Es geht mir an meinem Schreibtisch wie an Ihrem Estisch -- und wie in meinen Biographien --: ich erzähle zu wenig. Ihr Haus ist vollends ein Kloster des Schweigens; blos an Büri prallen für mich5 einige holde Laute ab, die Sie ihm zusenden.
Das Wichtigste für mich, der ich bisher als ein halbierter oder gar eindrittels-Mensch herumlief, wissen Sie schon, meine Verlobung. Ich muste bisher so oft Unrecht haben, um einmal recht -- Recht zu haben. Die Namensschwester der Hildb[urghäusischen] Caroline10 hat alle Vorzüge der leztern und an der Stelle ihrer Fehler auch wieder Vorzüge, wozu man in meinem so vernünftigen Alter auch eine volendete Gesundheit zählt. Ich mag das edle Wesen gar nicht loben und malen mit verwässerten Abstrakzionen. Stat ihrer Festigkeit, Herzens-Reinheit, Schönheit pppppp. wil ich blos das Eine anführen,15 daß sie -- was bisher noch keine eine Wochelang vermochte -- nun ein ganzes Vierteljahr ohne Eine einzige dissone Stunde auskam mit -- mir.
Im Frühling bezieh' ich erst mein Hochzeithaus; ich weis aber nicht, in welcher Stadt es gebauet ist. Hier bleib' ich nicht. -- Der20 Ton hier übertrift an Unbefangenheit weit den Weimar'schen. Der Adel vermengt sich hier mit dem Bürger, nicht wie Fet mit Wasser, auf welchem dieses immer oben schwimt und äugelt, sondern sie sind innig vereinigt wie diese durch Laugensalz, woraus Saife entsteht. Gelehrte, Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was sich an25 andern Orten (Weimar ausgenommen) die Hälse bricht, fället ein- ander um diese, und lebt wenigstens freundlich an Thee- und Estischen beisammen.
d. 23 Jenn.[47]
Philosophie, Dichtkunst und Malerei finden hier nur Sand für30 ihre Wurzeln; blos die Musik findet rechte Hände und Ohren. --
Ich lebe in grossen Zerstreuungen und Arbeiten zugleich und nichts leidet dabei als meine Gesundheit und Briefstellerei.
Beiliegenden Brief von Lavater bitt' ich Sie an die Behörde zu schicken.35
Böttiger schrieb von einer Monatsschrift an Aurorens stat; giebt Herder sie uns oder irgend etwas anders? Ich bin leider durch
75. An Karoline Herder.
Berlin d. 12. Jenn. 1801.
Es geht mir an meinem Schreibtiſch wie an Ihrem Estiſch — und wie in meinen Biographien —: ich erzähle zu wenig. Ihr Haus iſt vollends ein Kloſter des Schweigens; blos an Büri prallen für mich5 einige holde Laute ab, die Sie ihm zuſenden.
Das Wichtigſte für mich, der ich bisher als ein halbierter oder gar eindrittels-Menſch herumlief, wiſſen Sie ſchon, meine Verlobung. Ich muſte bisher ſo oft Unrecht haben, um einmal recht — Recht zu haben. Die Namensſchweſter der Hildb[urghäusischen] Caroline10 hat alle Vorzüge der leztern und an der Stelle ihrer Fehler auch wieder Vorzüge, wozu man in meinem ſo vernünftigen Alter auch eine volendete Geſundheit zählt. Ich mag das edle Weſen gar nicht loben und malen mit verwäſſerten Abſtrakzionen. Stat ihrer Feſtigkeit, Herzens-Reinheit, Schönheit pppppp. wil ich blos das Eine anführen,15 daß ſie — was bisher noch keine eine Wochelang vermochte — nun ein ganzes Vierteljahr ohne Eine einzige diſſone Stunde auskam mit — mir.
