Guten Morgen, Wiedergeborner! Erst heute hör' ich, daß gestern am Tage Kreuzes Erhöhung Ihr Geburtstag war; sonst hätt' ich früher meine Wünsche gebracht, daß Ihr Jahr aus lauter5 Kreuzes Erniedrigungen -- weiter bringt das Leben es nicht -- bestehen möge. Indeß feiern Sie heute als Christ Ihren Tauftag, zu welchem Sie abends noch fünf Täuflinge als Mitchristen ein- geladen. Ich sende Ihnen für dieses Sextett von Wiedertäuflingen 6 kleine Baptisterien für das Innere, (zu deutsch Weingläser), zu10 welchen Sie nichts zu liefern haben als blos das Taufwasser. Mit Vergnügen würd' ich Ihnen unter gleicher Bedingung ein größeres Baptisterium schenken, z. B. das Heidelberger Faß.
Schwer liegt auf mir und meiner Frau die Schuldenlast, die für unsere Kinder an Sie abzutragen ist, und je länger wir auf Wege15 ihrer Tilgung sinnen, desto höher wächst sie an.
Richter
*675. An Frau Professor Wagner in Bayreuth.
Baireuth d. 19 Sept. 1812
Schon am Morgen nach dem Schwelg-Abende, wo ich und noch20 8 die 9 Musen oder die 9 Aussätzigen im Evangelium vorgestellt und Ihnen viel Vergnügen und zehn mal mehr Mühe gemacht, wollt' ich Ihnen schreiben, um das hier folgende Nessel-Tuch zu begleiten, das aber Sie tragen sollen, nicht Ihr Herr Gemahl.*) Letzterer empfängt mich immer mit einigen leisen Donnerwettern25 und zarten Haubitzen, wenn ich von meiner Schuld für seine Mühe rede. Ich wende mich daher an das mildere Geschlecht und um desto mehr an Sie, da ich ja Ihnen täglich 2/3 Ihres Geschlechts und nur 1/3 des meinigen in das Haus schicke.
Leben Sie wol und grüßen Sie Ihren Gatten von mir auch30 mitten unter dem Brummen.
Ihr ergebenster Jean Paul Fr. Richter
*) Das rechte Nessel tuch für ihn ist ein satirisches stechendes Nesselblatt aus meinen Werken.35
674. An Profeſſor Wagner in Bayreuth.
[Bayreuth, 15. Sept. 1812]
Guten Morgen, Wiedergeborner! Erſt heute hör’ ich, daß geſtern am Tage Kreuzes Erhöhung Ihr Geburtstag war; ſonſt hätt’ ich früher meine Wünſche gebracht, daß Ihr Jahr aus lauter5 Kreuzes Erniedrigungen — weiter bringt das Leben es nicht — beſtehen möge. Indeß feiern Sie heute als Chriſt Ihren Tauftag, zu welchem Sie abends noch fünf Täuflinge als Mitchriſten ein- geladen. Ich ſende Ihnen für dieſes Sextett von Wiedertäuflingen 6 kleine Baptiſterien für das Innere, (zu deutſch Weingläſer), zu10 welchen Sie nichts zu liefern haben als blos das Taufwaſſer. Mit Vergnügen würd’ ich Ihnen unter gleicher Bedingung ein größeres Baptiſterium ſchenken, z. B. das Heidelberger Faß.
Schwer liegt auf mir und meiner Frau die Schuldenlaſt, die für unſere Kinder an Sie abzutragen iſt, und je länger wir auf Wege15 ihrer Tilgung ſinnen, deſto höher wächſt ſie an.
Richter
*675. An Frau Profeſſor Wagner in Bayreuth.
Baireuth d. 19 Sept. 1812
Schon am Morgen nach dem Schwelg-Abende, wo ich und noch20 8 die 9 Muſen oder die 9 Ausſätzigen im Evangelium vorgeſtellt und Ihnen viel Vergnügen und zehn mal mehr Mühe gemacht, wollt’ ich Ihnen ſchreiben, um das hier folgende Neſſel-Tuch zu begleiten, das aber Sie tragen ſollen, nicht Ihr Herr Gemahl.*) Letzterer empfängt mich immer mit einigen leiſen Donnerwettern25 und zarten Haubitzen, wenn ich von meiner Schuld für ſeine Mühe rede. Ich wende mich daher an das mildere Geſchlecht und um deſto mehr an Sie, da ich ja Ihnen täglich ⅔ Ihres Geſchlechts und nur ⅓ des meinigen in das Haus ſchicke.
Leben Sie wol und grüßen Sie Ihren Gatten von mir auch30 mitten unter dem Brummen.
Ihr ergebenſter Jean Paul Fr. Richter
*) Das rechte Neſſel tuch für ihn iſt ein ſatiriſches ſtechendes Neſſelblatt aus meinen Werken.35
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674. An Profeſſor Wagner in Bayreuth.
[Bayreuth, 15. Sept. 1812]
Guten Morgen, Wiedergeborner! Erſt heute hör’ ich, daß
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hätt’ ich früher meine Wünſche gebracht, daß Ihr Jahr aus lauter 5
Kreuzes Erniedrigungen — weiter bringt das Leben es nicht —
beſtehen möge. Indeß feiern Sie heute als Chriſt Ihren Tauftag,
zu welchem Sie abends noch fünf Täuflinge als Mitchriſten ein-
geladen. Ich ſende Ihnen für dieſes Sextett von Wiedertäuflingen
6 kleine Baptiſterien für das Innere, (zu deutſch Weingläſer), zu 10
welchen Sie nichts zu liefern haben als blos das Taufwaſſer. Mit
Vergnügen würd’ ich Ihnen unter gleicher Bedingung ein größeres
Baptiſterium ſchenken, z. B. das Heidelberger Faß.
Schwer liegt auf mir und meiner Frau die Schuldenlaſt, die für
unſere Kinder an Sie abzutragen iſt, und je länger wir auf Wege 15
ihrer Tilgung ſinnen, deſto höher wächſt ſie an.
Richter
*675. An Frau Profeſſor Wagner in Bayreuth.
Baireuth d. 19 Sept. 1812
Schon am Morgen nach dem Schwelg-Abende, wo ich und noch 20
8 die 9 Muſen oder die 9 Ausſätzigen im Evangelium vorgeſtellt
und Ihnen viel Vergnügen und zehn mal mehr Mühe gemacht,
wollt’ ich Ihnen ſchreiben, um das hier folgende Neſſel-Tuch zu
begleiten, das aber Sie tragen ſollen, nicht Ihr Herr Gemahl. *)
Letzterer empfängt mich immer mit einigen leiſen Donnerwettern 25
und zarten Haubitzen, wenn ich von meiner Schuld für ſeine Mühe
rede. Ich wende mich daher an das mildere Geſchlecht und um
deſto mehr an Sie, da ich ja Ihnen täglich ⅔ Ihres Geſchlechts
und nur ⅓ des meinigen in das Haus ſchicke.
Leben Sie wol und grüßen Sie Ihren Gatten von mir auch 30
mitten unter dem Brummen.
Ihr ergebenſter
Jean Paul Fr. Richter
*) Das rechte Neſſel tuch für ihn iſt ein ſatiriſches ſtechendes Neſſelblatt aus
meinen Werken. 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/306>, abgerufen am 16.02.2025.
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