Ihre werthe Zuschrift erfreuete mich mit der Erinnerung an reichere wissenschaftliche Verhältnisse als ich jetzt genieße. Ihr Zweck und Plan und dessen Ausführen gefiel mir sehr in den mir5 zugeschickten 2 ersten Monatheften, wofür ich Ihnen danke. Ar- beiten Sie nur selber recht fleißig hinein, zumal für die ästhetische Kritik, welche jetzt so vielen andern Blüten nachzusinken scheint. Mehr Ihnen als Ihrem patriotischen Zwecke -- welchem ja über- haupt durch jedes ächtdeutsche Buch nah zu kommen ist -- bring'10 ich das Opfer, daß ich mich wieder in einzelne kleine Aufsätze zer- schneide und zersäge und darüber den freien fortlaufenden Genuß ganzer größerer Werke aussetze. Ich sage 20 Nein zu andern, eh ich Ein Ja sage zu Ihnen. -- Ich überlass' es ganz Ihrer redi- gierenden Berechnung, in welcher paginierten Aufeinanderfolge und15 Rangordnung Sie die nur mit einem körperlichen Faden verbundnen Aufsätze geben wollen, und ob alle auf einmal oder nur vereinzelt.
Da es doch, auch bei Völkern, mehr auf das innere Rechtleben als das äußere Wolleben ankommt: so haben die Deutschen mehr der Zeit abgewonnen als man vielleicht denkt.20
Den Riesen Hamann soll ich wie einen Pik seinen (literarischen) Schatten ins weite Weltmeer werfen lassen? -- Er ist mir zu groß, sogar zu einer Vor- und Lobrede. Oft drang ich bei Herder und Jacobi auf Biographie und Herausgabe; aber keiner gönnte neben- buhlend dem andern die Ehre; doch Herder war dessen Hamanns25 älterer innigster Freund, und Er und Hamann die beiden ordentl. Briefwechsler. Herder glaubte, nur an Einen habe man recht viel und alles zu schreiben -- bis ins Kleinste hinein -- und der war ihm Hamann. Andern Menschen antwortete er durch seine -- Frau. Von Reichard hab' ich viel Hamannisches geliehen bekommen30 und von Herder das Übrige geschenkt; beides mit Hand- und Rand- schriften des Autors bereichert. Der literarischen Anspielungen und Lokalfärbchen sind so viele, daß sogar bei dem Abdruck seiner hand- schriftlichen Erklärungen noch ein allwissender Literator nöthig bleibt. -- Gewöhnlich nehm' ich ihn auf Reisen in den Wagen mit,35 um meine Augen zu schonen. Ich lese nämlich eine Periode und
629. An Friedrich Schlegel in Wien.
Baireuth d. 21. März 1812
Ihre werthe Zuſchrift erfreuete mich mit der Erinnerung an reichere wiſſenſchaftliche Verhältniſſe als ich jetzt genieße. Ihr Zweck und Plan und deſſen Ausführen gefiel mir ſehr in den mir5 zugeſchickten 2 erſten Monatheften, wofür ich Ihnen danke. Ar- beiten Sie nur ſelber recht fleißig hinein, zumal für die äſthetiſche Kritik, welche jetzt ſo vielen andern Blüten nachzuſinken ſcheint. Mehr Ihnen als Ihrem patriotiſchen Zwecke — welchem ja über- haupt durch jedes ächtdeutſche Buch nah zu kommen iſt — bring’10 ich das Opfer, daß ich mich wieder in einzelne kleine Aufſätze zer- ſchneide und zerſäge und darüber den freien fortlaufenden Genuß ganzer größerer Werke ausſetze. Ich ſage 20 Nein zu andern, eh ich Ein Ja ſage zu Ihnen. — Ich überlaſſ’ es ganz Ihrer redi- gierenden Berechnung, in welcher paginierten Aufeinanderfolge und15 Rangordnung Sie die nur mit einem körperlichen Faden verbundnen Aufſätze geben wollen, und ob alle auf einmal oder nur vereinzelt.
