Gott danken wirst, seßhaft zu sein und Einen Menschen weniger ge- sehen zu haben, "der ohnehin -- sagst du in deinem Ruhezimmer -- noch diesen Sommer sich aufmacht und mich besucht, wo ein ganz anderes, leichteres Leben sein soll, als auf der mörderischen Reise, die der Teufel hole." Ich unterschreibe, deinen Fluch ausgenommen,5 alles, was du da eben sagtest. Ja, mein Heinrich, ich werde, ich muß nach München reisen, um meinen Herder wie auferstanden wieder zu finden und einen Spinoza dazu.
Und doch gäb' ich jeden unserer künftigen Abende -- den ersten und letzten ausgenommen -- für jenen hin, wo ich dich mit Fichte10 zusammen sehen könnte, euch redliche scharfe Schatzgräber der Wahrheit, die sich halb im Himmel, halb in der Erde verbirgt. --
Eine alte Freundin von mir -- Frau v. Kalb aus Weimar, jetzt in Berlin -- bittet mich um deine Sichtbarkeit, wenn Berlin den Merkurs Durchgang durch dich nimmt. Sie war eine innige15 Freundin Herders, Goethe's, Schillers etc.; ihr Aeußeres verschließt mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeist. Sie hat mehr auf meine Bildung eingegriffen als alle übrigen Weiber zusammen. Ihren Karakter schildert man zum Theil mit dem Worte, daß sie mit unendlicher Tiefe jeden Karakter eben schildern kann.20
d. 4. Mai.
Gestern war Fichte bei mir und bei uns. Er will gern alles thun und machen -- z. B. den halben Weg --, um dir irgendwo anders als auf dem dünnen Papier zu begegnen. Er hofft wirklich, dich münd- lich in seine Meinung herüber zu ziehen; was ich aber nicht fürchte.25 Er will dir klar machen -- da ihn bisher niemand verstanden, nicht einmal du -- wie Spinoza u. a. stets mit einer Disjunkzion anfingen, folglich nie den Übergang erphilosophieren konnten -- wie der Philosoph das Unbegreifliche begreifen Unbegränzte be- gränzen müsse, obwol als ein solches, aus dem aber das begreif-30 liche Begränzte a, b, c sich ableite -- Immer ist ihm Wissen = Ich. Er achtet und lieset wenig, du müßtest denn einen Anhang dazu geschrieben haben. Er sehnt sich sehr nach dir, du wirst ihn ver- stehen, nur er dich nicht. Niemand hat sich tiefer und schärfer in Einseitigkeit hinein gehölt und gegraben als er. Wo ich gegen seine35 Feinde spreche -- oder da, wo ich seine Ideen in meine freundlich kleide und fasse: hat niemand mehr Recht als ich; -- sonst nie. Auf
Gott danken wirſt, ſeßhaft zu ſein und Einen Menſchen weniger ge- ſehen zu haben, „der ohnehin — ſagſt du in deinem Ruhezimmer — noch dieſen Sommer ſich aufmacht und mich beſucht, wo ein ganz anderes, leichteres Leben ſein ſoll, als auf der mörderiſchen Reiſe, die der Teufel hole.“ Ich unterſchreibe, deinen Fluch ausgenommen,5 alles, was du da eben ſagteſt. Ja, mein Heinrich, ich werde, ich muß nach München reiſen, um meinen Herder wie auferſtanden wieder zu finden und einen Spinoza dazu.
Und doch gäb’ ich jeden unſerer künftigen Abende — den erſten und letzten ausgenommen — für jenen hin, wo ich dich mit Fichte10 zuſammen ſehen könnte, euch redliche ſcharfe Schatzgräber der Wahrheit, die ſich halb im Himmel, halb in der Erde verbirgt. —
Eine alte Freundin von mir — Frau v. Kalb aus Weimar, jetzt in Berlin — bittet mich um deine Sichtbarkeit, wenn Berlin den Merkurs Durchgang durch dich nimmt. Sie war eine innige15 Freundin Herders, Goethe’s, Schillers ꝛc.; ihr Aeußeres verſchließt mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeiſt. Sie hat mehr auf meine Bildung eingegriffen als alle übrigen Weiber zuſammen. Ihren Karakter ſchildert man zum Theil mit dem Worte, daß ſie mit unendlicher Tiefe jeden Karakter eben ſchildern kann.20
d. 4. Mai.
