Was weiß ich heute den 25 August 1805? -- Mein erster Rath und Anfang ist: Thun Sie alles Körperliche -- z. B. wenn Sie einen falschen Schlüssel im falschen Schloß umdrehen -- sanft und langsam. Die Wuth hilft nur bei Menschen, nicht bei Körpern. Linde sucht' ich dieses Blatt unter so vielen. Ich habe Ihnen wenig5 zu schreiben, da Sie mir so wenig schreiben. Meine Novellen, Nova, Novitäten sind in Wilman's und Cotta's Taschenkalendern die nöthigen Aufsätze; über die Erziehung arbeit' ich eine Vorschule aus. Die ästhetische fließt gut in Deutschland, nach Perthes. Ich wünsche innig, Sie zu sehen, da Sie sich gewiß in der Einsamkeit10 mehr gebildet haben als in Paris, das in anderer Rücksicht auch eine war. Warlich Sie werden mich in etwas erstaunen und er- freuen, wenn ich Sie sehe, wegen Ihrer Fortschritte. -- Mich anbe- langend, schimmle ich zusammen und lasse den Schimmel drucken als Flora. Wollte Gott, ich wäre der beste Kopf in der besten15 Welt und der besten Stadt, aus mir ließe sich wenigstens soviel machen als ich gemacht habe. So aber hab' ich -- drei herrliche Kinder, deren Namen und Augen jedem bekannt. Menschen, die sich lieben, sollten Flügel haben, nicht nur, um zu kommen, auch um zu gehen -- z. B. Sie -- Andere aber Krücken, um schwer an-20 zukommen und zu ärgern. --
Gestern Nachts ist die Braun angekommen; und alles hier in Lust. Gott schenk' ihr die Freude, die sie macht und verdient, diese Antike!
Warum schreiben Sie mir so wenig? Warum so wenig über meine25 neuesten Sachen? Warum reitzen Sie mich nicht zu Widerlegungen? -- Der Teufel hole mich, wenn ich nicht Ihr Urtheil über mich -- ich sage nicht, über andere -- äußerst achte und nütze. Sie wissen kaum, daß Sie ein Kritikus sind und ein guter und daß der alteRichter der alte Liebhaber Ihres Ichs ist und bleibt. --30
127. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 28 Aug. 1805
Lieber Alter! Ich gebe dir durch ein Paar schöne Hände, die du leider schwerlich mehr zum Kusse wirst erlangen können, dieses Blatt. Vergib mein Schweigen auf deine Vorbitte, folglich das Nein.35
Was weiß ich heute den 25 Auguſt 1805? — Mein erſter Rath und Anfang iſt: Thun Sie alles Körperliche — z. B. wenn Sie einen falſchen Schlüſſel im falſchen Schloß umdrehen — ſanft und langſam. Die Wuth hilft nur bei Menſchen, nicht bei Körpern. Linde ſucht’ ich dieſes Blatt unter ſo vielen. Ich habe Ihnen wenig5 zu ſchreiben, da Sie mir ſo wenig ſchreiben. Meine Novellen, Nova, Novitäten ſind in Wilman’s und Cotta’s Taſchenkalendern die nöthigen Aufſätze; über die Erziehung arbeit’ ich eine Vorſchule aus. Die äſthetiſche fließt gut in Deutſchland, nach Perthes. Ich wünſche innig, Sie zu ſehen, da Sie ſich gewiß in der Einſamkeit10 mehr gebildet haben als in Paris, das in anderer Rückſicht auch eine war. Warlich Sie werden mich in etwas erſtaunen und er- freuen, wenn ich Sie ſehe, wegen Ihrer Fortſchritte. — Mich anbe- langend, ſchimmle ich zuſammen und laſſe den Schimmel drucken als Flora. Wollte Gott, ich wäre der beſte Kopf in der beſten15 Welt und der beſten Stadt, aus mir ließe ſich wenigſtens ſoviel machen als ich gemacht habe. So aber hab’ ich — drei herrliche Kinder, deren Namen und Augen jedem bekannt. Menſchen, die ſich lieben, ſollten Flügel haben, nicht nur, um zu kommen, auch um zu gehen — z. B. Sie — Andere aber Krücken, um ſchwer an-20 zukommen und zu ärgern. —
Geſtern Nachts iſt die Braun angekommen; und alles hier in Luſt. Gott ſchenk’ ihr die Freude, die ſie macht und verdient, dieſe Antike!
