Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

Bild:
<< vorherige Seite


Wort hab' ich ausgestrichen -- ausgenommen 2 Schreibfehler-
buchstaben, Dividente und Caracter --; erstlich gabst du mir kein
Recht dazu, zu Schnitten die oft ja ins organische Leben zu tief
eingreifen; zweitens ists die Frage, ob man für die Deutschen zu
weitläuftig (zu kurz wol) sein kann. Jeden einzelnen Satz drückst du5
auch meistens mit der höchsten Kürze aus; nur -- dieß ist dein
Fehler -- bringst du ihn, so wie er dir immer heller wird, immer
mit den neuen Helligkeiten wieder vor, oft mehrmals. Jedem aber
muß es so gehen, der es weniger geschickt macht als ich, der ich ins
Schmierbuch alle möglichen Entwicklungen vorher hinwerfe und10
dann ruhig die beste auslese oder zusammenpresse, um daran wieder
Welt und Nachwelt zu entwickeln, oder eigentlich (um bescheidener
zu sein) blos zu belehren.

-- Im Winter hätt' ich oft gewünscht, du wärest mir auf der
Gasse oder in der Harmonie aufgestoßen; du hättest dann auf meiner15
linken Achsel mein festbleibendes Eichhörnchen gesehen, das nicht
beißt und nicht pißt (denn letzteres thuts jeden Morgen um 6 Uhr).
Gleichwol halt' ichs jetzt für gewagt, daß ich das Thier, da ich
bei Dobernek einen Sohn aus der Taufe hob, in der Tasche hatte,
in die ich während der Taufrede mehrmals greifen mußte, um es mit20
dem Schnupftuch einzubauen niederzuhalten; denn während ich
meinen armen leider seeligen Pathen in den Armen hielt, hätt'
ich durchaus nichts machen können, wenn das Thier herauf auf meine
Achsel gekrochen wäre, vielleicht zur allgemeinen Stöhrung des
Taufaktus und Ernstes. In einem Sack an meinem Kanapee schläft25
das Hörnchen. --

Meine Friedenspredigt (mit unzähligen Druckfehlern) sagt dir
einige Bekehrungen in mir von Buchholz. Und doch hat mich die
Zensur wenn nicht entmannt verschnitten, doch beschnitten zwei-
mal. Es ist jetzt eine verdammte Zeit für einen, der über sie lachen30
will. "Die Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne" absolvierte
der Zensor des Morgenblatts nicht; doch kommt sie jetzt mit des
Feldpredigers Attila Schmelzle Reise nach Flätz heraus, vielleicht
mein ausgearbeite[t]ster regelrichti[g]ster Spaß ohne die geringste
Ausschweifung oder Selbsteinmischung; man müßte denn -- und35
man hätte Recht -- die unten auf jeder Seite stehenden Noten
(bloße Einfälle ohne allen Text-Bezug) dafür halten wollen.


Wort hab’ ich ausgeſtrichen — ausgenommen 2 Schreibfehler-
buchſtaben, Dividente und Caracter —; erſtlich gabſt du mir kein
Recht dazu, zu Schnitten die oft ja ins organiſche Leben zu tief
eingreifen; zweitens iſts die Frage, ob man für die Deutſchen zu
weitläuftig (zu kurz wol) ſein kann. Jeden einzelnen Satz drückſt du5
auch meiſtens mit der höchſten Kürze aus; nur — dieß iſt dein
Fehler — bringſt du ihn, ſo wie er dir immer heller wird, immer
mit den neuen Helligkeiten wieder vor, oft mehrmals. Jedem aber
muß es ſo gehen, der es weniger geſchickt macht als ich, der ich ins
Schmierbuch alle möglichen Entwicklungen vorher hinwerfe und10
dann ruhig die beſte ausleſe oder zuſammenpreſſe, um daran wieder
Welt und Nachwelt zu entwickeln, oder eigentlich (um beſcheidener
zu ſein) blos zu belehren.

