert d. h. gelobt, hätt’ ich nicht das allgemeine Urtheil zu deutlich
wiederholen müſſen. Ich vermeide aber alle Wiederholungen, aus-
genommen in der Liebe, wiewol dieſes Blättchen ja eine iſt und
zugleich die Ausnahme beſtätigt; denn ich liebe Sie herzlich, wenn Sie
ſo ſind wie Sie mir erſcheinen, und ſo blieben wie Sie mir erſchienen. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/318>, abgerufen am 24.11.2024.
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