Warum ſchreiben Sie mir ſo wenig? Warum ſo wenig über meine25 neueſten Sachen? Warum reitzen Sie mich nicht zu Widerlegungen? — Der Teufel hole mich, wenn ich nicht Ihr Urtheil über mich — ich ſage nicht, über andere — äußerſt achte und nütze. Sie wiſſen kaum, daß Sie ein Kritikus ſind und ein guter und daß der alteRichter der alte Liebhaber Ihres Ichs iſt und bleibt. —30
127. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 28 Aug. 1805
Lieber Alter! Ich gebe dir durch ein Paar ſchöne Hände, die du leider ſchwerlich mehr zum Kuſſe wirſt erlangen können, dieſes Blatt. Vergib mein Schweigen auf deine Vorbitte, folglich das Nein.35
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Was weiß ich heute den 25 Auguſt 1805? — Mein erſter Rath
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langſam. Die Wuth hilft nur bei Menſchen, nicht bei Körpern.
Linde ſucht’ ich dieſes Blatt unter ſo vielen. Ich habe Ihnen wenig 5
zu ſchreiben, da Sie mir ſo wenig ſchreiben. Meine Novellen, Nova,
Novitäten ſind in Wilman’s und Cotta’s Taſchenkalendern die
nöthigen Aufſätze; über die Erziehung arbeit’ ich eine Vorſchule
aus. Die äſthetiſche fließt gut in Deutſchland, nach Perthes. Ich
wünſche innig, Sie zu ſehen, da Sie ſich gewiß in der Einſamkeit 10
mehr gebildet haben als in Paris, das in anderer Rückſicht auch
eine war. Warlich Sie werden mich in etwas erſtaunen und er-
freuen, wenn ich Sie ſehe, wegen Ihrer Fortſchritte. — Mich anbe-
langend, ſchimmle ich zuſammen und laſſe den Schimmel drucken
als Flora. Wollte Gott, ich wäre der beſte Kopf in der beſten 15
Welt und der beſten Stadt, aus mir ließe ſich wenigſtens ſoviel
machen als ich gemacht habe. So aber hab’ ich — drei herrliche
Kinder, deren Namen und Augen jedem bekannt. Menſchen, die
ſich lieben, ſollten Flügel haben, nicht nur, um zu kommen, auch
um zu gehen — z. B. Sie — Andere aber Krücken, um ſchwer an- 20
zukommen und zu ärgern. —
Geſtern Nachts iſt die Braun angekommen; und alles hier in Luſt.
Gott ſchenk’ ihr die Freude, die ſie macht und verdient, dieſe
Antike!
Warum ſchreiben Sie mir ſo wenig? Warum ſo wenig über meine 25
neueſten Sachen? Warum reitzen Sie mich nicht zu Widerlegungen?
— Der Teufel hole mich, wenn ich nicht Ihr Urtheil über mich —
ich ſage nicht, über andere — äußerſt achte und nütze. Sie wiſſen
kaum, daß Sie ein Kritikus ſind und ein guter und daß der alteRichter der alte Liebhaber Ihres Ichs iſt und bleibt. — 30
127. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 28 Aug. 1805
Lieber Alter! Ich gebe dir durch ein Paar ſchöne Hände, die du
leider ſchwerlich mehr zum Kuſſe wirſt erlangen können, dieſes Blatt.
Vergib mein Schweigen auf deine Vorbitte, folglich das Nein. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/64>, abgerufen am 27.07.2024.
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