Und mein von vielen Reden der Menschen angefachtes Sprech- feuer -- und D. Erhard, der einmal gegen Herder und mich ge- schrieben*) und dessen Materialismus ich jetzt bekämpfte -- machten es auch rathsam. Als ich Jacobi -- es kommt seine Kehrseite --5 fragte, ob ichs mit meiner Freiheit etc. etc. nicht übertriebe: bejahte ers halb und doch nur so, daß ich keinen Nutzen von der Frage hatte. Überall sieht er zu sehr und zu ängstlich auf seine Erscheinung und Darstellung vor andern und wagt gar nichts; so wie er schon früher meine Frage verneinte, ob ich öffentlich in der Dedikazion10 des Clavis an ihn sagen dürfte, er habe sie vor dem Drucke gelesen. Alle Rezensionen seines und Schellings Buchs führte er -- sogar die Anzeige in der Hamburger Zeitung -- in einzelne Blätter sauber eingewickelt bei sich. (Im Vorbeigehen! In allen, sogar von Kantianern wird er gelobt und sogar seine juristische Unschuld ge-15 zeigt. Schelling verliert mit Recht. "Er ist dein 2ter Aretin, sagt' ich, und hat deiner Philosophie blos zum Verbreiten genützt.") -- Nachdem in Erlangen die Professoren und wir alle seine Gesundheit getrunken hatten: stand er auf und ging zu einiger Verwunderung mit seinem Glase bei allen Trinkern herum und stieß auf ihre an. --20 Etwas gehört dem Alter und den 4 weiblichen Händen an, die ihn tragen und wiegen. Er trägt schöne neumodisch herabgeschlagne weißglatte Stiefel und Hosen von gutem Nanking und den jetzigen grauen Russen-Hut (wahrscheinlich auch der Augen wegen). Als am 1ten Morgen ein schwarzer Halbzirkel von Seebeck, Hegel,25 Niemeier, Schweigger ihn umsaß: hielten er und seine Schwestern vor uns ernsten Auskultanten einen 1/8 stündigen Rath, ob er und beide entweder um 3 oder um 31/2 Uhr dahin oder dorthin gehen müssen und wie alles gut zu arrangieren wäre. -- Daß er mich liebt, weiß ich aus seinem jedesmaligen Abschiednehmen und aus der30 Liebe seiner Schwestern, und aus den sanften Vorwürfen, wenn ich in den Intervallen seines Zuhauseseins nicht kam; aber wie viel er an mir mit Recht und Unrecht tadelt, weiß ich nicht. Er spricht ziemlich oft von seinen Werken; über meine persönlichen, mensch- lichen und frühern und schreibenden Verhältnisse hat er keine Frage35
*) Ich präsentierte mich ihm so: "Sie haben einmal den Teufel gelobt (im Niethammerschen Journal ein Aufsatz für dessen Existenz) -- Le voila!"
18 Jean Paul Briefe.VI.
d. 13 J.
Und mein von vielen Reden der Menſchen angefachtes Sprech- feuer — und D. Erhard, der einmal gegen Herder und mich ge- ſchrieben*) und deſſen Materialiſmus ich jetzt bekämpfte — machten es auch rathſam. Als ich Jacobi — es kommt ſeine Kehrſeite —5 fragte, ob ichs mit meiner Freiheit ꝛc. ꝛc. nicht übertriebe: bejahte ers halb und doch nur ſo, daß ich keinen Nutzen von der Frage hatte. Überall ſieht er zu ſehr und zu ängſtlich auf ſeine Erſcheinung und Darſtellung vor andern und wagt gar nichts; ſo wie er ſchon früher meine Frage verneinte, ob ich öffentlich in der Dedikazion10 des Clavis an ihn ſagen dürfte, er habe ſie vor dem Drucke geleſen. Alle Rezenſionen ſeines und Schellings Buchs führte er — ſogar die Anzeige in der Hamburger Zeitung — in einzelne Blätter ſauber eingewickelt bei ſich. (Im Vorbeigehen! In allen, ſogar von Kantianern wird er gelobt und ſogar ſeine juriſtiſche Unſchuld ge-15 zeigt. Schelling verliert mit Recht. „Er iſt dein 2ter Aretin, ſagt’ ich, und hat deiner Philoſophie blos zum Verbreiten genützt.