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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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174. An Herzog Emil August von Gotha.
Gnädigster Herzog,

Der Brief Ihrer Durchlaucht erneuerte meine alten Freuden und
Erinnerungen. Ihr Zürnen über die Wölfe, die um Arkadien bollen,
ist eine freie Übersetzung des Schillerschen Worts: das ist das Loos5
des Schönen in der Welt. Autoren von Profession wie z. B. ich
haben die Wölfe viel näher am Leibe gewohnt. Indeß ist doch der
Freimüthige -- den Sie wahrscheinlich meinten -- als ein zu ver-
ächtlicher, alles Große und Geniale hassender Knecht der Kleinlich-
keit nicht der Mühe Ihres Blickes, geschweige Ihres zornigen werth.10
Ich habe ganz andere und gerechtere Urtheile über das arkadische
Jahr
-- als ein Freimüthiger geben kann, der seinem Motto-
Aristides in der Selbst-Verbannung nachahmen sollte -- von
Männern gehört und gelesen. Sogar Professoren und Kon-
sistorialräthe wie Ammon bewundern den geheimen griechi-15
schen Schatz darin, dessen Flämmchen wieder nur Gelehrsamkeit
sieht. Es gibt aber etwas Höheres im Werke: nämlich eine solche
Verschmelzung der alten und neuen Zeit, eine solche poetische Ver-
söhnung des Griechischen mit dem Romantischen, die hier zum
ersten male erscheint. Diesen Bund zweier Alter und Naturen unter-20
schrieb Ihre Feder.

Indeß hier erlauben mir Ihre Durchlaucht auf einmal einen Fall
in die harte Prosa-Erde herunter. Ich muß nämlich -- falls der
faule Heinz oder Athanor Europens noch fortbrennt, Bonaparte
-- dem laufenden Steppenfeuer des Kriegs entlaufen mit Weib und25
Kind; und -- darf ich -- bis nach Gotha. Ich aber und mein Freund
Schlichtegroll würden da unter den schon vom Kriege überfüllten
Häusern schwerlich ein leeres finden. Hier thue ich nun an Ihre
Güte und Kraft eine kühne und scheue Bitte zugleich, ob Sie nicht
vielleicht unter den leeren Gebäuden, über welche Sie von Ihrem30
Thron-Berge herab zu gebieten haben, irgend eines, ein kleines,
dem Emigre und Remigre durch Ihr Wort öffnen wollen lassen.
Voltaire machte einmal den großen Friedrich zu einem pharma-
zeutischen Lieferanten von Stahlpillen durch eine Brief-Bitte. Ich
hoffe, daß diese Unschicklichkeit durch die Wichtigkeit und Ver-35
anlassung meiner Bitte vermieden worden ist. Dann wenn Sie be-
jahen, wär' ich unter den tristen Wolken der Zeit doch heiter und

174. An Herzog Emil Auguſt von Gotha.
Gnädigſter Herzog,

Der Brief Ihrer Durchlaucht erneuerte meine alten Freuden und
Erinnerungen. Ihr Zürnen über die Wölfe, die um Arkadien bollen,
iſt eine freie Überſetzung des Schillerſchen Worts: das iſt das Loos5
des Schönen in der Welt. Autoren von Profeſſion wie z. B. ich
haben die Wölfe viel näher am Leibe gewohnt. Indeß iſt doch der
Freimüthige — den Sie wahrſcheinlich meinten — als ein zu ver-
ächtlicher, alles Große und Geniale haſſender Knecht der Kleinlich-
keit nicht der Mühe Ihres Blickes, geſchweige Ihres zornigen werth.10
Ich habe ganz andere und gerechtere Urtheile über das arkadische
Jahr
— als ein Freimüthiger geben kann, der ſeinem Motto-
Ariſtides in der Selbſt-Verbannung nachahmen ſollte — von
Männern gehört und geleſen. Sogar Profeſſoren und Kon-
ſiſtorialräthe wie Ammon bewundern den geheimen griechi-15
ſchen Schatz darin, deſſen Flämmchen wieder nur Gelehrſamkeit
ſieht. Es gibt aber etwas Höheres im Werke: nämlich eine ſolche
Verſchmelzung der alten und neuen Zeit, eine ſolche poetiſche Ver-
ſöhnung des Griechiſchen mit dem Romantiſchen, die hier zum
erſten male erſcheint. Dieſen Bund zweier Alter und Naturen unter-20
ſchrieb Ihre Feder.

