Ich will aber von vornen anfangen. Max war unterwegs so zart, gefällig, vorsichtig, genügsam, alles liebend, alles ordnend (er vergißt gewiß nie etwas auf Reisen) und überhaupt so gut, daß ich sah, ich könne die Früchte der Erziehung meiner Kinder am besten -- auswärts pflücken und wie sehr sie besser sind als sie oft5 scheinen. Er schlief die Nacht angekleidet ohne Bettdecke so fest wie ein Todter; am Morgen war er rasch -- und sein Abschied wollte den ganzen Tag nicht aus meiner Seele gehen. -- Mein Quartier ist nicht so wie ichs gewünscht sondern sogar noch besser -- die 3te Stube, die für dasselbe Geld mit dazu gemiethet war,10 nahm ich nicht einmal an. Alles mein Heer von Bedürfnissen ist befriedigt -- sogar das Bett ist recht und wie meines -- die Magd der halbalten Mad. Schilly kommt wenn ich klingle und ist ehrlich und hurtig und macht Kaffee und Bett wie ichs haben will. Der Gastwirth Toussaint, der mich schon früher kannte, erfüllt mir15 jeden Wunsch so wie der dienstfertige Prof. Mehmel. -- Ich habe noch bei niemand gegessen, bin blos bei den Prof. Mehmel, Hilde- brand und Ammon gewesen, habe aber einen Wust Menschen gesprochen. Am Morgen wohnt der Himmel in meiner einsamen Stube voll Bücher und ich bin so heimisch aber einsamer da als20 in Bayreuth. In den Welsenschen Garten, der mir ohne Schlüssel und ohne 6 kr. offen steht (eines von beiden muß man sonst mit- bringen), ging ich während der großen Pfingstkirchweih, die dir Otto ohne Dinte malen kann. Diese Garten-Terrasse ist der einzige Naturthron der bettelhaften Umgebung*)Erlangens; indeß doch25 tief unter allen Schönheiten Bayreuths. Die Stadt selber ist eine der glänzendsten, denn sie besteht aus Einer Hauptstrasse und einer Querstrasse, die als ein Kreuzbalken jene durchschneidet; neben beiden sind zum Überfluß noch kurze Sackgäßlein angebracht. Frage nur Otto. Dieß allein (der Mangel an Gesellschafts-Menschen,30 nicht an Gelehrten) würde mich von einem Einzuge hieher ab- schrecken, zu welchem man mich bereden will. Das einzige para- diesische, himmlische ist das, was eine halbe Stunde -- vor Erlangen aufhört, der Weg durch das Bambergische. -- Ordentlich mit Sehnsucht werd' ich an meine vertraulichen Stunden mit meinen35
*) In Rücksicht der Spaziergänge.
13 Jean Paul Briefe. VI.
Ich will aber von vornen anfangen. Max war unterwegs ſo zart, gefällig, vorſichtig, genügſam, alles liebend, alles ordnend (er vergißt gewiß nie etwas auf Reiſen) und überhaupt ſo gut, daß ich ſah, ich könne die Früchte der Erziehung meiner Kinder am beſten — auswärts pflücken und wie ſehr ſie beſſer ſind als ſie oft5 ſcheinen. Er ſchlief die Nacht angekleidet ohne Bettdecke ſo feſt wie ein Todter; am Morgen war er raſch — und ſein Abſchied wollte den ganzen Tag nicht aus meiner Seele gehen. — Mein Quartier iſt nicht ſo wie ichs gewünſcht ſondern ſogar noch beſſer — die 3te Stube, die für daſſelbe Geld mit dazu gemiethet war,10 nahm ich nicht einmal an. Alles mein Heer von Bedürfniſſen iſt befriedigt — ſogar das Bett iſt recht und wie meines — die Magd der halbalten Mad. Schilly kommt wenn ich klingle und iſt ehrlich und hurtig und macht Kaffee und Bett wie ichs haben will. Der Gaſtwirth Toussaint, der mich ſchon früher kannte, erfüllt mir15 jeden Wunſch ſo wie der dienſtfertige Prof. Mehmel. — Ich habe noch bei niemand gegeſſen, bin blos bei den Prof. Mehmel, Hilde- brand und Ammon geweſen, habe aber einen Wuſt Menſchen geſprochen. Am Morgen wohnt der Himmel in meiner einſamen Stube voll Bücher und ich bin ſo heimiſch aber einſamer da als20 in Bayreuth. In den Welsenschen Garten, der mir ohne Schlüſſel und ohne 6 kr. offen ſteht (eines von beiden muß man ſonſt mit- bringen), ging ich während der großen Pfingſtkirchweih, die dir Otto ohne Dinte malen kann. Dieſe Garten-Terraſſe iſt der einzige Naturthron der bettelhaften Umgebung*)Erlangens; indeß doch25 tief unter allen Schönheiten Bayreuths. Die Stadt ſelber iſt eine der glänzendſten, denn ſie beſteht aus Einer Hauptſtraſſe und einer Querſtraſſe, die als ein Kreuzbalken jene durchſchneidet; neben beiden ſind zum Überfluß noch kurze Sackgäßlein angebracht. Frage nur Otto. Dieß allein (der Mangel an Geſellſchafts-Menſchen,30 nicht an Gelehrten) würde mich von einem Einzuge hieher ab- ſchrecken, zu welchem man mich bereden will. Das einzige para- dieſiſche, himmliſche iſt das, was eine halbe Stunde — vor Erlangen aufhört, der Weg durch das Bambergische. — Ordentlich mit Sehnſucht werd’ ich an meine vertraulichen Stunden mit meinen35
*) In Rückſicht der Spaziergänge.
