Ich kann dieses Schoß- und Busens- und Herzenskind nicht länger entrathen, als bis Sie und unsere Freunde es zweimal gelesen. Dann fliege es mir wieder zu. So oft ich gar nicht lesen will, sondern nur denken oder geniessen: so les' ich Haman. -- Da ich eben Ein- quartierung auf meinem Schreib-Kanapee habe -- nämlich 2 Kinder5 und 1 Hund -- so muß ich unordentlich und kurz zugleich schreiben. Wenn Sie Herrn Wendel in meinem Namen danken: so bitten Sie auch um ein geliehenes, unfrankiertes Exemplar vom Verkündiger, dessen Fülle und Wechsel mich immer so sehr erquickten. Grüßen Sie recht den liberalen geist- und kenntnißreichen Ammon, dessen Person10 mich zu seinen Werken führt, wie sonst umgekehrt, und den liebens- würdigen wackern Le Pique und den Ex-Schelling Mehmel. Ich danke für alle vereinigte Liebe, wozu auch die Ihrige gehört, freund- licher Prediger der Freundlichkeit.
Ihr15 Jean Paul Fr. Richter
150. An Ludwig Tieck.
Bayreuth d. 5. Okt. 1805.
Nur die Ungewißheit Ihres wechselnden Aufenthalts verzögerte so lange mein Schreiben, dessen Wunsch am stärksten nach der Lesung20 Ihres Oktavianus war. Es wäre wol in dieser lauten, und doch tauben und nichts sagenden Zeit -- wo sogar ein erbärmlicher Krieg seinen erbärmlichen Frieden ausspricht und roth genug unterstreicht -- der Mühe werth, daß Leute sich sprächen, die sich lieben, wozu ich nicht nur mich rechne sondern auch Sie. Wie froh wär' ich gewesen,25 seit ich aus der lauten Stadt in drei stumme gezogen, mit Ihnen sogar zu -- zanken, wenn nichts weiter möglich gewesen wäre als ich der Alte und Sie der Alte, -- was wol bei uns zweien, wenigstens bei mir nicht ist. Meine Aesthetik sollte Ihnen, dächt' ich, mehr ge- fallen als ich sonst; und ich wünschte herzlich Ihre Worte darüber30 und über 1000 andere Sachen und über den 3ten und 4ten Titan und über was Sie wollen. Der Himmel gebe, daß Sie uns bald Ihre Jocosa geben, von denen ich gehört, oder wenigstens mir etwas davon unfrankiert.
Ich wollte, wir kämen gegen einander recht in Wort- und Brief-35 wechsel. Ich lebe in einem kunst-öden Lande; und bedarf wie ein
Ich kann dieſes Schoß- und Buſens- und Herzenskind nicht länger entrathen, als bis Sie und unſere Freunde es zweimal geleſen. Dann fliege es mir wieder zu. So oft ich gar nicht leſen will, ſondern nur denken oder genieſſen: ſo leſ’ ich Haman. — Da ich eben Ein- quartierung auf meinem Schreib-Kanapee habe — nämlich 2 Kinder5 und 1 Hund — ſo muß ich unordentlich und kurz zugleich ſchreiben. Wenn Sie Herrn Wendel in meinem Namen danken: ſo bitten Sie auch um ein geliehenes, unfrankiertes Exemplar vom Verkündiger, deſſen Fülle und Wechſel mich immer ſo ſehr erquickten. Grüßen Sie recht den liberalen geiſt- und kenntnißreichen Ammon, deſſen Perſon10 mich zu ſeinen Werken führt, wie ſonſt umgekehrt, und den liebens- würdigen wackern Le Pique und den Ex-Schelling Mehmel. Ich danke für alle vereinigte Liebe, wozu auch die Ihrige gehört, freund- licher Prediger der Freundlichkeit.
Ihr15 Jean Paul Fr. Richter
150. An Ludwig Tieck.
Bayreuth d. 5. Okt. 1805.
