Ich werde täglich gesünder -- gesund bin ich ohnehin -- aber auch dümmer; *) vielleicht eben darum. Ich spüre in mir mehr das Gebähren als Erzeugen. Himmel, wie liebt' ich sonst nicht meine Sachen, ehe kaum das Streusandfaß darüber gekommen war! Jetzt muß die Presse erst ihnen einigen Glanz aufdrücken aufplätten5 bei mir. So war ich z. B. in Angst über meine Levana; -- und doch hör' ich, will sie mancher loben. Ich weiß nicht, was du thust; aber (dieß ist mein Schreib-Jammer) erst jetzt thu' ichs auch. -- -- Ich bitte ernstlich um deine mir so starke reiche Meinung.
Vor einem Monate steckte ich ganz im organischen Magnetismus10 von Wienholt, der drei redliche Bände davon geschrieben. Ich bin -- und zwar schon seit Gmelin -- dafür; ich sag' es aber hier nur, um zu fragen, ob er dir nicht wenigstens so viel Marter-Reitze wegspielen könnte, daß du wenn nicht deinen Allwill endigtest, doch deine Jupiters Kette gegen die Nihilisten. Wenn das Schicksal15 dich, mit deiner Seh-Kraft und Fühl-Kraft zugleich, nicht schöner stellen konnte als gerade in unsere Zeit hinein, wo die Spekulazion mit Höhen nach Höhen (nur warens keine dichten Berge) den Riesensturm gegen den Himmel unternahm: so dauert es mich desto mehr, daß deine körperliche Lage deine geistige Stellung nicht20 begünstigt. Gibt es denn gar keinen Wahrheits-Freund, der dich bestiehlt, alles notiert, numeriert, ordnet und am Ende sich einbildet: er habe das Meiste errathen? -- Ich bin überzeugt, daß du in Ge- sprächen gerade die Kraft verschwendest, die du den Büchern auf- sparst, aber aus Körper-Angst und Druck nicht zu geben hoffest;25 und du wirst philosophisch so bestohlen von Zuhörern wie Herder und Goethe artistisch. --
d. 30. M[ärz]
Was ich dir über Fichte schreiben wollen, hab' ich zum Glück für deine Weile rein vergessen. Nur dieß weiß ich noch, daß mir30 das Buch über den Gelehrten am kahlesten und das über das seelige Leben am besten vorgekommen. Wie er aber mit seinem rohen Idealismus -- der den Begriff zu Gott dem Vater macht --
*) Mir fehlt zu 90 Jahren und 90 Oktavbänden, die ich darin mache, nichts als Wachsthum der Weinfässer. Mit dem Heidelberger wollt' ich jeden überleben und35 überschreiben.
Ich werde täglich geſünder — geſund bin ich ohnehin — aber auch dümmer; *) vielleicht eben darum. Ich ſpüre in mir mehr das Gebähren als Erzeugen. Himmel, wie liebt’ ich ſonſt nicht meine Sachen, ehe kaum das Streuſandfaß darüber gekommen war! Jetzt muß die Preſſe erſt ihnen einigen Glanz aufdrücken 〈aufplätten〉5 bei mir. So war ich z. B. in Angſt über meine Levana; — und doch hör’ ich, will ſie mancher loben. Ich weiß nicht, was du thuſt; aber (dieß iſt mein Schreib-Jammer) erſt jetzt thu’ ichs auch. — — Ich bitte ernſtlich um deine mir ſo ſtarke reiche Meinung.