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Ich will aber von vornen anfangen. Max war unterwegs ſo
zart, gefällig, vorſichtig, genügſam, alles liebend, alles ordnend
(er vergißt gewiß nie etwas auf Reiſen) und überhaupt ſo gut,
daß ich ſah, ich könne die Früchte der Erziehung meiner Kinder am
beſten — auswärts pflücken und wie ſehr ſie beſſer ſind als ſie oft 5
ſcheinen. Er ſchlief die Nacht angekleidet ohne Bettdecke ſo feſt
wie ein Todter; am Morgen war er raſch — und ſein Abſchied
wollte den ganzen Tag nicht aus meiner Seele gehen. — Mein
Quartier iſt nicht ſo wie ichs gewünſcht ſondern ſogar noch beſſer
— die 3te Stube, die für daſſelbe Geld mit dazu gemiethet war, 10
nahm ich nicht einmal an. Alles mein Heer von Bedürfniſſen iſt
befriedigt — ſogar das Bett iſt recht und wie meines — die Magd
der halbalten Mad. Schilly kommt wenn ich klingle und iſt ehrlich
und hurtig und macht Kaffee und Bett wie ichs haben will. Der
Gaſtwirth Toussaint, der mich ſchon früher kannte, erfüllt mir 15
jeden Wunſch ſo wie der dienſtfertige Prof. Mehmel. — Ich habe
noch bei niemand gegeſſen, bin blos bei den Prof. Mehmel, Hilde-
brand und Ammon geweſen, habe aber einen Wuſt Menſchen
geſprochen. Am Morgen wohnt der Himmel in meiner einſamen
Stube voll Bücher und ich bin ſo heimiſch aber einſamer da als 20
in Bayreuth. In den Welsenschen Garten, der mir ohne Schlüſſel
und ohne 6 kr. offen ſteht (eines von beiden muß man ſonſt mit-
bringen), ging ich während der großen Pfingſtkirchweih, die dir
Otto ohne Dinte malen kann. Dieſe Garten-Terraſſe iſt der einzige
Naturthron der bettelhaften Umgebung *) Erlangens; indeß doch 25
tief unter allen Schönheiten Bayreuths. Die Stadt ſelber iſt eine
der glänzendſten, denn ſie beſteht aus Einer Hauptſtraſſe und einer
Querſtraſſe, die als ein Kreuzbalken jene durchſchneidet; neben
beiden ſind zum Überfluß noch kurze Sackgäßlein angebracht. Frage
nur Otto. Dieß allein (der Mangel an Geſellſchafts-Menſchen, 30
nicht an Gelehrten) würde mich von einem Einzuge hieher ab-
ſchrecken, zu welchem man mich bereden will. Das einzige para-
dieſiſche, himmliſche iſt das, was eine halbe Stunde — vor Erlangen
aufhört, der Weg durch das Bambergische. — Ordentlich mit
Sehnſucht werd’ ich an meine vertraulichen Stunden mit meinen 35
*) In Rückſicht der Spaziergänge.
13 Jean Paul Briefe. VI.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/206>, abgerufen am 28.11.2024.
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