Nur die Ungewißheit Ihres wechſelnden Aufenthalts verzögerte ſo lange mein Schreiben, deſſen Wunſch am ſtärkſten nach der Leſung20 Ihres Oktavianus war. Es wäre wol in dieſer lauten, und doch tauben und nichts ſagenden Zeit — wo ſogar ein erbärmlicher Krieg ſeinen erbärmlichen Frieden ausſpricht und roth genug unterſtreicht — der Mühe werth, daß Leute ſich ſprächen, die ſich lieben, wozu ich nicht nur mich rechne ſondern auch Sie. Wie froh wär’ ich geweſen,25 ſeit ich aus der lauten Stadt in drei ſtumme gezogen, mit Ihnen ſogar zu — zanken, wenn nichts weiter möglich geweſen wäre als ich der Alte und Sie der Alte, — was wol bei uns zweien, wenigſtens bei mir nicht iſt. Meine Aeſthetik ſollte Ihnen, dächt’ ich, mehr ge- fallen als ich ſonſt; und ich wünſchte herzlich Ihre Worte darüber30 und über 1000 andere Sachen und über den 3ten und 4ten Titan und über was Sie wollen. Der Himmel gebe, daß Sie uns bald Ihre Jocosa geben, von denen ich gehört, oder wenigſtens mir etwas davon unfrankiert.
Ich wollte, wir kämen gegen einander recht in Wort- und Brief-35 wechſel. Ich lebe in einem kunſt-öden Lande; und bedarf wie ein
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nur denken oder genieſſen: ſo leſ’ ich Haman. — Da ich eben Ein-
quartierung auf meinem Schreib-Kanapee habe — nämlich 2 Kinder 5
und 1 Hund — ſo muß ich unordentlich und kurz zugleich ſchreiben.
Wenn Sie Herrn Wendel in meinem Namen danken: ſo bitten Sie
auch um ein geliehenes, unfrankiertes Exemplar vom Verkündiger,
deſſen Fülle und Wechſel mich immer ſo ſehr erquickten. Grüßen Sie
recht den liberalen geiſt- und kenntnißreichen Ammon, deſſen Perſon 10
mich zu ſeinen Werken führt, wie ſonſt umgekehrt, und den liebens-
würdigen wackern Le Pique und den Ex-Schelling Mehmel. Ich
danke für alle vereinigte Liebe, wozu auch die Ihrige gehört, freund-
licher Prediger der Freundlichkeit.
Ihr 15
Jean Paul Fr. Richter
150. An Ludwig Tieck.
Bayreuth d. 5. Okt. 1805.
Nur die Ungewißheit Ihres wechſelnden Aufenthalts verzögerte
ſo lange mein Schreiben, deſſen Wunſch am ſtärkſten nach der Leſung 20
Ihres Oktavianus war. Es wäre wol in dieſer lauten, und doch
tauben und nichts ſagenden Zeit — wo ſogar ein erbärmlicher Krieg
ſeinen erbärmlichen Frieden ausſpricht und roth genug unterſtreicht —
der Mühe werth, daß Leute ſich ſprächen, die ſich lieben, wozu ich
nicht nur mich rechne ſondern auch Sie. Wie froh wär’ ich geweſen, 25
ſeit ich aus der lauten Stadt in drei ſtumme gezogen, mit Ihnen
ſogar zu — zanken, wenn nichts weiter möglich geweſen wäre als
ich der Alte und Sie der Alte, — was wol bei uns zweien, wenigſtens
bei mir nicht iſt. Meine Aeſthetik ſollte Ihnen, dächt’ ich, mehr ge-
fallen als ich ſonſt; und ich wünſchte herzlich Ihre Worte darüber 30
und über 1000 andere Sachen und über den 3ten und 4ten Titan
und über was Sie wollen. Der Himmel gebe, daß Sie uns bald Ihre
Jocosa geben, von denen ich gehört, oder wenigſtens mir etwas
davon unfrankiert.
Ich wollte, wir kämen gegen einander recht in Wort- und Brief- 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/73>, abgerufen am 16.02.2025.
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