Nur Einiges, mein Guter, da wir uns doch bald sehen und hören. Ich bitte Sie, mir einen Kutscher zu schenken [!], der Sonnabends den (27ten) recht früh abfährt zum Abholen auf den Sonntag, damit5 ich noch einpacken und -- da er Säcke für Mehl-, Gries- und Dünkel-Wünsche meiner C[aroline] mitbringen soll -- noch ein- kaufen kann. Ob hier oder in B[aireuth] der Mauthzettel zu lösen, werden Sie schon wissen und machen.
Die Erwartung Ihres gehofften Briefs verzögerte die meinigen.10
C[aroline] soll noch Freitag Vormittags an mich schreiben, um mir die Gewißheit des Abholens zu sagen. -- Der Witz, den Sie wie das Schicksal in meine Beschreibung des R[eichs] Adlers gelegt, ist überraschend. -- Die Ungerechtigkeit Ihrer Nicht-Entschädigung für Einquartierung ist so groß, sogar in B[aireuth], daß sie un-15 möglich ist und daß wirklich nur ein Verspäten nach Stadtvierteln es erklären kann. Hier, in 200 Gassen, merkt man fremde Truppen kaum; aber selber die Nürnberger wundern sich über das Zuströmen aller Richtungen gerade nach B[aireuth].
Das Geschick, das mich unsichtbar beglückt, wollte, daß mein20 Brief an einem Tage zu Ihnen kam, den mein Inneres öfters im Jahre feiert als Sie denken. Einsamkeit an einem solchen Tage ist die einzige würdige Selbstfeier desselben, damit der Mensch sinnig und ruhig und weich auf den Weg hinter dem Rücken und auf den vor dem Auge messend blicke. So hass' ich auch alle ge-25 schäftige oder lustige Unruhe am letzten Tage des Jahrs. Der ge- brechliche arme Mensch sollte solche Zeit-Anhöhen als die Spindeln betrachten, an welche er die Fäden eines neuen Gespinstes legt. Alles Wichtige wird einsam gethan, das Nichtige gesellig. -- -- Ich bringe Ihnen für Ihren stillen Sabbat Tag keinen Nachwunsch;30 denn nur Ihr Herz kann ihn ganz erfüllen.
Was ich von meinen Besserungmitteln sprach, besteht garnicht in Vorsätzen, oder gar in sehr feurigen -- denn eben letztere erkalten und erkälten am ersten -- sondern in Übungen, z. B. einen Tag lang fort, wodurch ich mir zugleich die Sache zur35 höchsten Vernunft-Anschauung Hellmachung oder Klarheit
654. An Emanuel.
Nürnberg 22. Jun. 1812 [Montag]
Nur Einiges, mein Guter, da wir uns doch bald ſehen und hören. Ich bitte Sie, mir einen Kutſcher zu ſchenken [!], der Sonnabends den (27ten) recht früh abfährt zum Abholen auf den Sonntag, damit5 ich noch einpacken und — da er Säcke für Mehl-, Gries- und Dünkel-Wünſche meiner C[aroline] mitbringen ſoll — noch ein- kaufen kann. Ob hier oder in B[aireuth] der Mauthzettel zu löſen, werden Sie ſchon wiſſen und machen.
Die Erwartung Ihres gehofften Briefs verzögerte die meinigen.10
C[aroline] ſoll noch Freitag Vormittags an mich ſchreiben, um mir die Gewißheit des Abholens zu ſagen. — Der Witz, den Sie wie das Schickſal in meine Beſchreibung des R[eichs] Adlers gelegt, iſt überraſchend. — Die Ungerechtigkeit Ihrer Nicht-Entſchädigung für Einquartierung iſt ſo groß, ſogar in B[aireuth], daß ſie un-15 möglich iſt und daß wirklich nur ein Verſpäten nach Stadtvierteln es erklären kann. Hier, in 200 Gaſſen, merkt man fremde Truppen kaum; aber ſelber die Nürnberger wundern ſich über das Zuſtrömen aller Richtungen gerade nach B[aireuth].