“) — Nachdem in Erlangen die Profeſſoren und wir alle ſeine Geſundheit getrunken hatten: ſtand er auf und ging zu einiger Verwunderung mit ſeinem Glaſe bei allen Trinkern herum und ſtieß auf ihre an. —20 Etwas gehört dem Alter und den 4 weiblichen Händen an, die ihn tragen und wiegen. Er trägt ſchöne neumodiſch herabgeſchlagne weißglatte Stiefel und Hoſen von gutem Nanking und den jetzigen grauen Ruſſen-Hut (wahrſcheinlich auch der Augen wegen). Als am 1ten Morgen ein ſchwarzer Halbzirkel von Seebeck, Hegel,25 Niemeier, Schweigger ihn umſaß: hielten er und ſeine Schweſtern vor uns ernſten Auſkultanten einen ⅛ ſtündigen Rath, ob er und beide entweder um 3 oder um 3½ Uhr dahin oder dorthin gehen müſſen und wie alles gut zu arrangieren wäre. — Daß er mich liebt, weiß ich aus ſeinem jedesmaligen Abſchiednehmen und aus der30 Liebe ſeiner Schweſtern, und aus den ſanften Vorwürfen, wenn ich in den Intervallen ſeines Zuhauſeſeins nicht kam; aber wie viel er an mir mit Recht und Unrecht tadelt, weiß ich nicht. Er ſpricht ziemlich oft von ſeinen Werken; über meine perſönlichen, menſch- lichen und frühern und ſchreibenden Verhältniſſe hat er keine Frage35
*) Ich präſentierte mich ihm ſo: „Sie haben einmal den Teufel gelobt (im Niethammerſchen Journal ein Aufſatz für deſſen Exiſtenz) — Le voilà!“
18 Jean Paul Briefe.VI.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0287"n="273"/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">d. 13 J.</hi></dateline><lb/><p>Und mein von vielen Reden der Menſchen angefachtes Sprech-<lb/>
feuer — und <hirendition="#aq">D. Erhard,</hi> der einmal gegen <hirendition="#aq">Herder</hi> und mich ge-<lb/>ſchrieben<noteplace="foot"n="*)">Ich präſentierte mich ihm ſo: „Sie haben einmal den Teufel gelobt (im<lb/>
Niethammerſchen Journal ein Aufſatz für deſſen Exiſtenz) —<hirendition="#aq">Le voilà!</hi>“</note> und deſſen Materialiſmus ich jetzt bekämpfte — machten<lb/>
es auch rathſam. Als ich Jacobi — es kommt ſeine Kehrſeite —<lbn="5"/>
fragte, ob ichs mit meiner Freiheit ꝛc. ꝛc. nicht übertriebe: bejahte<lb/>
ers halb und doch nur ſo, daß ich keinen Nutzen von der Frage<lb/>
hatte. Überall ſieht er zu ſehr und zu ängſtlich auf ſeine Erſcheinung<lb/>
und Darſtellung vor andern und wagt gar nichts; ſo wie er ſchon<lb/>
früher meine Frage verneinte, ob ich öffentlich in der Dedikazion<lbn="10"/>
des <hirendition="#aq">Clavis</hi> an ihn ſagen dürfte, er habe ſie vor dem Drucke geleſen.<lb/>
Alle Rezenſionen ſeines und Schellings Buchs führte er —ſogar<lb/>
die Anzeige in der <hirendition="#aq">Hamburger</hi> Zeitung — in einzelne Blätter ſauber<lb/>
eingewickelt bei ſich. (Im Vorbeigehen! In allen, ſogar von<lb/>
Kantianern wird er gelobt und ſogar ſeine juriſtiſche Unſchuld ge-<lbn="15"/>
zeigt. <hirendition="#aq">Schelling</hi> verliert mit Recht. „Er iſt dein 2<hirendition="#sup">ter</hi> Aretin, ſagt’<lb/>
ich, und hat deiner Philoſophie blos zum Verbreiten genützt.“) —<lb/>
Nachdem in <hirendition="#aq">Erlangen</hi> die Profeſſoren und wir alle ſeine Geſundheit<lb/>
getrunken hatten: ſtand er auf und ging zu einiger Verwunderung<lb/>
mit ſeinem Glaſe bei allen Trinkern herum und ſtieß auf ihre an. —<lbn="20"/>
Etwas gehört dem Alter und den 4 weiblichen Händen an, die ihn<lb/>
tragen und wiegen. Er trägt ſchöne neumodiſch herabgeſchlagne<lb/>
weißglatte Stiefel und Hoſen von gutem Nanking und den jetzigen<lb/>
grauen Ruſſen-Hut (wahrſcheinlich auch der Augen wegen). Als<lb/>
am 1<hirendition="#sup">ten</hi> Morgen ein ſchwarzer Halbzirkel von <hirendition="#aq">Seebeck, Hegel,<lbn="25"/>
Niemeier, Schweigger</hi> ihn umſaß: hielten er und ſeine Schweſtern<lb/>
vor uns ernſten Auſkultanten einen ⅛ſtündigen Rath, ob er und<lb/>
beide entweder um 3 oder um 3½ Uhr dahin oder dorthin gehen<lb/>
müſſen und wie alles gut zu arrangieren wäre. — Daß er mich liebt,<lb/>
weiß ich aus ſeinem jedesmaligen Abſchiednehmen und aus der<lbn="30"/><hirendition="#g">Liebe</hi>ſeiner <hirendition="#g">Schweſtern,</hi> und aus den ſanften Vorwürfen, wenn<lb/>
ich in den Intervallen ſeines Zuhauſeſeins nicht kam; aber wie viel<lb/>
er an mir mit Recht und Unrecht tadelt, weiß ich nicht. Er ſpricht<lb/>
ziemlich oft von ſeinen Werken; über meine perſönlichen, menſch-<lb/>
lichen und frühern und ſchreibenden Verhältniſſe hat er keine Frage<lbn="35"/><fwplace="bottom"type="sig">18 <hirendition="#b">Jean Paul Briefe.</hi><hirendition="#aq">VI.</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[273/0287]
d. 13 J.