— Im Winter hätt’ ich oft gewünſcht, du wäreſt mir auf der
Gaſſe oder in der Harmonie aufgeſtoßen; du hätteſt dann auf meiner15
linken Achſel mein feſtbleibendes Eichhörnchen geſehen, das nicht
beißt und nicht pißt (denn letzteres thuts jeden Morgen um 6 Uhr).
Gleichwol halt’ ichs jetzt für gewagt, daß ich das Thier, da ich
bei Dobernek einen Sohn aus der Taufe hob, in der Taſche hatte,
in die ich während der Taufrede mehrmals greifen mußte, um es mit20
dem Schnupftuch einzubauen 〈niederzuhalten〉; denn während ich
meinen armen leider ſeeligen Pathen in den Armen hielt, hätt’
ich durchaus nichts machen können, wenn das Thier herauf auf meine
Achſel gekrochen wäre, vielleicht zur allgemeinen Stöhrung des
Taufaktus und Ernſtes. In einem Sack an meinem Kanapee ſchläft25
das Hörnchen. —

Meine Friedenspredigt (mit unzähligen Druckfehlern) ſagt dir
einige Bekehrungen in mir von Buchholz. Und doch hat mich die
Zenſur wenn nicht entmannt 〈verſchnitten〉, doch beſchnitten zwei-
mal. Es iſt jetzt eine verdammte Zeit für einen, der über ſie lachen30
will. „Die Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne“ abſolvierte
der Zenſor des Morgenblatts nicht; doch kommt ſie jetzt mit des
Feldpredigers Attila Schmelzle Reiſe nach Flätz heraus, vielleicht
mein ausgearbeite[t]ſter regelrichti[g]ſter Spaß ohne die geringſte
Ausſchweifung oder Selbſteinmiſchung; man müßte denn — und35
man hätte Recht — die unten auf jeder Seite ſtehenden Noten
(bloße Einfälle ohne allen Text-Bezug) dafür halten wollen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="217"/><lb/>
Wort hab&#x2019; ich ausge&#x017F;trichen &#x2014; ausgenommen 2 Schreibfehler-<lb/>
buch&#x017F;taben, Dividente und <hi rendition="#aq">Caracter</hi> &#x2014;; er&#x017F;tlich gab&#x017F;t du mir kein<lb/>
Recht dazu, zu Schnitten die oft ja ins organi&#x017F;che Leben zu tief<lb/>
eingreifen; zweitens i&#x017F;ts die Frage, ob man für die Deut&#x017F;chen zu<lb/>
weitläuftig (zu kurz wol) &#x017F;ein kann. Jeden einzelnen Satz drück&#x017F;t du<lb n="5"/>
auch mei&#x017F;tens mit der <hi rendition="#g">höch&#x017F;ten</hi> Kürze aus; nur &#x2014; dieß i&#x017F;t dein<lb/>
Fehler &#x2014; bring&#x017F;t du ihn, &#x017F;o wie er dir immer heller wird, immer<lb/>
mit den neuen Helligkeiten wieder vor, oft mehrmals. Jedem aber<lb/>
muß es &#x017F;o gehen, der es weniger ge&#x017F;chickt macht als ich, der ich ins<lb/>
Schmierbuch alle möglichen Entwicklungen vorher hinwerfe und<lb n="10"/>
dann ruhig die be&#x017F;te ausle&#x017F;e oder zu&#x017F;ammenpre&#x017F;&#x017F;e, um daran wieder<lb/>
Welt und Nachwelt zu entwickeln, oder eigentlich (um be&#x017F;cheidener<lb/>
zu &#x017F;ein) blos zu belehren.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Im Winter hätt&#x2019; ich oft gewün&#x017F;cht, du wäre&#x017F;t mir auf der<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;e oder in der <hi rendition="#aq">Harmonie</hi> aufge&#x017F;toßen; du hätte&#x017F;t dann auf meiner<lb n="15"/>
linken Ach&#x017F;el mein fe&#x017F;tbleibendes Eichhörnchen ge&#x017F;ehen, das nicht<lb/>
beißt und nicht pißt (denn letzteres thuts jeden Morgen um 6 Uhr).<lb/>
Gleichwol halt&#x2019; ichs jetzt für gewagt, daß ich das Thier, da ich<lb/>
bei <hi rendition="#aq">Dobernek</hi> einen Sohn aus der Taufe hob, in der Ta&#x017F;che hatte,<lb/>
in die ich während der Taufrede mehrmals greifen mußte, um es mit<lb n="20"/>
dem Schnupftuch einzubauen &#x2329;niederzuhalten&#x232A;; denn während ich<lb/>
meinen armen leider &#x017F;eeligen Pathen in den Armen hielt, hätt&#x2019;<lb/>
ich durchaus nichts machen können, wenn das Thier herauf auf meine<lb/>
Ach&#x017F;el gekrochen wäre, vielleicht zur allgemeinen Stöhrung des<lb/>
