das geträumte wiederfahren soll, das er mir schuld gibt. Erstlich in der "Note" meint' ich nicht Sie -- denn ich lernte Sie erst bei dem Ver- fassen der dritten Abtheilung kennen -- nicht irgend einen Einzelnen, sondern ein ganzes jetziges Volk, das gleich der Dohle zugleich stiehlt und schimpft.5
Mein Lob in der Vorrede meint es sehr ernsthaft, wiewol die Fülle der Materie keine runde Bestimmung erlaubte. Den Tadel würd' ich mündlich noch stärker ausdrücken als gedruckt; indeß sind nur die Aphorismen, nicht die vortreffliche Organonomie gemeint, noch weniger Ihre Aurorens Musenpferde in der Aurora. Die leere10 Weite der jetzigen Aesthetik verdirbt Dichter und Philosophen zu- gleich.
Ihr Beispiel, von der Welt der Anziehungskraft herge- nommen, paßt so wenig, als wenn Sie es von der Weite der Farbe genommen hätten, welche gleichfalls alle Körper (außer das Licht)15 überzieht.
Ihren reichen Geist wird man so lange verkennen, als er in der Wahl der Leiber, worin er Mensch wird, zu eigensinnig ist. Dazu rechne ich zuerst die einförmige Jamben- oder auch Trochäen- Skansion -- dann das Bilder-Erstürmen, das ganze Bilder wieder20 zu Farben größerer macht. Warum sperren Sie denn so romantisch- schillernde Flügel wie Ihre in die Eisgrube der Transßendenz? Warum machen Sie Ihrem poetischen Herzen nicht Luft und Aether? Ich meine, warum geben Sie -- anstatt das philosophische Lehr- gebäude auf den Musenberg zu setzen, und wieder aus dieser Bergart25 jenes zu mauern -- nicht lieber beiden Größen geschiedene Plätze?
Diese Fragen thut nur die Liebe und die Achtung. Es geh' Ihnen wol!
J. P. F. Richter30
87. An Emanuel.
[Bayreuth, 27. März 1805]
Guten Morgen! Hier ists noch unaufgemacht und mit den Zinsen. Ich komme zu Ihnen heute nach der Rumforder-Session, um Sie zu fragen wo das Zeitungskomtoir ist.35
das geträumte wiederfahren ſoll, das er mir ſchuld gibt. Erſtlich in der „Note“ meint’ ich nicht Sie — denn ich lernte Sie erſt bei dem Ver- faſſen der dritten Abtheilung kennen — nicht irgend einen Einzelnen, ſondern ein ganzes jetziges Volk, das gleich der Dohle zugleich ſtiehlt und ſchimpft.5
Mein Lob in der Vorrede meint es ſehr ernſthaft, wiewol die Fülle der Materie keine runde Beſtimmung erlaubte. Den Tadel würd’ ich mündlich noch ſtärker ausdrücken als gedruckt; indeß ſind nur die Aphoriſmen, nicht die vortreffliche Organonomie gemeint, noch weniger Ihre Aurorens Muſenpferde in der Aurora. Die leere10 Weite der jetzigen Aeſthetik verdirbt Dichter und Philoſophen zu- gleich.
Ihr Beiſpiel, von der Welt der Anziehungskraft herge- nommen, paßt ſo wenig, als wenn Sie es von der Weite der Farbe genommen hätten, welche gleichfalls alle Körper (außer das Licht)15 überzieht.
Ihren reichen Geiſt wird man ſo lange verkennen, als er in der Wahl der Leiber, worin er Menſch wird, zu eigenſinnig iſt. Dazu rechne ich zuerſt die einförmige Jamben- oder auch Trochäen- Skanſion — dann das Bilder-Erſtürmen, das ganze Bilder wieder20 zu Farben größerer macht. Warum ſperren Sie denn ſo romantiſch- ſchillernde Flügel wie Ihre in die Eisgrube der Transſzendenz? Warum machen Sie Ihrem poetiſchen Herzen nicht Luft und Aether? Ich meine, warum geben Sie — anſtatt das philoſophiſche Lehr- gebäude auf den Muſenberg zu ſetzen, und wieder aus dieſer Bergart25 jenes zu mauern — nicht lieber beiden Größen geſchiedene Plätze?
Dieſe Fragen thut nur die Liebe und die Achtung. Es geh’ Ihnen wol!
J. P. F. Richter30
87. An Emanuel.
[Bayreuth, 27. März 1805]
Guten Morgen! Hier iſts noch unaufgemacht und mit den Zinſen. Ich komme zu Ihnen heute nach der Rumforder-Seſſion, um Sie zu fragen wo das Zeitungskomtoir iſt.35
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das geträumte wiederfahren ſoll, das er mir ſchuld gibt. Erſtlich in der
„Note“ meint’ ich nicht Sie — denn ich lernte Sie erſt bei dem Ver-
faſſen der dritten Abtheilung kennen — nicht irgend einen Einzelnen,
ſondern ein ganzes jetziges Volk, das gleich der Dohle zugleich
ſtiehlt und ſchimpft. 5
Mein Lob in der Vorrede meint es ſehr ernſthaft, wiewol die
Fülle der Materie keine runde Beſtimmung erlaubte. Den Tadel
würd’ ich mündlich noch ſtärker ausdrücken als gedruckt; indeß ſind
nur die Aphoriſmen, nicht die vortreffliche Organonomie gemeint,
noch weniger Ihre Aurorens Muſenpferde in der Aurora. Die leere 10
Weite der jetzigen Aeſthetik verdirbt Dichter und Philoſophen zu-
gleich.
Ihr Beiſpiel, von der Welt der Anziehungskraft herge-
nommen, paßt ſo wenig, als wenn Sie es von der Weite der Farbe
genommen hätten, welche gleichfalls alle Körper (außer das Licht) 15
überzieht.
Ihren reichen Geiſt wird man ſo lange verkennen, als er in der
Wahl der Leiber, worin er Menſch wird, zu eigenſinnig iſt. Dazu
rechne ich zuerſt die einförmige Jamben- oder auch Trochäen-
Skanſion — dann das Bilder-Erſtürmen, das ganze Bilder wieder 20
zu Farben größerer macht. Warum ſperren Sie denn ſo romantiſch-
ſchillernde Flügel wie Ihre in die Eisgrube der Transſzendenz?
Warum machen Sie Ihrem poetiſchen Herzen nicht Luft und Aether?
Ich meine, warum geben Sie — anſtatt das philoſophiſche Lehr-
gebäude auf den Muſenberg zu ſetzen, und wieder aus dieſer Bergart 25
jenes zu mauern — nicht lieber beiden Größen geſchiedene
Plätze?
Dieſe Fragen thut nur die Liebe und die Achtung. Es geh’ Ihnen
wol!
J. P. F. Richter 30
87. An Emanuel.
[Bayreuth, 27. März 1805]
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/43>, abgerufen am 16.02.2025.
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