Und mein von vielen Reden der Menſchen angefachtes Sprech-
feuer — und D. Erhard, der einmal gegen Herder und mich ge-
ſchrieben *) und deſſen Materialiſmus ich jetzt bekämpfte — machten
es auch rathſam. Als ich Jacobi — es kommt ſeine Kehrſeite — 5
fragte, ob ichs mit meiner Freiheit ꝛc. ꝛc. nicht übertriebe: bejahte
ers halb und doch nur ſo, daß ich keinen Nutzen von der Frage
hatte. Überall ſieht er zu ſehr und zu ängſtlich auf ſeine Erſcheinung
und Darſtellung vor andern und wagt gar nichts; ſo wie er ſchon
früher meine Frage verneinte, ob ich öffentlich in der Dedikazion 10
des Clavis an ihn ſagen dürfte, er habe ſie vor dem Drucke geleſen.
Alle Rezenſionen ſeines und Schellings Buchs führte er — ſogar
die Anzeige in der Hamburger Zeitung — in einzelne Blätter ſauber
eingewickelt bei ſich. (Im Vorbeigehen! In allen, ſogar von
Kantianern wird er gelobt und ſogar ſeine juriſtiſche Unſchuld ge- 15
zeigt. Schelling verliert mit Recht. „Er iſt dein 2ter Aretin, ſagt’
ich, und hat deiner Philoſophie blos zum Verbreiten genützt.“) —
Nachdem in Erlangen die Profeſſoren und wir alle ſeine Geſundheit
getrunken hatten: ſtand er auf und ging zu einiger Verwunderung
mit ſeinem Glaſe bei allen Trinkern herum und ſtieß auf ihre an. — 20
Etwas gehört dem Alter und den 4 weiblichen Händen an, die ihn
tragen und wiegen. Er trägt ſchöne neumodiſch herabgeſchlagne
weißglatte Stiefel und Hoſen von gutem Nanking und den jetzigen
grauen Ruſſen-Hut (wahrſcheinlich auch der Augen wegen). Als
am 1ten Morgen ein ſchwarzer Halbzirkel von Seebeck, Hegel, 25
Niemeier, Schweigger ihn umſaß: hielten er und ſeine Schweſtern
vor uns ernſten Auſkultanten einen ⅛ ſtündigen Rath, ob er und
beide entweder um 3 oder um 3½ Uhr dahin oder dorthin gehen
müſſen und wie alles gut zu arrangieren wäre. — Daß er mich liebt,
weiß ich aus ſeinem jedesmaligen Abſchiednehmen und aus der 30
Liebe ſeiner Schweſtern, und aus den ſanften Vorwürfen, wenn
ich in den Intervallen ſeines Zuhauſeſeins nicht kam; aber wie viel
er an mir mit Recht und Unrecht tadelt, weiß ich nicht. Er ſpricht
ziemlich oft von ſeinen Werken; über meine perſönlichen, menſch-
lichen und frühern und ſchreibenden Verhältniſſe hat er keine Frage 35
*) Ich präſentierte mich ihm ſo: „Sie haben einmal den Teufel gelobt (im
Niethammerſchen Journal ein Aufſatz für deſſen Exiſtenz) — Le voilà!“
18 Jean Paul Briefe. VI.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/287>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.