Im Frühling bezieh’ ich erſt mein Hochzeithaus; ich weis aber nicht, in welcher Stadt es gebauet iſt. Hier bleib’ ich nicht. — Der20 Ton hier übertrift an Unbefangenheit weit den Weimar’schen. Der Adel vermengt ſich hier mit dem Bürger, nicht wie Fet mit Waſſer, auf welchem dieſes immer oben ſchwimt und äugelt, ſondern ſie ſind innig vereinigt wie dieſe durch Laugenſalz, woraus Saife entſteht. Gelehrte, Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was ſich an25 andern Orten (Weimar ausgenommen) die Hälſe bricht, fället ein- ander um dieſe, und lebt wenigſtens freundlich an Thee- und Estiſchen beiſammen.
d. 23 Jenn.[47]
Philoſophie, Dichtkunſt und Malerei finden hier nur Sand für30 ihre Wurzeln; blos die Muſik findet rechte Hände und Ohren. —
Ich lebe in groſſen Zerſtreuungen und Arbeiten zugleich und nichts leidet dabei als meine Geſundheit und Briefſtellerei.
Beiliegenden Brief von Lavater bitt’ ich Sie an die Behörde zu ſchicken.35
Böttiger ſchrieb von einer Monatsſchrift an Aurorens ſtat; giebt Herder ſie uns oder irgend etwas anders? Ich bin leider durch
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75. An Karoline Herder.
Berlin d. 12. Jenn. 1801.
Es geht mir an meinem Schreibtiſch wie an Ihrem Estiſch — und
wie in meinen Biographien —: ich erzähle zu wenig. Ihr Haus iſt
vollends ein Kloſter des Schweigens; blos an Büri prallen für mich 5
einige holde Laute ab, die Sie ihm zuſenden.
Das Wichtigſte für mich, der ich bisher als ein halbierter oder gar
eindrittels-Menſch herumlief, wiſſen Sie ſchon, meine Verlobung.
Ich muſte bisher ſo oft Unrecht haben, um einmal recht — Recht zu
haben. Die Namensſchweſter der Hildb[urghäusischen] Caroline 10
hat alle Vorzüge der leztern und an der Stelle ihrer Fehler auch wieder
Vorzüge, wozu man in meinem ſo vernünftigen Alter auch eine
volendete Geſundheit zählt. Ich mag das edle Weſen gar nicht loben
und malen mit verwäſſerten Abſtrakzionen. Stat ihrer Feſtigkeit,
Herzens-Reinheit, Schönheit pppppp. wil ich blos das Eine anführen, 15
daß ſie — was bisher noch keine eine Wochelang vermochte — nun
ein ganzes Vierteljahr ohne Eine einzige diſſone Stunde auskam
mit — mir.
Im Frühling bezieh’ ich erſt mein Hochzeithaus; ich weis aber
nicht, in welcher Stadt es gebauet iſt. Hier bleib’ ich nicht. — Der 20
Ton hier übertrift an Unbefangenheit weit den Weimar’schen. Der
Adel vermengt ſich hier mit dem Bürger, nicht wie Fet mit Waſſer,
auf welchem dieſes immer oben ſchwimt und äugelt, ſondern ſie ſind innig
vereinigt wie dieſe durch Laugenſalz, woraus Saife entſteht. Gelehrte,
Juden, Offiziere, Geheime Räthe, Edelleute, kurz alles was ſich an 25
andern Orten (Weimar ausgenommen) die Hälſe bricht, fället ein-
ander um dieſe, und lebt wenigſtens freundlich an Thee- und Estiſchen
beiſammen.
d. 23 Jenn.
Philoſophie, Dichtkunſt und Malerei finden hier nur Sand für 30
ihre Wurzeln; blos die Muſik findet rechte Hände und Ohren. —
Ich lebe in groſſen Zerſtreuungen und Arbeiten zugleich und nichts
leidet dabei als meine Geſundheit und Briefſtellerei.
Beiliegenden Brief von Lavater bitt’ ich Sie an die Behörde zu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/47>, abgerufen am 16.07.2024.
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