Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite

bis die Möglichkeit des Einspruchs weggenommen ist. Für Romanen-
schreiber ist ein solches Gesez nicht überflüssig.

Die Verlobung der Gräfin Schlabrendorff, die ich hier sehr achten
lernte, ist ohne ihre Schuld zerrissen und sie jezt in Leipzig, künftig
in Meinungen.5

[70] Die kleine Bek heirathet ein wenig zu bald nach dem ersten Abendmal.

Die Maria Stuart gefiel hier nicht so, wie man Ihnen geschrieben,
ob man ihr gleich ein Halstuch umgethan und das Schlimste weg-
gelassen.

Die russische Gesandtin v. Krüdner, die oft bei mir ist wie ich bei10
ihr, komt im Frühling nach Weimar, blos um unsern Herder zu
sehen. -- Bringen Sie dem Dichter des Aeons den Grus des wärmsten
Herzens und allen lieben Seelen um Sie. Leben Sie froh!

Richter

Büri legt Herzens-Grüsse bei. Sein Portrait der russischen Fürstin15
übertrift schon nach der poetischen Anordnung alle seine, wie er selber
sagt. Die 2te Auflage des Fixleins samt dem Titan und noch einem
Werklein bring' ich Ihnen selber.

112. An Jacobi.
20

Geliebter Bruder! Ich schweige über dein Schweigen auf meinen
Jenner-Brief, da ich leider in der wilden Zeit so viele Fäuste sehe, die
dir keine Feder lassen. Mögest du nicht zu traurig sein und möge der
Frühling dich an seiner blumigen Brust ausheilen!

Endlich bekam ich Reinholds 1ten Beitrag von Fichte selber, der mir25
gestand, R. stehe jezt höher als je. Die Heavtogonie und vorn die
Geschichte find' ich herlich und fast alles. Fichte, der gegen ihn schreiben
wil, bleibt dabei, "das Denken als Denken" sei seine "intellektuelle
Anschauung." Ich bin über Bardili's Epitomator froh. Aber aus dem
reinen Denken weis ich nicht was damit oder daran für ein Urding30
herausgedacht werden sol; etwas noch höheres ist das verhülte Ding
"die Überzeugung"*), die ja darüber oder darin richtet und die so

*) Denn es ist die Frage, ob je ein Mensch von einem Irthum überzeugt ge-
wesen; von den wahren Ingredienzien desselben war ers nur; man solte nur auf
das leise Gewissen der Überzeugung recht hören. Es verdamt viel früher als jeder35
Syllogismus.

bis die Möglichkeit des Einſpruchs weggenommen iſt. Für Romanen-
ſchreiber iſt ein ſolches Geſez nicht überflüſſig.

Die Verlobung der Gräfin Schlabrendorff, die ich hier ſehr achten
lernte, iſt ohne ihre Schuld zerriſſen und ſie jezt in Leipzig, künftig
in Meinungen.5

[70] Die kleine Bek heirathet ein wenig zu bald nach dem erſten Abendmal.

Die Maria Stuart gefiel hier nicht ſo, wie man Ihnen geſchrieben,
ob man ihr gleich ein Halstuch umgethan und das Schlimſte weg-
gelaſſen.

Die ruſſiſche Geſandtin v. Krüdner, die oft bei mir iſt wie ich bei10
ihr, komt im Frühling nach Weimar, blos um unſern Herder zu
ſehen. — Bringen Sie dem Dichter des Aeons den Grus des wärmſten
Herzens und allen lieben Seelen um Sie. Leben Sie froh!

Richter

Büri legt Herzens-Grüſſe bei. Sein Portrait der ruſſiſchen Fürſtin15
übertrift ſchon nach der poetiſchen Anordnung alle ſeine, wie er ſelber
ſagt. Die 2te Auflage des Fixleins ſamt dem Titan und noch einem
Werklein bring’ ich Ihnen ſelber.

112. An Jacobi.
20

Geliebter Bruder! Ich ſchweige über dein Schweigen auf meinen
Jenner-Brief, da ich leider in der wilden Zeit ſo viele Fäuſte ſehe, die
dir keine Feder laſſen. Mögeſt du nicht zu traurig ſein und möge der
Frühling dich an ſeiner blumigen Bruſt ausheilen!