Das Geſchick, das mich unſichtbar beglückt, wollte, daß mein20 Brief an einem Tage zu Ihnen kam, den mein Inneres öfters im Jahre feiert als Sie denken. Einſamkeit an einem ſolchen Tage iſt die einzige würdige Selbſtfeier deſſelben, damit der Menſch ſinnig und ruhig und weich auf den Weg hinter dem Rücken und auf den vor dem Auge meſſend blicke. So haſſ’ ich auch alle ge-25 ſchäftige oder luſtige Unruhe am letzten Tage des Jahrs. Der ge- brechliche arme Menſch ſollte ſolche Zeit-Anhöhen als die Spindeln betrachten, an welche er die Fäden eines neuen Geſpinſtes legt. Alles Wichtige wird einſam gethan, das Nichtige geſellig. — — Ich bringe Ihnen für Ihren ſtillen Sabbat Tag keinen Nachwunſch;30 denn nur Ihr Herz kann ihn ganz erfüllen.
Was ich von meinen Beſſerungmitteln ſprach, beſteht garnicht in Vorſätzen, oder gar in ſehr feurigen — denn eben letztere erkalten und erkälten am erſten — ſondern in Übungen, z. B. einen Tag lang fort, wodurch ich mir zugleich die Sache zur35 höchſten Vernunft-Anſchauung 〈Hellmachung〉 oder Klarheit
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654. An Emanuel.
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Nur Einiges, mein Guter, da wir uns doch bald ſehen und hören.
Ich bitte Sie, mir einen Kutſcher zu ſchenken [!], der Sonnabends
den (27ten) recht früh abfährt zum Abholen auf den Sonntag, damit 5
ich noch einpacken und — da er Säcke für Mehl-, Gries- und
Dünkel-Wünſche meiner C[aroline] mitbringen ſoll — noch ein-
kaufen kann. Ob hier oder in B[aireuth] der Mauthzettel zu löſen,
werden Sie ſchon wiſſen und machen.
Die Erwartung Ihres gehofften Briefs verzögerte die meinigen. 10
C[aroline] ſoll noch Freitag Vormittags an mich ſchreiben, um
mir die Gewißheit des Abholens zu ſagen. — Der Witz, den Sie
wie das Schickſal in meine Beſchreibung des R[eichs] Adlers gelegt,
iſt überraſchend. — Die Ungerechtigkeit Ihrer Nicht-Entſchädigung
für Einquartierung iſt ſo groß, ſogar in B[aireuth], daß ſie un- 15
möglich iſt und daß wirklich nur ein Verſpäten nach Stadtvierteln
es erklären kann. Hier, in 200 Gaſſen, merkt man fremde Truppen
kaum; aber ſelber die Nürnberger wundern ſich über das Zuſtrömen
aller Richtungen gerade nach B[aireuth].
Das Geſchick, das mich unſichtbar beglückt, wollte, daß mein 20
Brief an einem Tage zu Ihnen kam, den mein Inneres öfters im
Jahre feiert als Sie denken. Einſamkeit an einem ſolchen Tage
iſt die einzige würdige Selbſtfeier deſſelben, damit der Menſch
ſinnig und ruhig und weich auf den Weg hinter dem Rücken und
auf den vor dem Auge meſſend blicke. So haſſ’ ich auch alle ge- 25
ſchäftige oder luſtige Unruhe am letzten Tage des Jahrs. Der ge-
brechliche arme Menſch ſollte ſolche Zeit-Anhöhen als die Spindeln
betrachten, an welche er die Fäden eines neuen Geſpinſtes legt.
Alles Wichtige wird einſam gethan, das Nichtige geſellig. — — Ich
bringe Ihnen für Ihren ſtillen Sabbat Tag keinen Nachwunſch; 30
denn nur Ihr Herz kann ihn ganz erfüllen.
Was ich von meinen Beſſerungmitteln ſprach, beſteht garnicht
in Vorſätzen, oder gar in ſehr feurigen — denn eben letztere
erkalten und erkälten am erſten — ſondern in Übungen, z. B.
einen Tag lang fort, wodurch ich mir zugleich die Sache zur 35
höchſten Vernunft-Anſchauung 〈Hellmachung〉 oder Klarheit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/296>, abgerufen am 24.11.2024.
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