Da es doch, auch bei Völkern, mehr auf das innere Rechtleben als das äußere Wolleben ankommt: ſo haben die Deutſchen mehr der Zeit abgewonnen als man vielleicht denkt.20
Den Rieſen Hamann ſoll ich wie einen Pik ſeinen (literariſchen) Schatten ins weite Weltmeer werfen laſſen? — Er iſt mir zu groß, ſogar zu einer Vor- und Lobrede. Oft drang ich bei Herder und Jacobi auf Biographie und Herausgabe; aber keiner gönnte neben- buhlend dem andern die Ehre; doch Herder war deſſen 〈Hamanns〉25 älterer innigſter Freund, und Er und Hamann die beiden ordentl. Briefwechsler. Herder glaubte, nur an Einen habe man recht viel und alles zu ſchreiben — bis ins Kleinſte hinein — und der war ihm Hamann. Andern Menſchen antwortete er durch ſeine — Frau. Von Reichard hab’ ich viel Hamannisches geliehen bekommen30 und von Herder das Übrige geſchenkt; beides mit Hand- und Rand- ſchriften des Autors bereichert. Der literariſchen Anſpielungen und Lokalfärbchen ſind ſo viele, daß ſogar bei dem Abdruck ſeiner hand- ſchriftlichen Erklärungen noch ein allwiſſender Literator nöthig bleibt. — Gewöhnlich nehm’ ich ihn auf Reiſen in den Wagen mit,35 um meine Augen zu ſchonen. Ich leſe nämlich eine Periode und
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629. An Friedrich Schlegel in Wien.
Baireuth d. 21. März 1812
Ihre werthe Zuſchrift erfreuete mich mit der Erinnerung an
reichere wiſſenſchaftliche Verhältniſſe als ich jetzt genieße. Ihr
Zweck und Plan und deſſen Ausführen gefiel mir ſehr in den mir 5
zugeſchickten 2 erſten Monatheften, wofür ich Ihnen danke. Ar-
beiten Sie nur ſelber recht fleißig hinein, zumal für die äſthetiſche
Kritik, welche jetzt ſo vielen andern Blüten nachzuſinken ſcheint.
Mehr Ihnen als Ihrem patriotiſchen Zwecke — welchem ja über-
haupt durch jedes ächtdeutſche Buch nah zu kommen iſt — bring’ 10
ich das Opfer, daß ich mich wieder in einzelne kleine Aufſätze zer-
ſchneide und zerſäge und darüber den freien fortlaufenden Genuß
ganzer größerer Werke ausſetze. Ich ſage 20 Nein zu andern, eh
ich Ein Ja ſage zu Ihnen. — Ich überlaſſ’ es ganz Ihrer redi-
gierenden Berechnung, in welcher paginierten Aufeinanderfolge und 15
Rangordnung Sie die nur mit einem körperlichen Faden verbundnen
Aufſätze geben wollen, und ob alle auf einmal oder nur vereinzelt.
Da es doch, auch bei Völkern, mehr auf das innere Rechtleben
als das äußere Wolleben ankommt: ſo haben die Deutſchen mehr
der Zeit abgewonnen als man vielleicht denkt. 20
Den Rieſen Hamann ſoll ich wie einen Pik ſeinen (literariſchen)
Schatten ins weite Weltmeer werfen laſſen? — Er iſt mir zu groß,
ſogar zu einer Vor- und Lobrede. Oft drang ich bei Herder und
Jacobi auf Biographie und Herausgabe; aber keiner gönnte neben-
buhlend dem andern die Ehre; doch Herder war deſſen 〈Hamanns〉 25
älterer innigſter Freund, und Er und Hamann die beiden ordentl.
Briefwechsler. Herder glaubte, nur an Einen habe man recht viel
und alles zu ſchreiben — bis ins Kleinſte hinein — und der war ihm
Hamann. Andern Menſchen antwortete er durch ſeine — Frau.
Von Reichard hab’ ich viel Hamannisches geliehen bekommen 30
und von Herder das Übrige geſchenkt; beides mit Hand- und Rand-
ſchriften des Autors bereichert. Der literariſchen Anſpielungen und
Lokalfärbchen ſind ſo viele, daß ſogar bei dem Abdruck ſeiner hand-
ſchriftlichen Erklärungen noch ein allwiſſender Literator nöthig
bleibt. — Gewöhnlich nehm’ ich ihn auf Reiſen in den Wagen mit, 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/272>, abgerufen am 24.11.2024.
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