Endlich bekam ich Reinholds 1ten Beitrag von Fichte ſelber, der mir25
geſtand, R. ſtehe jezt höher als je. Die Heavtogonie und vorn die
Geſchichte find’ ich herlich und faſt alles. Fichte, der gegen ihn ſchreiben
wil, bleibt dabei, „das Denken als Denken“ ſei ſeine „intellektuelle
Anſchauung.“ Ich bin über Bardili’s Epitomator froh. Aber aus dem
reinen Denken weis ich nicht was damit oder daran für ein Urding30
herausgedacht werden ſol; etwas noch höheres iſt das verhülte Ding
„die Überzeugung“*), die ja darüber oder darin richtet und die ſo

*) Denn es iſt die Frage, ob je ein Menſch von einem Irthum überzeugt ge-
weſen; von den wahren Ingredienzien deſſelben war ers nur; man ſolte nur auf
das leiſe Gewiſſen der Überzeugung recht hören. Es verdamt viel früher als jeder35
Syllogiſmus.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="62"/>
bis die Möglichkeit des Ein&#x017F;pruchs weggenommen i&#x017F;t. Für Romanen-<lb/>
&#x017F;chreiber i&#x017F;t ein &#x017F;olches Ge&#x017F;ez nicht überflü&#x017F;&#x017F;ig.</p><lb/>
        <p>Die Verlobung der Gräfin <hi rendition="#aq">Schlabrendorff,</hi> die ich hier &#x017F;ehr achten<lb/>
lernte, i&#x017F;t <hi rendition="#g">ohne ihre Schuld</hi> zerri&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ie jezt in Leipzig, künftig<lb/>
in Meinungen.<lb n="5"/>
</p>
        <p><note place="left"><ref target="1922_Bd4_70">[70]</ref></note> Die kleine <hi rendition="#aq">Bek</hi> heirathet ein wenig zu bald nach dem er&#x017F;ten Abendmal.</p><lb/>
        <p>Die Maria Stuart gefiel hier nicht &#x017F;o, wie man Ihnen ge&#x017F;chrieben,<lb/>
ob man ihr gleich ein Halstuch umgethan und das Schlim&#x017F;te weg-<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;andtin <hi rendition="#aq">v. Krüdner,</hi> die oft bei mir i&#x017F;t wie ich bei<lb n="10"/>
ihr, komt im Frühling nach <hi rendition="#aq">Weimar,</hi> blos um un&#x017F;ern <hi rendition="#aq">Herder</hi> zu<lb/>
&#x017F;ehen. &#x2014; Bringen Sie dem Dichter des Aeons den Grus des wärm&#x017F;ten<lb/>
Herzens und allen lieben Seelen um Sie. Leben Sie froh!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute>
        </closer><lb/>
        <postscript>
          <p>Büri legt Herzens-Grü&#x017F;&#x017F;e bei. Sein Portrait der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Für&#x017F;tin<lb n="15"/>
übertrift &#x017F;chon nach der poeti&#x017F;chen Anordnung alle &#x017F;eine, wie er &#x017F;elber<lb/>
&#x017F;agt. Die 2<hi rendition="#sup">te</hi> Auflage des <hi rendition="#aq">Fixleins</hi> &#x017F;amt dem <hi rendition="#aq">Titan</hi> und noch einem<lb/>
Werklein bring&#x2019; ich Ihnen &#x017F;elber.</p>
        </postscript>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>112. An <hi rendition="#g">Jacobi.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Berlin</hi> d. 9. Apr. 1801.</hi> </dateline>
        <lb n="20"/>
        <p>Geliebter Bruder! Ich &#x017F;chweige über dein Schweigen auf meinen<lb/>
Jenner-Brief, da ich leider in der wilden Zeit &#x017F;o viele Fäu&#x017F;te &#x017F;ehe, die<lb/>
dir keine Feder la&#x017F;&#x017F;en. Möge&#x017F;t du nicht zu traurig &#x017F;ein und möge der<lb/>
Frühling dich an &#x017F;einer blumigen Bru&#x017F;t ausheilen!</p><lb/>
        <p>Endlich bekam ich Reinholds 1<hi rendition="#sup">ten</hi> Beitrag von Fichte &#x017F;elber, der mir<lb n="25"/>