Geſtern war Fichte bei mir und bei uns. Er will gern alles thun und machen — z. B. den halben Weg —, um dir irgendwo anders als auf dem dünnen Papier zu begegnen. Er hofft wirklich, dich münd- lich in ſeine Meinung herüber zu ziehen; was ich aber nicht fürchte.25 Er will dir klar machen — da ihn bisher niemand verſtanden, nicht einmal du — wie Spinoza u. a. ſtets mit einer Disjunkzion anfingen, folglich nie den Übergang erphiloſophieren konnten — wie der Philoſoph das Unbegreifliche begreifen 〈Unbegränzte be- gränzen〉 müſſe, obwol als ein ſolches, aus dem aber das begreif-30 liche 〈Begränzte〉 a, b, c ſich ableite — Immer iſt ihm Wiſſen = Ich. Er achtet und lieſet wenig, du müßteſt denn einen Anhang dazu geſchrieben haben. Er ſehnt ſich ſehr nach dir, du wirſt ihn ver- ſtehen, nur er dich nicht. Niemand hat ſich tiefer und ſchärfer in Einſeitigkeit hinein gehölt und gegraben als er. Wo ich gegen ſeine35 Feinde ſpreche — oder da, wo ich ſeine Ideen in meine freundlich kleide und faſſe: hat niemand mehr Recht als ich; — ſonſt nie. Auf
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Gott danken wirſt, ſeßhaft zu ſein und Einen Menſchen weniger ge-
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anderes, leichteres Leben ſein ſoll, als auf der mörderiſchen Reiſe,
die der Teufel hole.“ Ich unterſchreibe, deinen Fluch ausgenommen, 5
alles, was du da eben ſagteſt. Ja, mein Heinrich, ich werde, ich muß
nach München reiſen, um meinen Herder wie auferſtanden wieder
zu finden und einen Spinoza dazu.
Und doch gäb’ ich jeden unſerer künftigen Abende — den erſten
und letzten ausgenommen — für jenen hin, wo ich dich mit Fichte 10
zuſammen ſehen könnte, euch redliche ſcharfe Schatzgräber der
Wahrheit, die ſich halb im Himmel, halb in der Erde verbirgt. —
Eine alte Freundin von mir — Frau v. Kalb aus Weimar, jetzt
in Berlin — bittet mich um deine Sichtbarkeit, wenn Berlin den
Merkurs Durchgang durch dich nimmt. Sie war eine innige 15
Freundin Herders, Goethe’s, Schillers ꝛc.; ihr Aeußeres verſchließt
mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeiſt. Sie hat mehr auf
meine Bildung eingegriffen als alle übrigen Weiber zuſammen.
Ihren Karakter ſchildert man zum Theil mit dem Worte, daß ſie
mit unendlicher Tiefe jeden Karakter eben ſchildern kann. 20
d. 4. Mai.
Geſtern war Fichte bei mir und bei uns. Er will gern alles thun und
machen — z. B. den halben Weg —, um dir irgendwo anders als
auf dem dünnen Papier zu begegnen. Er hofft wirklich, dich münd-
lich in ſeine Meinung herüber zu ziehen; was ich aber nicht fürchte. 25
Er will dir klar machen — da ihn bisher niemand verſtanden,
nicht einmal du — wie Spinoza u. a. ſtets mit einer Disjunkzion
anfingen, folglich nie den Übergang erphiloſophieren konnten —
wie der Philoſoph das Unbegreifliche begreifen 〈Unbegränzte be-
gränzen〉 müſſe, obwol als ein ſolches, aus dem aber das begreif- 30
liche 〈Begränzte〉 a, b, c ſich ableite — Immer iſt ihm Wiſſen =
Ich. Er achtet und lieſet wenig, du müßteſt denn einen Anhang dazu
geſchrieben haben. Er ſehnt ſich ſehr nach dir, du wirſt ihn ver-
ſtehen, nur er dich nicht. Niemand hat ſich tiefer und ſchärfer in
Einſeitigkeit hinein gehölt und gegraben als er. Wo ich gegen ſeine 35
Feinde ſpreche — oder da, wo ich ſeine Ideen in meine freundlich
kleide und faſſe: hat niemand mehr Recht als ich; — ſonſt nie. Auf
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/53>, abgerufen am 16.02.2025.
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