Indeß hier erlauben mir Ihre Durchlaucht auf einmal einen Fall
in die harte Proſa-Erde herunter. Ich muß nämlich — falls der
faule Heinz oder Athanor Europens noch fortbrennt, Bonaparte
— dem laufenden Steppenfeuer des Kriegs entlaufen mit Weib und25
Kind; und — darf ich — bis nach Gotha. Ich aber und mein Freund
Schlichtegroll würden da unter den ſchon vom Kriege überfüllten
Häuſern ſchwerlich ein leeres finden. Hier thue ich nun an Ihre
Güte und Kraft eine kühne und ſcheue Bitte zugleich, ob Sie nicht
vielleicht unter den leeren Gebäuden, über welche Sie von Ihrem30
Thron-Berge herab zu gebieten haben, irgend eines, ein kleines,
dem Emigré und Rémigré durch Ihr Wort öffnen wollen laſſen.
Voltaire machte einmal den großen Friedrich zu einem pharma-
zeutiſchen Lieferanten von Stahlpillen durch eine Brief-Bitte. Ich
hoffe, daß dieſe Unſchicklichkeit durch die Wichtigkeit und Ver-35
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jahen, wär’ ich unter den triſten Wolken der Zeit doch heiter und

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[69/0084] 174. An Herzog Emil Auguſt von Gotha. Gnädigſter Herzog, Der Brief Ihrer Durchlaucht erneuerte meine alten Freuden und Erinnerungen. Ihr Zürnen über die Wölfe, die um Arkadien bollen, iſt eine freie Überſetzung des Schillerſchen Worts: das iſt das Loos 5 des Schönen in der Welt. Autoren von Profeſſion wie z. B. ich haben die Wölfe viel näher am Leibe gewohnt. Indeß iſt doch der Freimüthige — den Sie wahrſcheinlich meinten — als ein zu ver- ächtlicher, alles Große und Geniale haſſender Knecht der Kleinlich- keit nicht der Mühe Ihres Blickes, geſchweige Ihres zornigen werth. 10 Ich habe ganz andere und gerechtere Urtheile über das arkadische Jahr — als ein Freimüthiger geben kann, der ſeinem Motto- Ariſtides in der Selbſt-Verbannung nachahmen ſollte — von Männern gehört und geleſen. Sogar Profeſſoren und Kon- ſiſtorialräthe wie Ammon bewundern den geheimen griechi- 15 ſchen Schatz darin, deſſen Flämmchen wieder nur Gelehrſamkeit ſieht. Es gibt aber etwas Höheres im Werke: nämlich eine ſolche Verſchmelzung der alten und neuen Zeit, eine ſolche poetiſche Ver- ſöhnung des Griechiſchen mit dem Romantiſchen, die hier zum erſten male erſcheint. Dieſen Bund zweier Alter und Naturen unter- 20 ſchrieb Ihre Feder. Indeß hier erlauben mir Ihre Durchlaucht auf einmal einen Fall in die harte Proſa-Erde herunter. Ich muß nämlich — falls der faule Heinz oder Athanor Europens noch fortbrennt, Bonaparte — dem laufenden Steppenfeuer des Kriegs entlaufen mit Weib und 25 Kind; und — darf ich — bis nach Gotha. Ich aber und mein Freund Schlichtegroll würden da unter den ſchon vom Kriege überfüllten Häuſern ſchwerlich ein leeres finden. Hier thue ich nun an Ihre Güte und Kraft eine kühne und ſcheue Bitte zugleich, ob Sie nicht vielleicht unter den leeren Gebäuden, über welche Sie von Ihrem 30 Thron-Berge herab zu gebieten haben, irgend eines, ein kleines, dem Emigré und Rémigré durch Ihr Wort öffnen wollen laſſen. Voltaire machte einmal den großen Friedrich zu einem pharma- zeutiſchen Lieferanten von Stahlpillen durch eine Brief-Bitte. Ich hoffe, daß dieſe Unſchicklichkeit durch die Wichtigkeit und Ver- 35 anlaſſung meiner Bitte vermieden worden iſt. Dann wenn Sie be- jahen, wär’ ich unter den triſten Wolken der Zeit doch heiter und

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/84>, abgerufen am 24.11.2024.