ge&#x017F;tand, R. &#x017F;tehe jezt höher als je. Die Heavtogonie und vorn die<lb/>
Ge&#x017F;chichte find&#x2019; ich herlich und fa&#x017F;t alles. Fichte, der gegen ihn &#x017F;chreiben<lb/>
wil, bleibt dabei, &#x201E;das Denken als Denken&#x201C; &#x017F;ei &#x017F;eine &#x201E;intellektuelle<lb/>
An&#x017F;chauung.&#x201C; Ich bin über Bardili&#x2019;s Epitomator froh. Aber aus dem<lb/>
reinen Denken weis ich nicht was damit oder daran für ein Urding<lb n="30"/>
herausgedacht werden &#x017F;ol; etwas noch höheres i&#x017F;t das verhülte Ding<lb/>
&#x201E;die Überzeugung&#x201C;<note place="foot" n="*)">Denn es i&#x017F;t die Frage, ob je ein Men&#x017F;ch von einem Irthum überzeugt ge-<lb/>
we&#x017F;en; von den wahren Ingredienzien de&#x017F;&#x017F;elben war ers nur; man &#x017F;olte nur auf<lb/>
das lei&#x017F;e Gewi&#x017F;&#x017F;en der Überzeugung recht hören. Es verdamt viel früher als jeder<lb n="35"/>
Syllogi&#x017F;mus.</note>, die ja darüber oder darin richtet und die &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0068] bis die Möglichkeit des Einſpruchs weggenommen iſt. Für Romanen- ſchreiber iſt ein ſolches Geſez nicht überflüſſig. Die Verlobung der Gräfin Schlabrendorff, die ich hier ſehr achten lernte, iſt ohne ihre Schuld zerriſſen und ſie jezt in Leipzig, künftig in Meinungen. 5 Die kleine Bek heirathet ein wenig zu bald nach dem erſten Abendmal. [70] Die Maria Stuart gefiel hier nicht ſo, wie man Ihnen geſchrieben, ob man ihr gleich ein Halstuch umgethan und das Schlimſte weg- gelaſſen. Die ruſſiſche Geſandtin v. Krüdner, die oft bei mir iſt wie ich bei 10 ihr, komt im Frühling nach Weimar, blos um unſern Herder zu ſehen. — Bringen Sie dem Dichter des Aeons den Grus des wärmſten Herzens und allen lieben Seelen um Sie. Leben Sie froh! Richter Büri legt Herzens-Grüſſe bei. Sein Portrait der ruſſiſchen Fürſtin 15 übertrift ſchon nach der poetiſchen Anordnung alle ſeine, wie er ſelber ſagt. Die 2te Auflage des Fixleins ſamt dem Titan und noch einem Werklein bring’ ich Ihnen ſelber. 112. An Jacobi. Berlin d. 9. Apr. 1801. 20 Geliebter Bruder! Ich ſchweige über dein Schweigen auf meinen Jenner-Brief, da ich leider in der wilden Zeit ſo viele Fäuſte ſehe, die dir keine Feder laſſen. Mögeſt du nicht zu traurig ſein und möge der Frühling dich an ſeiner blumigen Bruſt ausheilen! Endlich bekam ich Reinholds 1ten Beitrag von Fichte ſelber, der mir 25 geſtand, R. ſtehe jezt höher als je. Die Heavtogonie und vorn die Geſchichte find’ ich herlich und faſt alles. Fichte, der gegen ihn ſchreiben wil, bleibt dabei, „das Denken als Denken“ ſei ſeine „intellektuelle Anſchauung.“ Ich bin über Bardili’s Epitomator froh. Aber aus dem reinen Denken weis ich nicht was damit oder daran für ein Urding 30 herausgedacht werden ſol; etwas noch höheres iſt das verhülte Ding „die Überzeugung“ *), die ja darüber oder darin richtet und die ſo *) Denn es iſt die Frage, ob je ein Menſch von einem Irthum überzeugt ge- weſen; von den wahren Ingredienzien deſſelben war ers nur; man ſolte nur auf das leiſe Gewiſſen der Überzeugung recht hören. Es verdamt viel früher als jeder 35 Syllogiſmus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/68
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/68>, abgerufen am 24.11.2024.