Taufaktus und Ern&#x017F;tes. In einem Sack an meinem Kanapee &#x017F;chläft<lb n="25"/>
das Hörnchen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Meine Friedenspredigt (mit unzähligen Druckfehlern) &#x017F;agt dir<lb/>
einige Bekehrungen in mir von <hi rendition="#aq">Buchholz.</hi> Und doch hat mich die<lb/>
Zen&#x017F;ur wenn nicht entmannt &#x2329;ver&#x017F;chnitten&#x232A;, doch be&#x017F;chnitten zwei-<lb/>
mal. Es i&#x017F;t jetzt eine verdammte Zeit für einen, der über &#x017F;ie lachen<lb n="30"/>
will. &#x201E;Die Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne&#x201C; ab&#x017F;olvierte<lb/>
der Zen&#x017F;or des Morgenblatts nicht; doch kommt &#x017F;ie jetzt mit des<lb/>
Feldpredigers <hi rendition="#aq">Attila Schmelzle</hi> Rei&#x017F;e nach <hi rendition="#aq">Flätz</hi> heraus, vielleicht<lb/>
mein ausgearbeite[t]&#x017F;ter regelrichti[g]&#x017F;ter Spaß ohne die gering&#x017F;te<lb/>
Aus&#x017F;chweifung oder Selb&#x017F;teinmi&#x017F;chung; man müßte denn &#x2014; und<lb n="35"/>
man hätte Recht &#x2014; die unten auf <hi rendition="#g">jeder</hi> Seite &#x017F;tehenden Noten<lb/>
(bloße Einfälle ohne allen Text-Bezug) dafür halten wollen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0233] Wort hab’ ich ausgeſtrichen — ausgenommen 2 Schreibfehler- buchſtaben, Dividente und Caracter —; erſtlich gabſt du mir kein Recht dazu, zu Schnitten die oft ja ins organiſche Leben zu tief eingreifen; zweitens iſts die Frage, ob man für die Deutſchen zu weitläuftig (zu kurz wol) ſein kann. Jeden einzelnen Satz drückſt du 5 auch meiſtens mit der höchſten Kürze aus; nur — dieß iſt dein Fehler — bringſt du ihn, ſo wie er dir immer heller wird, immer mit den neuen Helligkeiten wieder vor, oft mehrmals. Jedem aber muß es ſo gehen, der es weniger geſchickt macht als ich, der ich ins Schmierbuch alle möglichen Entwicklungen vorher hinwerfe und 10 dann ruhig die beſte ausleſe oder zuſammenpreſſe, um daran wieder Welt und Nachwelt zu entwickeln, oder eigentlich (um beſcheidener zu ſein) blos zu belehren. — Im Winter hätt’ ich oft gewünſcht, du wäreſt mir auf der Gaſſe oder in der Harmonie aufgeſtoßen; du hätteſt dann auf meiner 15 linken Achſel mein feſtbleibendes Eichhörnchen geſehen, das nicht beißt und nicht pißt (denn letzteres thuts jeden Morgen um 6 Uhr). Gleichwol halt’ ichs jetzt für gewagt, daß ich das Thier, da ich bei Dobernek einen Sohn aus der Taufe hob, in der Taſche hatte, in die ich während der Taufrede mehrmals greifen mußte, um es mit 20 dem Schnupftuch einzubauen 〈niederzuhalten〉; denn während ich meinen armen leider ſeeligen Pathen in den Armen hielt, hätt’ ich durchaus nichts machen können, wenn das Thier herauf auf meine Achſel gekrochen wäre, vielleicht zur allgemeinen Stöhrung des Taufaktus und Ernſtes. In einem Sack an meinem Kanapee ſchläft 25 das Hörnchen. — Meine Friedenspredigt (mit unzähligen Druckfehlern) ſagt dir einige Bekehrungen in mir von Buchholz. Und doch hat mich die Zenſur wenn nicht entmannt 〈verſchnitten〉, doch beſchnitten zwei- mal. Es iſt jetzt eine verdammte Zeit für einen, der über ſie lachen 30 will. „Die Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne“ abſolvierte der Zenſor des Morgenblatts nicht; doch kommt ſie jetzt mit des Feldpredigers Attila Schmelzle Reiſe nach Flätz heraus, vielleicht mein ausgearbeite[t]ſter regelrichti[g]ſter Spaß ohne die geringſte Ausſchweifung oder Selbſteinmiſchung; man müßte denn — und 35 man hätte Recht — die unten auf jeder Seite ſtehenden Noten (bloße Einfälle ohne allen Text-Bezug) dafür halten wollen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/233
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/233>, abgerufen am 27.11.2024.