Vor einem Monate ſteckte ich ganz im organiſchen Magnetiſmus10 von Wienholt, der drei redliche Bände davon geſchrieben. Ich bin — und zwar ſchon ſeit Gmelin — dafür; ich ſag’ es aber hier nur, um zu fragen, ob er dir nicht wenigſtens ſo viel Marter-Reitze wegſpielen könnte, daß du wenn nicht deinen Allwill endigteſt, doch deine Jupiters Kette gegen die Nihiliſten. Wenn das Schickſal15 dich, mit deiner Seh-Kraft und Fühl-Kraft zugleich, nicht ſchöner ſtellen konnte als gerade in unſere Zeit hinein, wo die Spekulazion mit Höhen nach Höhen (nur warens keine dichten Berge) den Rieſenſturm gegen den Himmel unternahm: ſo dauert es mich deſto mehr, daß deine körperliche Lage deine geiſtige Stellung nicht20 begünſtigt. Gibt es denn gar keinen Wahrheits-Freund, der dich beſtiehlt, alles notiert, numeriert, ordnet und am Ende ſich einbildet: er habe das Meiſte errathen? — Ich bin überzeugt, daß du in Ge- ſprächen gerade die Kraft verſchwendeſt, die du den Büchern auf- ſparſt, aber aus Körper-Angſt und Druck nicht zu geben hoffeſt;25 und du wirſt philoſophiſch ſo beſtohlen von Zuhörern wie Herder und Goethe artiſtiſch. —
d. 30. M[ärz]
Was ich dir über Fichte ſchreiben wollen, hab’ ich zum Glück für deine Weile rein vergeſſen. Nur dieß weiß ich noch, daß mir30 das Buch über den Gelehrten am kahleſten und das über das ſeelige Leben am beſten vorgekommen. Wie er aber mit ſeinem rohen Idealiſmus — der den Begriff zu Gott dem Vater macht —
*) Mir fehlt zu 90 Jahren und 90 Oktavbänden, die ich darin mache, nichts als Wachsthum der Weinfäſſer. Mit dem Heidelberger wollt’ ich jeden überleben und35 überſchreiben.
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hör’ ich, will ſie mancher loben. Ich weiß nicht, was du thuſt; aber
(dieß iſt mein Schreib-Jammer) erſt jetzt thu’ ichs auch. — — Ich
bitte ernſtlich um deine mir ſo ſtarke reiche Meinung.
Vor einem Monate ſteckte ich ganz im organiſchen Magnetiſmus 10
von Wienholt, der drei redliche Bände davon geſchrieben. Ich bin
— und zwar ſchon ſeit Gmelin — dafür; ich ſag’ es aber hier nur,
um zu fragen, ob er dir nicht wenigſtens ſo viel Marter-Reitze
wegſpielen könnte, daß du wenn nicht deinen Allwill endigteſt, doch
deine Jupiters Kette gegen die Nihiliſten. Wenn das Schickſal 15
dich, mit deiner Seh-Kraft und Fühl-Kraft zugleich, nicht ſchöner
ſtellen konnte als gerade in unſere Zeit hinein, wo die Spekulazion
mit Höhen nach Höhen (nur warens keine dichten Berge) den
Rieſenſturm gegen den Himmel unternahm: ſo dauert es mich
deſto mehr, daß deine körperliche Lage deine geiſtige Stellung nicht 20
begünſtigt. Gibt es denn gar keinen Wahrheits-Freund, der dich
beſtiehlt, alles notiert, numeriert, ordnet und am Ende ſich einbildet:
er habe das Meiſte errathen? — Ich bin überzeugt, daß du in Ge-
ſprächen gerade die Kraft verſchwendeſt, die du den Büchern auf-
ſparſt, aber aus Körper-Angſt und Druck nicht zu geben hoffeſt; 25
und du wirſt philoſophiſch ſo beſtohlen von Zuhörern wie Herder
und Goethe artiſtiſch. —
d. 30. M[ärz]
Was ich dir über Fichte ſchreiben wollen, hab’ ich zum Glück für
deine Weile rein vergeſſen. Nur dieß weiß ich noch, daß mir 30
das Buch über den Gelehrten am kahleſten und das über das
ſeelige Leben am beſten vorgekommen. Wie er aber mit ſeinem
rohen Idealiſmus — der den Begriff zu Gott dem Vater macht —
*) Mir fehlt zu 90 Jahren und 90 Oktavbänden, die ich darin mache, nichts als
Wachsthum der Weinfäſſer. Mit dem Heidelberger wollt’ ich jeden überleben und 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/154>, abgerufen am 17.02.2025.
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